Die Agrarvisionärin
Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura
Beruf:
Agrarforscherin und Hochschullehrerin
Biopionierin für:
Landnutzungssyteme und digitale Landwirtschaft
Alles begann mit einem winzigen Fleckchen Erde. – Japan, Sapporo: Es geht eng zu in der Zwei-Millionen Stadt. Sonoko hat im Vorgarten ihres Elternhauses ein Häuschen errichtet, überschattet von einem Meer von Skyscrapern, umrahmt von verschneiten Bergen. Das Mädchen lässt sich von der elektrifizierten Kulisse nicht beeindrucken. Hingebungsvoll hegt und pflegt es seine kleine Farm und ihre drei Hühner.
Heute schmunzelt Sonoko Dorothea Belllingrath-Kimura über diese Kindheitsanekdote. Längst hat die Agrarwissenschaftlerin mit deutsch-japanischen Wurzeln ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im Brandenburgischen Müncheberg forscht sie für die Zukunft der Landwirtschaft. Die Nähe zur Natur, die Verantwortung gegenüber Tieren und Pflanzen, fasziniert die Professorin nach wie vor.
Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura - im Video
Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung – im Jahr 2050 wird sie auf mehr als neun Milliarden Menschen geschätzt – herrscht jedoch großer Druck auf dem Agrarsektor: Er muss die Menschheit ernähren und gleichzeitig lebenswichtige Funktionen des Bodens gewährleisten. Eine Intensivbewirtschaftung schadet dabei auf Dauer mehr als sie nutzt: Überdüngung, Trinkwasserverschmutzung, Bodenerosion und Artenschwund sind die Folge.
„Monokulturen bringen eine einheitliche Nutzung der Fläche mit sich, die sehr eingeschränkt ist und negative Auswirkungen hat. Landwirtschaftliche Flächen haben eigentlich viele Nutzungsziele: Sie können Nährstoffe puffern, sauberes Grundwasser produzieren, Kohlenstoff speichern und Biodiversität erhöhen.“
Dafür braucht der Boden Hilfe, und zwar sofort. Ein unmittelbarer, intuitiver Zugang zu Mutter Erde, wie damals, als Sonoko im Garten grub und ihr Federvieh mit Körnern fütterte, kann ihn allein nicht retten.
Wie könnte eine ergiebige und nachhaltige Agrarwirtschaft zukünftig funktionieren?
Die Versuchsfelder: kleinteilige Bewirtschaftung eines Schlages
mithilfe von Datenerhebung
Unterwegs mit der Drohne. Südlich des Naturschutzgebiets Märkische Schweiz blickt das Kameraauge von hoch oben auf Monokulturen, große Weizenfelder und vor allem Mais. Plötzlich ändert sich das Landschaftsbild. Felder tauchen auf, die sich von ihrer Umgebung abheben wie ein großes Stück Torte. Die Tempelberger Versuchsfelder gehören zum ZALF. Sie sind das Herzstück von Sonokos Forschung über intelligente Landnutzung. In dem langgezogenen Dreieck stechen mehrere kleinere Rechtecke hervor in braun, grün, gelb. Das Ganze sieht aus wie ein bunter Flickenteppich.
Nach schnellem Sinkflug schwebt die Drohne über den Köpfen der Forscher. Sie holen sich gerade neue Daten aus einem Sojafeld, messen die Bodenfeuchte des Ackers oder den Chlorophyllgehalt der Blätter. Die jetzige Bewirtschaftung basiert auf der gründlichen Analyse einer zehnjährigen Datenerhebung. Ziel war es, die Bodenbeschaffenheit und das Mikroklima an jeder Steigung und in jeder Senke Quadratmetergenau zu kennen. Die Landwirtschaft, sie funktioniert digital vermittelt:
„Um die primären Ziele für die Landnutzung besser ausarbeiten zu können, sind ganz verschiedene Informationen vom Boden, Klima, Landnutzung, Nährstoffkreisläufe notwendig, die man so allein nicht überblickt. Die Verknüpfung sehen wir in der Digitalisierung, dass wir diese Informationen zusammenführen und dann die unterschiedlichen Ziele, die die Landnutzung bieten kann, am besten harmonisieren.“
So entsteht Platz für mehrere Nutzpflanzen auf einem Feld: Weizen wächst neben Soja und Mais, dazwischen stehen Sonnenblumen. Und zwar genau dort, wo die Bedürfnisse der jeweiligen Pflanzen am besten erfüllt werden. Produktivität allein reicht für eine nachhaltige Landnutzung aber bei weitem nicht. Der Landwirt muss auch für Artenvielfalt auf seinen Äckern sorgen.
Mehrere deutsche Wissenschaftsakademien fordern: Die europäische Agrarpolitik muss dringend reformiert werden, um das Artensterben zu stoppen. Ein maßgeschneidertes Datenpaket der ZALF-Forscherin könnte den Bauern praktisch weiterhelfen. Als Entscheidungsgrundlage für die optimale Bepflanzung hinsichtlich Ernteertrag und Artenschutz.
Sonoko führt uns zu einem Blühstreifen zwischen den schachbrettartig angelegten Feldern. Hier gedeihen weißgelbe Margariten neben taubenblauen Wegwarten und Malven in dunkelviolett. Dort, wo die Böden auf natürliche Weise nährstoffärmer sind, wächst ein Biotop für Bienen, Insekten und kleine Wirbeltiere.
„Ich wünsche mir, dass durch meine Forschung eine diverse Landschaft entsteht. Dass man, wenn man da durch gehen würde, sowohl produktive Weizen- und Maisfelder sieht, aber auch summende Blumenwiesen mit Bienen, Insekten und dass diese in einer Harmonie zueinanderstehen. Ich gehe davon aus, ohne Digitalisierung ist es nicht zu schaffen.“
Die Zukunft der Landwirtschaft ist alles andere als rosig. Aber vielleicht und hoffentlich beginnt sie auf einer Magerwiese bei Müncheberg inmitten einer diversen, standortangepassten Landnutzung in kleinen und größeren Flächen. So effizient und lebendig, wie Sonoko einst als Mädchen ihren Vorgarten zu nutzen wusste.
Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura - im Podcast
Wie kann die Digitalisierung helfen, unsere Landwirtschaft zu reformieren und das Artensterben zu stoppen? Das ist die große Frage, welche sich die Agrarforscherin Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura (ZALF) stellt. Erste spannende Antworten finden sich auf ihren Versuchsfeldern in Brandenburg. Dort gedeihen Mais, Soja, Weizen und Wiesenblumen nebeneinander auf einem Feld. Wie das funktioniert, haben wir die deutsch-japanische Biopionierin in unserem Podcast gefragt.