Mehr Nachhaltigkeit durch Open Access
Kamila Markram
Beruf:
promovierte Neurowissenschaftlerin
Position:
Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Open Science Plattform "Frontiers"
Beruf:
promovierte Neurowissenschaftlerin
Position:
Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Open Science Plattform "Frontiers"
Als Mitbegründerin der Open Science Plattform "Frontiers" ist Kamila Markram überzeugt: ein offener Austausch von wissenschaftlichen Ergebnissen ist der einzige Weg, zügig eine nachhaltigere Wirtschaft zu etablieren.
In der Forschung kommt es fast täglich zu neuen, weitreichenden Erkenntnissen. Viele davon wären sehr nützlich, um eine nachhaltigere Wirtschaft zu etablieren, sowie Nahrung und Unterkünfte für die wachsende Weltbevölkerung bereitzustellen. Neue Forschungsergebnisse werden jedoch zunächst in Fachjournalen publiziert, und diese verlangen oft hohe Lizenzgebühren von Hochschulen oder Wissenschaftlern, damit diese an die jeweiligen Texte gelangen können. Als Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Open Science Plattform "Frontiers" setzt sich Kamila Markram deshalb dafür ein, neue Forschungsergebnisse für jeden frei verfügbar zu machen; sie sollen nach dem Konzept "Open Access" publiziert werden. Dieses würde zudem die Kommunikation und den Erkenntnisaustausch zwischen den Wissenschaftlern deutlich vereinfachen und beschleunigen, und so den Weg zu einer nachhaltigeren zukünftigen Wirtschaft ebnen.
Wie kann die Wissenschaft uns zu einer nachhaltigeren Zukunft verhelfen?
Forschung und Innovationen sind die treibenden Kräfte unserer Produktivität und sorgen für wirtschaftliches Wachstum. Sie generieren neues Wissen, welche in neuen oder verbesserten Technologien, Produkten, Dienstleistungen und Prozessen zum Einsatz kommen können. Die Weltbevölkerung wird bis zum Jahr 2050 von 7,4 auf etwa 9 Milliarden Menschen anwachsen. Spätestens dann befinden wir uns im Zeitalter des Anthropozän: Zum ersten mal in der Geschichte gefährdet eine einzige Spezies das gesamte Gleichgewicht des Planeten. Wir kämpfen gegen die Zeit und brauchen dringend wissenschaftsbasierte neue Erkenntnisse, um Herausforderungen bezüglich Gesundheit, Klimawandel und Nachhaltigkeit lösen zu können.
Nachhaltigkeit ist Trendthema in Industrie und Landwirtschaft – welche Aspekte sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten und dringendsten?
Im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitsagenda der UN wurde eine umfangreiche Liste mit 17 „Sustainable Development Goals“ beschlossen, die bis zum Jahr 2030 verwirklicht werden sollen. Ich persönlich glaube, zu den wichtigsten und größten Herausforderungen zählt es, ausreichend Nahrung und sauberes Trinkwasser, sowie Strom für 9 Milliarden Menschen bereitzustellen. Doch wie lässt sich die Nahrungsmittelproduktion und der Energieverbrauch drastisch erhöhen, ohne die Umwelt weiter zu belasten? Wie können wir den Klimawandel gegensteuern, sodass wir unseren Kindern eine sichere und saubere Zukunft ermöglichen können? Die Zeit für neue Lösungen drängt.
Wie wichtig und präsent ist das Thema Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein in der Forschergemeinde?
Ich denke, Wissenschaftler sind sich der Situation und der Nachhaltigkeitsdebatte besonders bewusst. Sie arbeiten unablässig daran, Lösungen für diese Probleme zu finden. Und ihre Bemühungen haben bereits unter anderem zu alternativem Biotreibstoffen als erneuerbare Energieträger geliefert. Zudem arbeiten sie an Lösungen, um mehr Getreide auf weniger Land anbauen zu können ohne schädliche Pestizide oder Düngemittel einsetzen zu müssen; sie bauen energieneutrale Gebäude und erfinden biologisch abbaubares Plastik. Leider wird der wissenschaftliche Fortschritt ausgebremst, da etwa 90% der Ergebnisse nicht öffentlich zugänglich sind. 95% der weltweit publizierten Ergebnisse der Forschung zum Thema Nachhaltigkeit wurden in teuren Fachzeitschriften veröffentlicht. Dort liegen die neuen Erkenntnisse dann hinter kostspieligen Bezahlschranken, viele Wissenschaftler haben deshalb keinen Zugriff darauf. Bei dem Thema erneuerbare Energie sieht es ganz ähnlich aus: 97% dieser Forschungsergebnisse sind ebenfalls nur durch teure Abo-Kosten verfügbar.
Der kostenlose Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen via Open Access könnte den wissenschaftlichen Fortschritt demnach deutlich beschleunigen. Wie könnte das Konzept weltweit umfassend umgesetzt werden?
Immer mehr Forschungsprogramme, Förderorganisationen und Universitäten erkennen die Bedeutung und den Wert von Open Science an. Viele von ihnen fordern und fördern mittlerweile den offenen Zugriff auf wissenschaftliche Artikel, inklusive dem aktuellen Förderprogramm der EU, Horizon 2020, sowie die NIH, Howard Hughes, Wellcome Trust, Harvard und MIT. Erst kürzlich wurde eine europäische Richtlinie erlassen, nach der alle wissenschaftlichen Artikel bis zum Jahr 2020 frei zugänglich sein müssen. Jegliche Forschung, die von der Bill und Melinda Gates Stiftung gefördert wird, muss bereits seit dem 1. Januar 2017 in Open-Access-Fachjournalen publiziert werden, also in Zeitschriften, die die Publikationen frei zugänglich auf ihrer Website zur Verfügung stellen.
Das Ziel von Frontiers ist es, diese Umstellung zum Open Science Publishing zu unterstützen und voranzutreiben und dadurch neue Erkenntnisse und die Ankunft neuer Innovationen zu beschleunigen. Solche Bemühungen von Seiten der Herausgeber müssen jedoch durch nationale und internationale Gesetzgebungen unterstützt werden. Deshalb fordern wir die Entscheidungsträger dazu auf, eine vollumfängliche Open-Science-Richtlinie zu etablieren, die Forschung, Innovation und Geschäft umfasst. Zudem sollte auch für das notwendige Training und Unterstützung bei der Umsetzung für Wissenschaftler, Bibliothekare und andere Interessensvertreter gesorgt werden. Mit Blick auf die bereits angestoßenen Veränderungen könnte Open Access innerhalb der nächsten zehn Jahre für fast die gesamte Forschung Wirklichkeit werden.
Was sind Ihre nächsten Ziele in Sachen Nachhaltigkeit?
2016 haben wir die Initiative „Open Science for Sustainablity“ gestartet, die die 17 Sustainable Develpoment Goals der UNO umfasst. Diese Initiative kümmert sich vor allem um ein umfangreiches und unterstützendes Programm für die Forschergemeinde, die zum Thema Nachhaltigkeit forscht und publiziert. Frontiers ist ein starker Verfechter für Open Science. Diese Bemühungen werden wir auch weiterhin mit der europäischen Kommission und anderen Open Science Interessenvertretern verfolgen, um unsere gemeinsame Mission für eine zugängliche Wirtschaft und Innovationen voranzutreiben. Mehr denn je brauchen wir jetzt die Forschung und neue Technologien, um sie zu neuen Innovationen und Lösungen zu kombinieren und eine nachhaltigere Wirtschaft zu ermöglichen.
Interview: Judith Reichel