Die Land- und Holzwirtschaft sowie die Chemieindustrie sind die stärksten Wirtschaftstreiber und gleichzeitig die wichtigsten Pfeiler der Bioökonomie in Litauen. Die Agrar- und Lebensmittelindustrie liegen zusammengenommen mit einem Anteil von etwa 10 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) über dem EU-Durchschnitt.
Der Anteil der Bioökonomie am BIP stieg in den letzten zehn Jahren von 6,8 % auf 8,4 %. Im Jahr 2020 erwirtschaftete sie etwa 4,2 Mrd. Euro an Wertschöpfung. Ihr Wachstum in verschiedenen Sektoren ist zwar stetig, insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft, doch grundsätzlich besteht noch großer Entwicklungsbedarf. Die Digitalisierung und Modernisierung der Produktionsprozesse, die Förderung von Innovationen in der Biotechnologie sowie eine stärkere Kreislaufwirtschaft sind zentrale Herausforderungen. Der Trend zeigt jedoch positive Entwicklungen auf, vor allem aufgrund staatlicher Förderung und europäischer Unterstützungsleistungen.
Alle drei baltischen Länder sind Mitglied der Europäischen Union (EU) und profitieren von EU-Förderprogrammen und -Initiativen, die dem wirtschaftlichen Zusammenhalt und der nachhaltigen Entwicklung zugutekommen. Während eine dezidierte Bioökonomiestrategie bisher noch fehlt, geben Programme wie die Strategie für intelligente Spezialisierung (RIS3) sowie die Nationale Fortschrittsstrategie Litauen 2030 Ziele für die Entwicklung der Bioökonomie vor.
Die Strategie für intelligente Spezialisierung umfasst sechs Sektoren, darunter „Agroinnovation und Lebensmitteltechnologien“. Dieser ist für die Bioökonomie bedeutend. Die Prioritätsbereiche innerhalb dieses Feldes decken die nachhaltige Nutzung von Biomaterialien und Lebensmitteln sowie die innovative Entwicklung, Verbesserung und Verarbeitung biologischer Rohstoffe ab.
Um diese Ziele zu erreichen, konzentrieren sich die Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt hauptsächlich auf die Primärsektoren sowie den Lebensmittelsektor und fördern eine bessere Bioreststoff-Verwaltung. Das Energieministerium unterstützt die Bioenergienutzung, das Wirtschafts- und Innovationsministerium nimmt Einfluss auf die Politikgestaltung in verschiedenen Bioökonomiesektoren. Der Länderreport Litauen der EU-Kommission von 2023 zeigt: Insbesondere in den Feldern Emissionen, Energiewirtschaft und Nutzung nachhaltiger Ressourcen besteht Handlungsbedarf.
Die litauische Bioökonomie ist geprägt von den traditionellen Sektoren der Land- und Forstwirtschaft sowie aufstrebenden Bereichen wie Biotechnologie und erneuerbare Energien.
Als Anlaufstelle für Unternehmen, die für Innovationsentwicklungen Beratung benötigen, hat Litauen ein eigenes Zentrum eingerichtet. Überarbeitete Rechtsakte sollen den Zuwendungsrahmen kohärenter gestalten, zudem Lücken und Überschneidungen in bestehenden Maßnahmen reduzieren.
Land-, Forstwirtschaft und Fischerei
Im Jahr 2023 betrug der Anteil des Primärsektors an der Bruttowertschöpfung in Litauen 3,3 %. Dieser Wert liegt deutlich über dem EU-Durchschnitt von 1,8 %. Die Agrarlandschaft Litauens wird vor allem von kleinen und mittelgroßen Betrieben bewirtschaftet, die zu großen Teilen von Fördermitteln seitens der Regierung und der EU abhängig sind. Viele Betriebe sind mit fehlenden Fachkräften und einem starken Rückgang des Nachwuches konfrontiert.
Die Landwirtschaft ist mit einem Beitrag von etwa 36 % der stärkste Zweig des Bioökonomieprimärsektors in Litauen und umfasst eine Vielzahl von Produktionszweigen, davon 80 % im Bereich Getreideanbau. Rund 5 % der Agrarflächen werden gegenwärtig biologisch bewirtschaftet – ein Anteil, der über dem EU-Durchschnitt liegt. Die Verbesserung der Bodenqualität und die Reduktion der, im EU-Vergleich sehr hohen, agrarbedingten Treibhausgasemissionen gehören zu den Herausforderungen im Landwirtschaftssektor.
Nachhaltige, moderne Praktiken und Bio-Landwirtschaft werden von großen Unternehmen wie der AUGA group, Vilniaus Prekyba, Raisgiai Agribusiness sowie Agrochemicals and Fertilizers umgesetzt. Unterstützt werden solche zukunftsorientierte Bestrebungen häufig durch EU-Förderprogramme wie das LIFE-Programm, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (EAFRD) sowie Innovationsfonds und private Investitionsprogramme, beispielweise der Innovation Fund oder die Europäische Investitionsbank (EIB).
Die Forstwirtschaft Litauens ist im Vergleich zu Estland und Lettland weniger dominant. Obwohl der Waldbestand in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gewachsen ist und heute rund eine Drittel der Landesfläche bedeckt, trägt die Forstwirtschaft nur zu etwa 5 % zur Bioökonomieleistung des Landes bei. Die Forstwirtschaft ist allerdings als Biomasselieferant von zentraler Bedeutung: Brennholz und Holzabfälle sind wichtige Wärmequellen (siehe Punkt Energiewirtschaft). Forstwirtschaft und holzverarbeitende Industrie (z. B. Möbel) machen zusammen einen Anteil von knapp 24 % des Bioökonomiesektors aus. Nennenswerte Unternehmen sind Holzproduktanbieter wie Ikea, SBA Furnite Group, Vakarų Medienos Grupė und das Baltic Furniture Cluster, ein Netzwerk für lokale Produzenten.
In Litauen trägt die Fischerei nur einen geringen Anteil von ca. 1 % zum BIP bei, spielt aber insbesondere durch die Entwicklung nachhaltiger Aquakultur und Fischverarbeitung eine wichtige Rolle für die Stärkung der Bioökonomie. Unternehmen wie die Viciunai Group und Norvelita sind führend in der Fischverarbeitung und setzen auf innovative, ressourcenschonende Produktionsmethoden. Die Algenkultivierung ist in Litauen noch nicht fest etabliert, jedoch existieren mit der Entwicklung von Lebensmittelverpackungsmaterial auf Algenbasis erste Ansätze. Forscher der Universitäten Vilnius und Kaunas arbeiten außerdem an der Entwicklung von Algen-Biokraftstoffen und -Biogas sowie an der Algenzucht in Abwässern zur Nährstoffrückgewinnung.
Lebensmittelindustrie
Die Lebensmittelindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Litauen und macht etwa 26 % der Bioökonomie aus. Gekennzeichnet ist er einerseits von der Herstellung traditioneller Lebensmittel (Milch, Fleisch, Getreide, Kartoffeln), andererseits ist eine zunehmende Konzentration auf die Entwicklung von innovativen Lebensmitteln und -technologien sowie Nahrungsergänzungsmitteln zu beobachten.
Staatlich eingerichtete Organisationen wie Litfood zielen darauf ab, progressive Unternehmen im Foodsektor zu fördern und eine Brücke zwischen traditionellen Landwirten und innovativen Lebensmitteltechnologien zu schlagen. Über Einrichtungen wie den AgriFood Lithuania Digital Innovation Hub wird darüber hinaus die Integration von digitalen Technologien in die Agrar- und Lebensmittelproduktion unterstützt. Ergänzend tragen EU-Programme wie EIT Food dazu bei, Start-ups mit neuen Geschäftsmodellen im Land etablieren.
Von diesen Strukturen profitieren auch große, vor allem aber kleine und mittlere Unternehmen, die ihren Schwerpunkt auf pflanzenbasierte Produkte, alternative Eiweißquellen oder die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung richten. Hier einige Beispiele für Start-ups aus der litauischen Bioökonomieszene: Während sich Insectum und Divaks auf die Lebensmittelherstellung mit Insektenprotein spezialisiert haben, stehen bei Algaria algenbasierte Nahrungsmittel und Supplements im Mittelpunkt. Biohifas nutzt Pilzfermentationstechnologie, um zum Beispiel Reststoffe in lebensmitteltaugliche Inhaltsstoffe umzuwandeln.
Chemische Industrie
Die Chemiebranche des Landes ist vor allem für Düngemittel und PET-Pellets bekannt. Etwa 3,4 % der Unternehmen der chemischen Industrie sind der Bioökonomie zuzuordnen, Tendenz steigend. Dies ist auf die zunehmende Produktion von biobasierten Polymeren zurückzuführen. Es gibt mehrere klassische Unternehmen, die sich neben ihrer ursprünglichen Geschäftsausrichtung neuen Produkten zuwenden. Deutlich wird dies anhand zweier Beispiele: Die NEO GROUP, ein Hersteller von PET-Granulat, arbeitet an der Entwicklung biobasierter Kunststoffe. Lifosa, ein bedeutender Produzent von Phosphatdünger, investiert in die Erforschung biobasierter Alternativen.
Biotechnologie
Litauen lag bereits im Jahr 2018 auf Platz 16 im globalen Ländervergleich zur Biotechnologie und hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. In der im Februar 2024 veröffentlichten OECD-Rangliste der Biotech-F&E-Intensität belegt Litauen mit knapp 20 % den dritten Platz. Diese vergleichsweise hohen Investitionen in die Biotechnologie-Forschung unterstreichen das Bestreben des Landes, ein wichtiger Akteur auf diesem Gebiet zu werden. Der Sektor konzentriert sich vor allem auf die Bereiche Biopharmaka und industrielle Biotechnologie, mit Firmen wie Thermo Fisher Scientific Baltics (das führende Biotechnologie-Unternehmen im Land) und Roquette Amilina (das drittgrößte Weizen-Bioraffinierie-Unternehmen Nordeuropas), welche innovative Beiträge leisten und hohe Wertschöpfung generieren. Sicor Biotech und Biotechpharma sind wichtige Akteure in der Herstellung von Biopharmazeutika. Das Start-up CasZyme ist im zukunftsträchtigen Bereich der CRISPR/Cas-Methode tätig und auch in der Enzymtechnologie aktiv, genau wie das Start-up IMD Technologies. Andere nennenswerte Akteure sind die TEVA-Gruppe (Pharmazie und Agrar-Chemikalien), Bioenergy LT (Dünger und Bodenverbesserer), Satimed (Pharmaerzeugnisse aus Hanf), Froceth (innovative Pharmatechnologien) sowie Droplet Genomics (mikrofluidische Werkzeuge für die Molekularbiologie).
Die Litauische Biotechnologie-Vereinigung (Lithuanian Biotechnology Association, LithuaniaBIO) fördert die Entwicklung des Biotechnologie-Sektors durch Unterstützung innovativer Projekte, Vernetzung der Akteure, Wissenstransfer, Ausbildung bzw. Qualifizierung und Interessenvertretungen.
Energiewirtschaft
Litauens Energiewirtschaft hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, die vor allem auf der Nutzung erneuerbarer Quellen basieren. Etwa 80 % des Strom- und Wärmeverbrauchs wurden in den Jahren 2022/2023 durch regenerative Quellen gedeckt. Wichtige Treiber dieser Entwicklung waren und sind politische Programme von nationaler und EU-Ebene, mit denen etwa Biomasse-Heizwerke bezuschusst und die Innovationsstärke verschiedener Unternehmen gefördert werden. Übergeordnetes Ziel ist, bis zum Jahr 2050 die Generation von Strom zu 100 % und die von Wärme zu 80 % mit erneuerbaren Energien zu decken.
Bei der Stromerzeugung sind die Hauptquellen Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse. Unterstützt werden Strombereitstellung und -verteilung durch ein modernes Net-Metering-System, das die dezentrale Produktion fördert und ländliche Gebiete einbindet. Biomasse kommt insbesondere in KWK-Anlagen zum Einsatz, die Wärme und Strom gleichzeitig erzeugen. Die Ignitis Group ist eines der führenden Energieunternehmen im Baltikum und spielt auch in Litauen eine wichtige Rolle beim Ausbau der regenerativen Energien. Die Firmengruppe betreibt zahlreiche Biomassekraftwerke und investiert in Windparks, Solaranlagen und innovative Technologien wie Energiespeicher.
Im Bereich der erneuerbaren Wärmegewinnung ist mit Kauno Energija ein Unternehmen im Inland ansässig, das ein Vorreiter in der Nutzung von Biomasse für die städtische Fernwärmeversorgung ist. Rund 75 bis 80 % der zentralen Wärmeversorgung werden derzeit von Biomasse gedeckt, vor allem durch Holz, Holzabfälle und landwirtschaftliche Reststoffe. Ein großer Teil davon stammt aus heimischen Quellen, ergänzt durch Importe, die unter anderem über die zentrale Handelsplattform Baltpool abgewickelt werden. Ihre Nutzung hat entscheidend dazu beigetragen, die Abhängigkeit von Erdgasimporten zu reduzieren.
Weitere wichtige Unternehmen im litauischen Energiesektor sind unter anderem Gren Lietuva, das zunehmend Biomasse in seinen Anlagen nutzt, Axis Technologies, welches innovative Lösungen in den Bereichen Solarenergie und Wasserstofftechnologie entwickelt und einsetzt sowie Bionovus. Die Firma mit Sitz in Vilnius betreibt mehrere Biogasanlagen im Land, arbeitet an der Optimierung der Biogasgewinnung aus organischen Abfällen und trägt so zu einer Kreislaufwirtschaft bei.
Informationstechnik
Die IT-Branche in Litauen wächst rapide und unterstützt die Digitalisierung der Bioökonomie, insbesondere in den Bereichen Präzisionslandwirtschaft und Bioinformatik. Agro IC beispielsweise entwickelt innovative IT-Lösungen für die Präzisionslandwirtschaft, während Eldes sich auf IoT-Lösungen für den Agrarsektor spezialisiert hat. Hnit-Baltic bietet Geoinformationssysteme für die Land- und Forstwirtschaft an und Algoritmų sistemos entwickelt maßgeschneiderte Software für die Lebensmittelindustrie. Durch den Einsatz solcher Technologien können Effizienz und Nachhaltigkeit gesteigert und so die Bioökonomie gefördert werden.
Die Forschungslandschaft in Litauen spielt eine zentrale Rolle für die inländische Entwicklung der Bioökonomie. Universitäten und Forschungsinstitute arbeiten eng zusammen, um wissenschaftliche Erkenntnisse in praktische Anwendungen umzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes in diesem Bereich zu stärken.
Universitäre Forschung
In Litauen ist die Universität für Agrarwissenschaften eine der führenden Institutionen, die sich mit bioökonomischen Themen beschäftigen. Hier werden Forschungsprojekte zur nachhaltigen Landwirtschaft, Ressourcenmanagement und Umweltbewusstsein durchgeführt. Die Technische Universität Vilnius ist ebenfalls aktiv in der Bioökonomieforschung, insbesondere in den Bereichen Biotechnologie, Lebensmitteltechnologie und Umweltwissenschaften. Beide Institutionen bieten nicht nur Studiengänge zu Bioökonomiethemen an, sondern fördern auch die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie, um innovative Lösungen zu entwickeln.
Außeruniversitäre Forschung
Neben den Universitäten gibt es in Litauen mehrere wichtige außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die zu einer positiven Bioökonomieentwicklung beitragen. Das Litauische Forschungszentrum für Landwirtschaft und Forstwirtschaft führt umfassende Forschungsprojekte zu nachhaltigen landwirtschaftlichen Praktiken und Forstwirtschaft durch. Das Litauische Institut für Biowissenschaften konzentriert sich auf biotechnologische Entwicklungen und nachhaltige Anwendungen in der Lebensmittelproduktion und Medizin. Darüber hinaus spielt das Litauische Zentrum für Umwelt und Gesundheit eine wichtige Rolle bei der Erforschung von umweltfreundlichen Technologien und der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen.
Zudem hat das Wirtschaftsministerium eine zentralisierte Innovationsunterstützungsinfrastruktur eingerichtet, die aus vier Industrieparks, zwei Freihandelszonen, neun Wissenschafts- und Technologieforschungseinrichtungen und fünf Wissenschafts-, Studien- und Geschäftszentren besteht. In diesen Einrichtungen wurden bereits zahlreiche Forschungsprojekte realisiert, zum Beispiel das Lithuanian Cleantech Ecosystem, welches Technologien fördert, die eine nachhaltige Wirtschaft unterstützen. Es vereint Start-ups, Unternehmen, Investoren, Forschungseinrichtungen und staatliche Akteure, die an der Entwicklung und Implementierung von klimafreundlichen Technologien beteiligt sind.
Recherche und Text: Kristin Kambach, Anette Mertens