„Die Hürden der Markteinführung von kultiviertem Fleisch sind komplex“

„Die Hürden der Markteinführung von kultiviertem Fleisch sind komplex“

Florian Fiebelkorn

Beruf:
promovierter Biologiedidaktiker

Position:
Lehrstuhlverwaltung Biologiedidaktik an der Universität Osnabrück
 

 

DR. Fabian Fiebelkorn
Vorname
Florian
Nachname
Fiebelkorn

Beruf:
promovierter Biologiedidaktiker

Position:
Lehrstuhlverwaltung Biologiedidaktik an der Universität Osnabrück
 

 

DR. Fabian Fiebelkorn

Ein Team um den Biologiedidaktiker Florian Fiebelkorn hat in einer Studie die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch untersucht und Hürden für die Markteinführung aufgezeigt.

Beim Kauf von Fleisch spielen Aspekte wie Tierwohl und Umweltschutz zunehmend eine Rolle. Alternative Fleischprodukte auf Basis pflanzlicher Proteine liegen im Trend und verzeichnen immer größere Wachstumsraten. Doch wie steht es um die Akzeptanz bei kultiviertem Fleisch? Dieser Frage ist Florian Fiebelkorn von der Universität Osnabrück nachgegangen. Ein Team um den promovierten Biologiedidaktiker stellte fest, dass zwar mehr als die Hälfte der Befragten Fleisch aus der Petrischale essen würden. Angst und Eckel sind aber noch immer Faktoren, die die Akzeptanz solch neuartiger Lebensmittel beeinflussen – vor allem bei Erwachsenen. Mehr Bildungs- und Informationskampagnen könnten ein erster Schritt sein, um mehr Akzeptanz gegenüber kultiviertem Fleisch zu schaffen. Doch auch die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Markteinführung sind eine Hürde.

Frage

Wie offen sind Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber kultiviertem Fleisch?

Antwort

Unsere Studie hat gezeigt , dass mehr als die Hälfte der deutschen Probanden bereits von kultiviertem Fleisch gehört hat. Darüber hinaus gaben ca. 58% der Probanden an, dass sie einen Burger aus kultiviertem Fleisch konsumieren würden. Bei Kindern und Jugendlichen aus Deutschland konnten wir ähnliche Werte zeigen: Etwa 44% der Kinder und Jugendlichen hatte bereits von kultiviertem Fleisch gehört und 56% gaben an, dass sie bereit wären, einen In-vitro-Fleisch-Burger zu konsumieren. Wenn man berücksichtigt, wie einzigartig und innovativ dieses Nahrungsmittel in der Menschheitsgeschichte ist, würde ich den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine relativ große Offenheit gegenüber kultiviertem Fleisch attestieren.

Frage

Welche Schlüsselfaktoren entscheiden über die Akzeptanz von In-vitro-Fleisch?

Antwort

Diese Frage ist immer noch nicht wirklich geklärt, weil es einfach sehr viele verschiedene Einflussfaktoren gibt, welche die Akzeptanz beeinflussen. Auf der einen Seite gibt es externe Faktoren, die außerhalb der Wirkmacht der Verbraucherinnen und Verbraucher liegen, wie beispielsweise die Verfügbarkeit im Lebensmitteleinzelhandel oder die Tatsache, dass kultiviertes Fleisch in der EU noch nicht als Nahrungsmittel zugelassen ist. Auch spezifische Produktcharakteristika wie der Geschmack oder der Preis werden am Ende entscheidend dafür sein, ob sich kultiviertes Fleisch am Markt gegen konventionelles Fleisch durchsetzen kann. Neben all diesen Faktoren spielt die Psyche der Menschen eine entscheidende Rolle bei der Akzeptanz dieses neuartigen Lebensmittels. Genau hier setzt auch unsere Forschung an.

Frage

Welche ernährungspsychologischen Einflussfaktoren beeinflussen das Verbraucherverhalten gegenüber einem In-vitro-Fleisch-Burger?

Antwort

Wir konnten bei erwachsenen Probanden die Angst vor neuartigen Lebensmitteltechnologien (engl. food technology neophobia) als negativen Einflussfaktor identifizieren. Andere Studien deuten darauf hin, dass die Angst vor neuartigen Lebensmitteln und der lebensmittelbedingte Ekel ebenfalls einen Einfluss auf die Akzeptanz gegenüber kultiviertem Fleisch im Allgemeinen haben könnten. Wenn man soziodemographische Faktoren mit einbezieht, kann man sagen, dass ein typischer Konsument von kultiviertem Fleisch wohl eher männlich als weiblich, eher jünger als älter, eher weniger Fleisch als viel Fleisch isst und wahrscheinlich eine gute Bildung genossen hat.

Frage

Welche Rolle spielen dabei die persönliche Einstellung und die unseres Umfeldes?

Antwort

Die persönliche Einstellung der Konsumenten gegenüber kultiviertem Fleisch spielt eine zentrale Rolle: Hat der Konsument eine negative Einstellung gegenüber kultiviertem Fleisch, so ist auch die Konsumbereitschaft gegenüber kultiviertem Fleisch geringer. Auch bei Kindern und Jugendlichen konnten wir bereits nachweisen, dass die Einstellungen gegenüber kultiviertem Fleisch mit den größten Einfluss auf die Konsumbereitschaft hatten. Die Einstellung des Umfeldes – in unserer Studie als „Soziale Norm“ operationalisiert – hatte bei uns, verglichen zu den anderen Faktoren, einen relativ geringen Einfluss auf die Konsumbereitschaft. Dies könnte sich jedoch ändern, sobald kultiviertes Fleisch auf dem deutschen Markt erhältlich ist.

Frage

Was muss getan werden, um Vorurteile abzubauen und Konsumenten die Angst vor kultiviertem Fleisch zu nehmen?

Antwort

Ernährungssicherung, Tierwohl, ein geringerer Wasser- und Flächenverbrauch sind Aspekte, die für den Konsum von kultiviertem Fleisch sprechen. Im Prinzip handelt es sich hierbei um ähnliche Argumente, die auch für eine vegane Ernährung sprechen. Trotzdem ernähren sich in Deutschland nur ca. 10% der Menschen vegan oder vegetarisch. Es wird daher nicht leicht werden, Menschen davon zu überzeugen, kultiviertes Fleisch zu essen. Aus biologiedidaktischer Sicht würden bundesweite Bildungs- und Informationskampagnen im schulischen und außerschulischen Bereich ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. In einer aktuellen Studie zur Akzeptanz von insektenbasierten Nahrungsmitteln von Kindern und Jugendlichen konnten wir beispielsweise nachweisen, dass durch eine relativ kurze Bildungsintervention in der Schule die Angst vor neuartigen Lebensmitteln langfristig abgebaut werden kann. Wir gehen davon aus, dass Bildungs- und Informationskampagnen zu kultiviertem Fleisch womöglich ähnliche Effekte haben werden.

Frage

Welche Hürden stehen in Deutschland einer Markteinführung im Wege? Was muss sich ändern?

Antwort

Neben technischen Herausforderungen im Herstellungsprozess, stellen in Deutschland und Europa vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen eine große Hürde für eine erfolgreiche Markteinführung von kultiviertem Fleisch dar. Die Zulassung von kultiviertem Fleisch als neuartiges Lebensmittel fällt voraussichtlich unter die Novel Food-Verordnung 2015/2283. Der Zulassungsprozess nach dieser Verordnung ist relativ aufwendig und langwierig. Zudem ist der Herstellungsprozess immer noch nicht so weit ausgereift, dass kultiviertes Fleisch ab morgen in gleichen Mengen wie konventionelles Fleisch im industriellen Stil hergestellt werden könnte. Zudem gibt es nach wie vor tierethische Bedenken, vor allem bezüglich des fetalen Kälberserums, das teilweise noch in den Nährmedien verwendet wird. Es konnten jedoch bereits erste serumfreie Nährmedien entwickelt und erfolgreich verwendet werden. Die Markteinführung dieses innovativen Nahrungsmittels gestaltet sich also relativ komplex. Nichtsdestotrotz gehe ich davon aus, dass wir vielleicht in 10 bis 20 Jahren in Supermärkte gehen werden, in denen kultiviertes Fleisch und zellbasierte Milch vollkommen normale Produkte sein werden. Vielleicht werden wir uns dann auch fragen, warum wir das „alte Fleischsystem“ so lange so unkritisch akzeptiert haben.

Interview: Beatrix Boldt