„Vertical-Farming-Methoden müssen optimiert werden"
Senthold AssengBeruf:
Agrarwissenschaftler
Position:
Direktor des Hans Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften der Technischen Universität München/Professur für Digital Agriculture
Beruf:
Agrarwissenschaftler
Position:
Direktor des Hans Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften der Technischen Universität München/Professur für Digital Agriculture
Agrarwissenschaftler Senthold Asseng erforscht, welche Chancen und Herausforderungen Vertical Farming für die Ernährung der Zukunft bietet.
Eine der größten Herausforderungen der Zukunft ist die Sicherung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Damit verbunden ist aber auch der Anspruch, gesunde, nährstoffreiche und nachhaltige Lebensmittel zu produzieren. Eine vielversprechende Methode ist Vertical Farming. Das Indoor-Anbausystem kann die Lebensmittelsproduktion in die Städte holen. So können lange Transportwege vermieden und das Klima geschont werden. Agrarwissenschaftler Senthold Asseng forscht seit Jahren zu diesem Thema. Der Direktor des Hans Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften der Technischen Universität München ist überzeugt, dass Vertical Farming bei der zukünftigen Ernährung eine große Rollen spielen und Landwirten eine Chance bieten kann, sich künftig breiter aufzustellen.
Welche Chancen bietet Vertical Farming für die Ernährung der Zukunft?
Vertical Farming könnte in der Zukunft eine große Rolle in der Ernährung spielen, indem es mit stetig hohen Erträgen und gleichmäßig hoher Qualität einen Teil der Ernährung in der Welt mit absichert. Das wäre sogar in Regionen möglich, in denen man heute oder in Zukunft keine Landwirtschaft mehr betreiben kann, wie in Wüsten und Mega-Cities.
Inwiefern ist diese Anbaumethode nachhaltiger als der Anbau auf dem Feld?
Vertical Farming hat das Potenzial, auf kleinsten Flächen, aber über viele Etagen sehr ertrag- und nährstoffreiche Nahrung ohne Herbizid- und Pestizideinsatz und mit minimalem Wasserverbrauch zu produzieren. Außerdem gibt es keinen Nährstoffverlust. Somit kann Vertical Farming deutlich nachhaltiger sein als die gegenwärtige Landwirtschaft.
Welche Möglichkeiten bietet die Indoor-Variante Landwirten, sich für die Zukunft neu aufzustellen?
Vertical Farming ist eine große Chance für Landwirte, sich mithilfe dieser neuen Technologie breiter aufzustellen. Sie können unabhängig von Klimawandel und Wettergeschehen vor Ort Nahrungsmittel erzeugen, die zurzeit über lange Wege transportiert werden müssen. Landwirte sind am besten für die Anwendung und Anpassung von Vertical Farming aufgestellt: Sie sind Experten der Pflanzensysteme und können oft knifflige technische Herausforderungen selbst bewältigen. Sie sind gleichzeitig Geschäftsmann (oder -frau) und verfügen meist über nachhaltig produzierte Energie, die sie in einer Vertical Farm veredeln könnten.
Wie schätzen Sie den Entwicklungsstand dieser neuen Anbaumethode ein? Gibt es noch Forschungsbedarf?
Vertical Farming wird zwar schon von Start-ups ausprobiert, steckt aber in jeglicher Hinsicht noch in den Kinderschuhen. Da gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf, um die gegenwärtigen Systeme zu verbessern. So werden Kräuter und Gemüse zwar bereits in smarten Gewächshäusern angebaut. Diese sind aber noch lange nicht optimiert. Das betrifft alle Aspekte der Steuerung, der Energie, Licht (Dauer, Stärke, Spektrum, mögliche Pulsierung) und Temperatur (ober- und unterirdisch), aber auch die Ernährung, Bewässerung, Luftfeuchte sowie CO2-Konzentration. Auch bei der gezielten Züchtung von Pflanzenarten für Indoor, bei Technologien für Struktur, Belüftung, Aussaat und Ernte bis hin zu den Materialien für Konstruktion und Technologieabläufen gibt es noch einen riesigen Forschungsbedarf.
Wird Vertical Farming die klassische Landwirtschaft irgendwann ganz ersetzen können?
Vertical Farming wird sicherlich in verschiedenen Bereichen einen Betrag leisten, aber nicht die klassische Landwirtschaft ersetzen. Aktuell wird Vertical Farming vorwiegend von Start-ups bestimmt. Im Moment ist der Anteil an der Ernährung noch minimal. Sicherlich wird Vertical Farming mal eine Komponente der Ernährung darstellen und vielleicht auch den Druck in der klassische Landwirtschaft auf steigende Erträge und den damit verbundenen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger im Feld reduzieren. Doch die klassische Landwirtschaft wird es auch in Zukunft geben.
Was muss sich ändern, damit Vertical Farming die Nische verlässt?
Die Technologie von Vertical Farming ist noch sehr neu. Daher gibt es – wie erwähnt – noch unzählige Möglichkeiten diese zu verbessern. Anstatt Pflanzen durch Züchtung an eine Umwelt anzupassen, können wir beim Vertical Farming beispielsweise beide Seiten neu überdenken und optimieren. Vertical Farming ist daher auch ein wichtiges Zukunftsthema, an dem wir als Team am TUM Hans Eisenmann-Forum für Agrarwissenschaften arbeiten. Aktuell stehen wir hier aber wirklich erst am Beginn einer großen Reise, die vielfältige Chancen für eine nachhaltige und regionale Lebensmittelproduktion bieten kann und maßgeblich zur Ernährungssicherung in der Welt beitragen wird.
Interview: Beatrix Boldt