Archäogenetik: Die Zähmung der Gerste

Archäogenetik: Die Zähmung der Gerste

Wie wurde einst im Nahen Osten aus einem Gras die Nutzpflanze Gerste? Pflanzenforscher aus Japan und Deutschland haben im Erbgut der Gerste ein Detail aufgespürt, mit dem sich die Domestikation rekonstruieren lässt.

Spindelbrüchigkeit bei der Gerste - ein entscheidendes Merkmal für die Domestikation der Pflanze vor 10.000 Jahren.
Spindelbrüchigkeit bei der Gerste - ein entscheidendes Merkmal für die Domestikation der Pflanze vor 10.000 Jahren.

Durch Domestikation wurden Wildpflanzen in kultivierbare Formen verwandelt. Durch diese Anfänge der Züchtung wurde der Ackerbau und Sesshaftigkeit möglich. Das geschah vor etwa 10.000 Jahren im Nahen Osten – dem sogenannten fruchtbaren Halbmond, einer Region, die sich sichelförmig von Israel über Syrien, die Südosttürkei bis in den Nordirak und -iran erstreckt. Hier wurden unsere heutigen Getreidearten aus Wildgräsern gezüchtet. Allen voran die Gerste. Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung japanischer Forscher und unter maßgeblicher Beteiligung von Forschern des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, hat nun die molekulargenetischen Grundlagen des wichtigsten Domestikationsmerkmals der Gerste – die Spindelfestigkeit – aufklären können. Die Forscher berichten im Fachjournal Cell (2015, Bd. 162, S.527).

Die Wildform der Gerste ist bei der Ausbreitung ihrer Nachkommenschaft darauf angewiesen, dass die Ähre zum Zeitpunkt der Samenreife auseinander fällt und dadurch alle Körner unabhängig voneinander verbreitet werden können. Dieses Merkmal macht eine effiziente Ernte des Korns allerdings unmöglich. Seit Beginn der landwirtschaftlichen Nutzung der Gerste wurde daher Saatgut von Pflanzen, die eine stabile Ährenachse aufwiesen, bevorzugt. Auf diese Weise wurde die Urform der Kulturgerste mit einer entsprechend höheren Spindelfestigkeit domestiziert.

Begehrtes Merkmal: eine stabile Ährenachse

In Cell berichten die Forscher, dass zwei chromosomal eng benachbarte Gene unabhängig voneinander durch spontane genetische Veränderung (Mutation) ihre Wirkung verloren, wodurch eine stabile Ährenachse ausgebildet wird. Das Team von Jochen Kumlehn konnte durch Hinzufügen nichtmutierter Genvarianten aus Wildgerste in eine heutige Kulturgerste den Beweis dafür führen. Für eines dieser beiden Gene wurde die ursprüngliche, nichtmutierte Variante in einer Wildgerstenpopulation aus Israel identifiziert, womit der wahrscheinliche Ursprungsort der Domestikation der Gerste eingegrenzt werden konnte. Jedes der beiden identifizierten Gene bewirkt in reinerbig mutierter Form einen Verlust der Ährenspindelbrüchigkeit. Interessanterweise kam es durch die Ausbreitung des Ackerbaus nach Westen (Europa) bzw. Osten (Asien) zu einer Auftrennung von Kulturformen deren Ährenfestigkeit entweder auf dem einen oder dem anderen Gen beruht.

Erklärung für spindelbrüchige Nachkommen in heutigen Züchtungen

„Deshalb“, so Nils Stein „kommt es heutzutage in der Pflanzenzüchtung durchaus vor, dass bei der Kreuzung west-europäischer Gerstensorten mit solchen aus Ostasien spindelbrüchige Nachkommenschaften entstehen“.Diese bahnbrechenden Ergebnisse des internationalen Forscherteams helfen,  die Domestikationsgeschichte unserer heutigen Getreidearten besser zu verstehen. Auf dieser Grundlage ist es etwa möglich, zu untersuchen ob in den anderen, nahe verwandten Getreidearten Weizen und Roggen dieselben Gene eine Veränderung durchliefen oder andere Faktoren an der Herausbildung der Spindelfestigkeit beteiligt waren