Synthetische Biologie: Mikrobe lebt mit Minimal-Genom

Synthetische Biologie: Mikrobe lebt mit Minimal-Genom

US-Forscher um Craig Venter haben mit der Mikrobe „Syn 3.0“ ein Bakterium mit einem künstlich erzeugten Erbgut aus 473 Genen geschaffen – weniger Erbanlagen besitzt kein existierendes Lebewesen in der Natur.

Bakterium mit künstlich geschaffenem Mini-Genom: Syn3.0 kann mit gerade einmal 473 Genen im Labor existieren.
Bakterium mit künstlich geschaffenem Mini-Genom: Syn3.0 kann mit gerade einmal 473 Genen im Labor existieren.

Wieviele Gene sind mindestens nötig, damit ein einfach gebauter Organismus überleben kann? Ein US-Forscherteam um Craig Venter und Clyde Hutchinson hat für einzellige Lebewesen eine neue Rekordmarke für ein Minimalgenom aufgestellt: 473 Gene besitzt das im Labor im kalifornischen La Jolla geschaffene Bakterium namens „Syn 3.0“. Das Erbgut der Mikrobe wurde am Computer designt und vollständig aus chemischen Grundbausteinen zusammengesetzt. Die Forscher berichten im Fachjournal Science (2016, Online-Vorabveröffentlichung) über ihre aufwendige molekularbiologische Tüftelei, die als weiterer Meilenstein der Synthetischen Biologie gilt. Die Genomforscher versprechen sich nicht nur Erkenntnisse über die essenziellen Grundzutaten des Lebens. Ihre Designer-Mikroben könnten Vorlage für programmierbare Produktionsorganismen der Zukunft sein.

Selbst einfache Lebewesen wie Bakterien sind hochkomplexe, biologische Systeme. Ein Ziel von Wissenschaftlern des Forschungszweigs Synthetische Biologie ist es, sie zu vereinfachen, bis nur die minimale Ausstattung der notwendigsten Komponenten übrigbleibt. Dazu entfernen sie alle nicht überlebenswichtigen Bestandteile aus dem Inventar einer natürlichen Zelle. Diese sind immer mit Funktionen ausgerüstet, die sie nur für ihren natürlichen Lebensraum benötigen, nicht jedoch für das Überleben im Labor. Eine Minimalzelle braucht daher nicht unbedingt alle Funktionen einer natürlichen Zelle. Die Hoffnung: Eine verschlankte Zelle gibt den Blick für die entscheidenden Komponenten frei.

Von der künstlichen Kopie zur verschlankten Version

Die US-Forscher Clyde Hutchison und Hamilton Smith am J. Craig Venter Institute sind Vorreiter dieses Top-down-Ansatzes in der Synthetischen Biologie. Vor nunmehr 17 Jahren haben sie sich zum Ziel gesetzt, bei einfach gebauten Mikroorganismen, den Mykoplasmen, das Genrepertoire auf das lebensnotwendige Minimum zu reduzieren. Dass dies technisch prinzipiell machbar ist, haben die US-Pioniere bereits demonstriert. 2010 haben sie das komplette Genom von Mycoplasma mycoides rein chemisch im Labor synthetisiert, nahezu fehlerfrei zusammengesetzt und den nachgebauten DNA-Strang in eine speziell vorbereitete, genomfreie Mykoplasmen-Zelle eingesetzt. Die sogenannte Erbgut-Transplantation funktionierte: Die Zellen teilten sich daraufhin und lebten mit ihrem neuen Designer-Genom weiter.

Erbgutstrang entrümpelt

Die damalige Arbeit sorgte als technologischer Meilenstein für Schlagzeilen, allerdings war das Genom von „JCVI-Syn 1.0“ bloß ein Nachbau, eine leicht abgewandelte Kopie des vollständigen Erbguts von Mycoplasma mycoides.  Erst mit der nun geschaffenen Mikroben-Version „JCVI-syn 3.0“ sind die Bioingenieure ihrer Vision einer Minimalzelle mit entrümpeltem Genom tatsächlich näher gekommen. In mühseliger molekularer Puzzle-Arbeit – mit vielen Anläufen und Rückschlägen – gelang es, den DNA-Strang knapp um die Hälfte zu kürzen (von 1079 auf 531 Kilobasen-Paare) und das Gen-Repertoire um 57 Gene auf genau 473 zu stutzen. Was die Forscher überraschte: Bei einem Drittel der Gene  (149) des synthetischen Schrumpfgenoms ist die Funktion noch unklar. Diese Funktionen wollen die Forscher weiter entschlüsseln, um den molekularen Grundzutaten für das Phänomen „Leben“ auf die Spur zu kommen.

Minimalzelle als Produktionsplattform

Aber den Biotechnologen schwebt auch eine praktische Anwendung vor: Zellen mit Minimalgenom könnten in der Biotechnologie als eine Art Plattform, gleichsam als Chassis, für eine effiziente, industrielle Herstellung von Biomolekülen dienen. Indem Forscher genetische Redundanzen beseitigen, reduzieren sie den Energieaufwand von Zellen – gewünschte Stoffwechselprodukte werden so ressourcenschonender hergestellt. Die Minimalzellen ließen sich nachträglich mit speziellen Stoffwechselprozessen ausrüsten – um so die Produktionswege maßzuschneidern.