Niederlande

Niederlande

Die Niederlande sind führend in der Verarbeitung von Lebensmitteln. Das kleine Land an der Nordsee zählt weltweit zu den größten Exporteuren landwirtschaftlicher Produkte. Bekannt sind insbesondere die Gewächshaustomaten. Stärke, Zucker und Milchsäure stellen wichtige weiterverarbeitete Produkte dar. International glänzen Gartencenter dagegen mit verschiedensten gartenbaulichen Produkten wie Zierpflanzen sowie Zier- und Landschaftsgehölzen aus niederländischer Produktion.

Potenzial für ein biobasiertes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum bietet daneben auch die chemische Industrie, ein zweiter Pfeiler der Wirtschaft des Landes. Zahlreiche Unternehmen haben sich auf biobasierte Chemikalien und Biopolymere fokussiert. Daneben existieren Initiativen, um Biokraftstoffe in Bioraffinerien künftig im industriellen Maßstab zu produzieren. Im Netz einer weltweiten Bioökonomie sehen die Niederländer ihr Land als künftiges Kompetenzzentrum und Drehscheibe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe.

Rechtliche und politische Grundlagen

Das Landwirtschaftsministerium formulierte bereits im Jahr 2007 erste Grundsätze, um eine effiziente Nutzung von Biomasse voranzubringen, denn sie biete erhebliche Chancen für die Wirtschaft. Parallel helfe sie gegenüber Klimaveränderungen, reduziere Abfälle, stärke die regenerativen Energien und verringere die Abhängigkeit vom Erdöl. 2010 definierte die niederländische Regierung dann neun Topsektoren (unter anderem Agrar- und Ernährungswirtschaft, Chemie, Energie, Lebenswissenschaften und Gartenbau), in denen das Land bis zum Jahr 2020 weltweit eine Spitzenstellung einnehmen will. (Mehr Informationen: hier klicken)  43 Vertreter von Firmen und aus der Zivilgesellschaft verständigten sich im Jahr 2011 in ihrem „Manifest Biobased Economy“ darauf, die Bioökonomie im Land in ihrem Entstehen zu fördern und zu unterstützen. 2012 formulierte das neue Kabinett seine grüne Wachstumsstrategie (Mehr Informationen: PDF-Download) mit innovativer Landwirtschaft, Bioökonomie, erneuerbaren Energien und den Häfen – der Großteil der Biomasse muss importiert werden – als Drehscheiben. Laut dem EU-Wettbewerbsreport Niederlande ist ab dem Jahr 2015 ist im Rahmen einer nachhaltigen Beschaffungspolitik sogar geplant, nur noch umweltfreundliche Produkte durch die öffentliche Hand einzukaufen.  Getragen wird der Umbau der Wirtschaft auch durch das „Interdepartementaal Programma Biobased Economy“ (IPBBE) der Regierung, das seine Agenda auf zahlreichen Gesprächen mit relevanten Akteuren aufbaute.

Politische Verantwortlichkeiten

Es gibt ein gut entwickeltes System von politischen Richtlinien für Wissenschaft, Technik und Innovation, welche regelmäßig geprüft und überarbeitet werden. Verantwortlich für bioökonomisch relevante politische Richtlinien und Gesetze sind insbesondere vier Ministerien. Das für die Bioökonomie hauptverantwortliche Wirtschaftsministerium (EZ) überblickt Regularien im Bereich Futtermittel und Saatgut. Zudem verantwortet es die Richtlinien für industrielle Forschung und Entwicklung sowie Innovation. Das Umweltministerium (IenM) hat dagegen die Hoheit sobald es um gv-Pflanzen, die verfüttert werden, oder (Labor)tiere geht. Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Bureau Genetisch Gemodificeerde Organismen (Bureau GGO). Das Cartagena-Protokoll zur Biosicherheit untersteht ebenfalls dem Ministerium. Das Gesundheitsministerium (VWS) koordiniert die politischen Entscheidungsprozesse im Bereich Agro- und medizinische Biotechnologie und verantwortet Gesetze im Bereich Nahrungsmittel. Das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft gestaltet die Innovationspolitik im Bezug auf wissenschaftliche Forschung und Ausbildung. Es verantwortet die Forschungsfördereinrichtung NWO. Außerdem eingebunden ist das Außenministerium.

Regierung bekennt sich zur Gentechnik

Mit Blick auf die grüne Gentechnik wurden bislang von der europäischen Lebensmittelaufsichtsbehörde EFSA positiv bewertete genetisch veränderte (gv)-Pflanzen in den Niederlanden stets zugelassen. Diese bisher Gentechnik-freundliche Regierungspolitik erfuhr jedoch 2014 einen Dämpfer. Auf direkte Anweisung des Parlaments hin musste die Regierung gegen eine EU-Entscheidung votieren. Inzwischen stehen wie in anderen europäischen Ländern „opt out“-Möglichkeiten bei der Grünen Gentechnik im Mittelpunkt des politischen Interesses. Trotz allem gelangen gv-Pflanzenprodukte wie Sojabohnen aus Brasilien oder den USA über Importe in das Land und werden meist in der Landwirtschaft verfüttert. Laut aktuellen Zahlen der Organisation ISAAA werden in den Niederlande keine Gentechnik-Pflanzen kommerziell auf den Äckern angebaut.

Bereits 2004 verständigten sich die Dachverbände von Verbrauchern, Landwirtschaft, Pflanzenzüchtern und Ökobauern auf ein Regelwerk zum Anbau von gv-Pflanzen. Das Dokument „Koexistenz Primärproduktion“ wurde von diesem so genannten „van-Dijk-Komitee“ an den Landwirtschaftsminister übergeben und auf Basis des Reports ein Gesetz ausgearbeitet. So wurden im Europavergleich sehr geringe Mindestabstände zu nicht-gv und Bio-Anbaufeldern festgelegt, und Regeln zur Haftung bei Verschmutzung vereinbart. Für unklare Fälle wurde außerdem ein Haftungsfonds eingerichtet. Die Stadt Nijmegen und die Provinz Friesland verboten allerdings den Anbau von gv-Pflanzen innerhalb ihrer Grenzen, was ihnen durchaus erlaubt ist.

Bis vor kurzem schien es, dass die Niederländer der gv-Kartoffel und weiteren gentechnisch veränderten Pflanzensorten der Zukunft aufgeschlossener gegenüber stehen als ihre deutschen Nachbarn. Im Eurobarometer Biotechnologie, der zuletzt im Jahr 2010 die Einstellung von Bürgern aus allen 27 EU-Mitgliedern zu den Lebenswissenschaften abgefragt hat, wiesen 53% der Niederländer der Biotechnologie eine positive Auswirkung auf unser zukünftiges Leben zu. Negative Effekte vermuteten nur 25%. In Deutschland ist die Gruppe der Optimisten deutlich kleiner (42%) und die der Pessimisten größer (33%). Diese aufgeschlossene Haltung setzt sich auch bei Detailfragen fort. So finden 73% der Befragten in den Niederlanden, dass Entwicklung und Produktion von Biokraftstoffen weiter gefördert werden soll, bei der Frage von nachhaltigen Biokraftstoffen sind es sogar 91%. In Deutschland sind es nur 64% beziehungsweise 83%. Die Methode, in der Gentechnik einzelne artfremde Gene einzusetzen, lehnen 57% der Niederländer ab, bei artverwandten Genen ist die Situation ausgeglichen: 46% lehnen auch dieses Verfahren ab, 48% hingegen haben nichts dagegen. In Deutschland sind es 69% beziehungsweise 47% und 45%.

Trotz aller Hindernisse entwickelte die Universität Wageningen 2010 eine Kartoffel mit größeren Stärkekörnern, 2013 führte sie Feldversuche mit schädlingsresistenten Kartoffeln durch. Daneben laufen Versuche mit gv-Äpfeln. Profitiert haben von der Grünen Gentechnik jedoch die Floristen. So ließ die EU bereits 1993 die ersten gv-Nelken zu, die auf Farmen in Kolumbien und Ecuador wachsen und weltweit von dem japanischen Unternehmen Suntory vertrieben werden. Inwieweit Pflanzen, die mit neuen Züchtungstechnologien wie Cisgenese generiert wurden, als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft werden, ist noch Gegenstand von Diskussionen. In der dem Parlament 2014 dargelegten Sicht ihrer Biotechnologiepolitik drängt die Regierung auf eine Klärung, da die neuen Technologien für den niederländischen Züchtungssektor eine erhebliche Bedeutung haben. (Mehr Informationen: hier klicken) Interessanterweise steht der Niederländische Bauernverband (LTO) im Land gv-Pflanzen grundsätzlich positiv gegenüber. Allerdings weist er auf die Widerstände von Kunden insbesondere auch im wichtigen Exportmarkt Deutschland hin.

Mehrheit lehnt Klonen von Nutztieren ab 

Zur Verwendung biotechnologischer Methoden in der Viehzucht liegt noch keine abschließende Regelung vor. Doch die Öffentlichkeit steht dem Thema ebenfalls ablehnend gegenüber wie auch die meisten Viehzüchter und Milchbauern. Somit kann davon ausgegangen werden, dass das niederländische Parlament erneut dagegen votieren wird. Selbst die Regierung stellt sich gegen die Klonierung von Nutztieren. Einzig in der medizinischen Biotechnologie dürfen derartige Methoden nach Einzelfallprüfung an Labortieren, vornehmlich an Mäusen, in der akademischen Forschung angewendet werden.

"Green Deal" für mehr Energie aus Biomasse

EU-Direktiven zu Klimazielen und regenerativen Energien regulieren den Markt für Biomasse in Europa. Um die für die Niederlande gesetzten Ziele zu erreichen, plant die Regierung, Biomasse großflächig als Ausgangsmaterial für die Erzeugung von Energie einzusetzen. 14,5% erneuerbare Energien im Jahr 2020 sind das Ziel, das im National Renewable Energy Action Plan (NREAP) der Niederlande vorgelegt wurde, davon 21% generiert über Biomasse. Festgelegt sind auch fixe Beimischungsquoten von Biotreibstoffen für den Transportsektor. Deren Marktdurchdringung zu vertiefen, fördert das Innovatieve Biobrandstoffen (IBB)-Programm des ehemaligen Verkehrsministeriums, das im Umweltministerium aufgegangen ist. (Mehr Informationen zu Biotreibstoff-Politik in den Niederlanden: hier klicken) Herausfordernd dürfte die geforderte Nachhaltigkeit des Materials sein. Um die Industrie zu Investitionen im Bereich der regenerativen Energien anzuregen, läuft seit 2008 das Hilfsprogramm Stimulering Duurzame Energieproductie (SDE). Hierfür stellte die Regierung 3 Mrd. Euro im Jahr 2013 zur Verfügung. Bereits 2011 vereinbarten die Regierung und die niederländische Energiewirtschaft in diesem Zusammenhang einen „Green Deal“ .

Unternehmenslandschaft

Für die niederländische Wirtschaft ist die Bioökonomie ein großes Thema. Die Schwerpunkte der Unternehmen lehnen sich hierbei stark an die 2010 von der niederländischen Regierung definierten neun Topsektoren (unter anderem Agrar- und Ernährungswirtschaft, Chemie, Energie, Lebenswissenschaften und Gartenbau) an. (siehe Kapitel Politische Grundlagen) So ist es das erklärte Ziel der Regierung, in diesen Bereichen bis zum Jahr 2020 zu den Top fünf Wissensgesellschaften der Welt zu zählen. Diese neun Bereiche sind für 40% der gesamten niederländischen Exporte verantwortlich und wuchsen im Zeitraum 2010 bis 2013 doppelt so dynamisch (+4,0%) wie die Gesamtwirtschaft (+1,9%). Die Wertschöpfung der neun Zweige lag 2013 bei 147 Mrd. Euro (25% des BIP). Den Wert der Produktion bezifferte das nationale Statistikamt CBS für die Agro- und Lebensmittelwirtschaft mit 76 Mrd. Euro, für die chemische Industrie mit 96 Mrd. Euro und für die Lebenswissenschaften mit 18 Mrd. Euro. Landwirtschaftliche Exportschlager sind Pflanzen, Käse und Bier, Hauptmärkte die benachbarten EU-Staaten. Insgesamt trägt der Agrarsektor ca. 10% zur nationalen Bruttowertschöpfung bei, wobei hiervon ein Drittel auf die Verarbeitung importierter Rohstoffe zurückgeht. 2010 existierten noch 73.000 landwirtschaftliche Betrieb – Tendenz weiter fallend. (Mehr Informationen: hier klicken)

Vorreiter bei der Biomethanol-Produktion

Zu den großen Unternehmen in der Bioökonomie zählen DSM, Cosun, Essent und Unilever – allesamt in den benannten Topsektoren tätig. Der in der Ernährungswirtschaft, der Chemie und den Lebenswissenschaften tätige ehemalige Bergbaukonzern DSM präsentiert sich heute als weltweit führend bei Nahrungsmittelergänzungsstoffen. Bei industriell genutzten Enzymen belegt das Unternehmen nach eigenen Angaben bezogen auf den weltweiten Marktanteil inzwischen den dritten Platz. Der Bereich „Bio-based Products & Services“ gilt ihm als einer von drei neuen, zukunftsträchtigen Geschäftsbereichen, der Lösungen für die Herstellung biobasierter Produkte wie Biosprit und -gas oder -chemikalien entwickelt. Die Produktion von Vitaminen oder Kunststoffen geschieht bereits mittels biotechnologischer Prozesse. Bereits Ende 2012 startete Reverdia, ein 2010 vereinbartes Joint Venture von DSM mit dem französischen Stärkehersteller Roquette Frères, mit der kommerziellen Produktion biobasierter Bernsteinsäure – allerdings am italienischen Standort Cassano Spinola. Im Bereich Agrar- und Ernährung aktiv und inzwischen mit einem Standbein in der Bioenergie entsprang die Royal Cosun-Gruppe der Landwirtschaft. Heute wird neben Lebensmitteln über das Tochterunternehmen Royal Nedalco auch Bioethanol verkauft. Daneben zählen Futtermittel- und Biogasproduzenten zu den Kunden. Der multinationale Ernährungskonzern FrieslandCampina erwirtschaftet einen Großteil seines Umsatzes mit Milchprodukten. Im Topsektor Energie angesiedelt ist der größte Energieproduzent des Landes Essent, seit 2009 eine Tochter der deutschen RWE. Er bietet seinen Kunden auf Reststoffen basierendes Gas als Energieträger und betreibt eines der europaweit größten Kraftwerke, das Biomasse zur Energieerzeugung einsetzt. Biomethanol Chemie Nederland B.V. (BioMCN) produziert und vertreibt als eines der weltweit ersten Unternehmen hochwertiges Biomethanol, einen Biokraftstoff der 2. Generation, aus kommerzieller Produktion. Beim niederländisch-britischen Konsumgüterkonzern Unilever steht seit 2010 Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda. So strebt das Unternehmen danach, den ökologischen Fußabdruck seiner Produkte zu reduzieren und achtet hierbei beim Einkauf seiner Rohstoffe auf nachhaltige landwirtschaftliche Methoden, um weltweit knappe Ressourcen zu schützen. Ein biotechnologisch hergestelltes Eiweiß, das ursprünglich in arktischen Fischen identifizierte „Ice Structuring Protein“, setzt der Konzern in den USA seit mehreren Jahren seinem Speiseeis zu und wirbt mit einem Produkt, das weniger Fett und Zucker enthält.

Bioraffinerien auf dem Vormarsch

2011 erfolgte in Amsterdam die Gründung der ersten Börse, an der Holzpellets gehandelt werden. Bioraffinerien sind ein weiterer Baustein der Bioökonomie des Landes. Organisiert als Public Private Partnership (PPP) engagieren sich zahlreiche Firmen an deren Aufbau und Betrieb solcher Anlagen. So will Corbion, Spezialist für Nahrungsmittelzusatzstoffe und Feinchemikalien auf Basis nachwachsender Rohstoffe, aus Reststoffen der Papierindustrie Milchsäure herstellen. Der Verpackungshersteller Solidpack will Fasern aus Gras als Ausgangsstoff für seine Behältnisse nutzen, Cosun versucht die gesamte Zuckerrübe vollständig in Zucker, Futtermittel, Biochemikalien und -materialien sowie Energie umzusetzen. Eine der größten Anlagen zur Raffinierung von Glycerin aus pflanzlichen Rohstoffen betreibt dagegen die Dutch Glycerin Refinery B.V., die im Herbst 2014 aus der BioMCN als nun eigenständige Firma ausgegliedert wurde. Unterdessen führen im industrie-initiierten Dutch Biorefinery Cluster Firmen aus dem Nahrungs- und Papiersektor ihre Kompetenzen über Open innovation zusammen.

Neue Technologien in der Pflanzenzucht

Zudem profitiert die Bioökonomie der Niederlande von der Vielzahl der Biotechnologie-Unternehmen im Land. So listet der Branchenverband HollandBio insgesamt 321 biotechnologisch aktive Unternehmen in seiner Datenbank, von denen sich rund 50 der Bioökonomie verschrieben haben – die meisten von ihnen der Agrobiotechnologie oder dem Bereich Nahrungsmittel. So wurde die Biotech-Firma Avantium im Jahr 2000 aus dem niederländisch-britischen Ölkonzern Royal Dutch Shell heraus gegründet. Das auf biobasierte Chemikalien und Biokunststoffe spezialisierte Unternehmen produziert diese an seinem Standort in Geleen und hat mit Coca-Cola und Danone zwei bekannte Partner mit an Bord. Dyadic wiederum forscht an Enzymen. Die Biotech-Firma Ingrepro setzt auf Algen, die als Nahrungsmittelgrundstoff oder Biomasse genutzt werden. Zu den Spezialisten für die Zucht von Pflanzen zählen die Firmen De Jong Lilies, Enza Zaden und Keygene. Diese konzentrieren sich vielfach auf neue Züchtungstechnologien. Ansiedeln können sich neue Unternehmen beispielsweise auf dem Green Chemistry Campus des saudi-arabischen Petrochemiekonzerns Sabic, gelegen im Südwesten der Niederlande. Hier ziehen Sabic, die Stadt Bergen op Zoom, die Provinz Nord-Brabant und der regionale Wirtschaftsförderer NV Revin an einem Strang. Auf dem Campus ist auch eines der größten PPPs für die Bioökonomie des Landes angesiedelt: das Biorizon-Forschungszentrum. Es will biobasierte, chemische Entwicklungen voranbringen und Firmen als Partner gewinnen. Sollen nachhaltige Herstellungsverfahren entwickelt und vom Labor – in den Industriemaßstab überführt werden, steht Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen die 2012 eingeweihte Bioprocess Pilot Facility (BPF) in Delft offen. Hier engagieren sich die Konzerne DSM, der Weltmarktführer für die Herstellung von Milchsäure CSM, die Universität Delft und staatliche Ministerien sowie regionale und kommunale Akteure ebenfalls in einer Public Private Partnership. Das Netzwerk TopChemie Delta hilft Firmen mit einem Interesse an biobasierten Lösungen dagegen bei technischen und wirtschaftlichen Fragestellungen.

Auch ausländische Firmen sind in den Niederlanden präsent. Der schwedische Energieerzeuger Vattenfall setzt auf Biomasse und nutzt für sein Kraftwerk in Lelystad hauptsächlich Holz aus der Region. Der finnische Mineralölkonzern Neste Oil setzt auf Algen, Stroh und holzhaltige Biomasse, nutzt aber auch Palmöl für seinen Biosprit, was Umweltorganisationen heftig kritisieren. Außerdem verwendet er Abfälle aus der Nahrungsmittelproduktion als Rohstoff. In den Niederlanden betreibt das Unternehmen eine große Bioraffinerie zur Herstellung von Biodiesel. Die in Kanada beheimatete EcoSynthetix Inc. verfügt in den Niederlanden ebenfalls über einen Produktionsstandort und liefert Kunden biobasierte Ausgangsstoffe für die Papierherstellung.

Regierung nimmt Kurs auf "grünere Wirtschaft"

Für die Regierung zählen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, die zu einer biobasierten Wirtschaft hinführen, zu den wichtigsten Zielen. So sollen in den Niederlanden entsprechende Verfahren künftig für eine „grünere“ Wirtschaft sorgen. Hierfür sucht die Regierung den Schulterschluss mit Unternehmen beispielsweise aus den Bereichen Chemie, Energie und Wasser sowie entsprechenden wissenschaftlichen Einrichtungen, damit künftig Bio-Materialien, -Chemikalien und -Kraftstoffe aus Biomasse hergestellt werden. Sechs der neun von der Regierung definierten Topsektoren, bündelten ihre Kräfte bereits über die 2012 veröffentlichte Initiative ‘Groene Groei, van biomassa naar business’, mit der der Umbau zu einer biobasierten Wirtschaft insbesondere von der Chemie-, Energie- und Agrolebensmittelindustrie vorangetrieben werden soll. Unter der Federführung des Sektors Chemie, deren Branchenverband VNCI für eine „Grüne Chemie“ bis zum Jahr 2030 eine Marke von 30% anstrebt, sorgt nun die Stiftung „Topconsortium voor Kennis & Innovatie BioBased Economy“ (TKI-BBE) für die Umsetzung. Ganz gezielt setzt der Staat die TKIs ein, um öffentlich-private Kooperationen zu stimulieren, auch im TKI Agri & Food. Inhaltliche und finanzielle Aspekte sind hierbei zwischen Regierung, Industrie und Forschungseinrichtungen vertraglich geregelt. Mehrere Initiativen stehen kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMUs) gezielt offen. Beispielsweise das SBIR-Programm, über das Forschungsgelder für präkompetitive Projekte zur Verfügung gestellt werden. Das MKB-innovatiestimulering Topsectoren (MIT)-Regelwerk ist ebenfalls auf KMUs zugeschnitten. Es soll Kooperationen untereinander fördern. Ansprechpartner für Firmen finden sich auch im „Rijksdienst voor Ondernemend Nederland“, einer Regierungsagentur mit Programmen zur finanziellen Unterstützung von Unternehmen. Auch die Provinzen haben die Bioökonomie für sich entdeckt. So richtet sich der Biobased Brabant Fund der Provinz Noord Brabant speziell an KMUs, die Machbarkeitsstudien durchführen wollen.

Forschungslandschaft

In der universitären Forschung gewinnt die Bioökonomie zunehmend an Bedeutung. An der Universität Wageningen, einer der bedeutendsten Hochschulen des Landes, deren Forschungsinstitute Grundlagenforschung sowie angewandte Forschung auf dem Gebiet “Gesunde Ernährung und gesundes Lebensumfeld” betreiben, nehmen bioökonomische Themenstellungen bereits einen breiten Raum ein. So reichen die Forschungsprojekte hier von der Agrarforschung sowie Bioraffinerie-Konzepten wie AlgaePARC über Biochemikalien und -materialien, leistungsfähige Pflanzen und Bioenergie bis hin zur Katalysatorforschung. Am Application Centre for Renewable Resources (ACRRES), einer Initiative dieser Universität, stehen unter anderem unterschiedliche Bioraffinerie-Konzepte im Fokus. Wissenschaftler der Universitäten Twente und Utrecht forschen an künftigen Energiekonzepten. Die Universität Groningen unterhält die BioBrug-Plattform, über die Fragestellungen von Unternehmen aus unterschiedlichen Perspektiven und in multidisziplinären Teams angegangen werden. An der Technischen Universität Delft, zählen Biokatalyse, Prozessentwicklung und die industrielle Biotechnologie zu den Topthemen. Hinzu kommt die Beteiligung der Universität an der Bioprocess Pilot Facility (BPF).

Biogas-Branche ist ausbaufähig

Neben den Universitäten steht das Soehngen Institute for Anaerobic Microbiology (SIAM), an dem verschiedene niederländische Mikrobiologen unterschiedlicher Universitäten miteinander kooperieren, in den Startlöchern. Eine Förderung von rund 23 Mio Euro wurde bereits 2013 in Aussicht gestellt. Hier wollen Wissenschaftler nach neuen Stoffwechselwegen (natürlichen und synthetischen) suchen, um Produkte wie Bioplastik oder Biogas nachhaltig produzieren zu können. Vor dem Hintergrund des starken holländischen Agrarsektors gibt es im Biogas-Bereich erhebliche Ausbaupotenziale. Finanziert werden die Forschungen über die Gravitations-Initiative des Bildungsministeriums. Bereits geschlossen ist nach zehn Jahren der Finanzierung durch Regierung und Unternehmen das Kluyver Centre for Genomics of Industrial Fermentation. Hier wurden bis Ende 2013 Hefen, Pilze und Bakterien gezielt auf ihre Eignung für die industrielle Biotechnologie hin untersucht. Chemikalien, Biokraftstoffe und Nahrungsmittel standen im Vordergrund der Arbeiten, an denen sich zahlreiche Universitäten und Konzerne wie Danone, DSM, Friesland Foods, Heineken und Nestlé beteiligten. Doch laufen viele der Forschungsarbeiten inzwischen unter dem Biobased Economy (BBE)-Programm „BE-Basic“ innerhalb der „Genomics for Industrial Fermentation“-Förderung weiter.

Auch die Fachhochschulen des Landes setzen auf die Bioökonomie. So geht das Kompetenzzentrum „Centre of Expertise Biobased Economy“ auf die Avans Hogeschool und die HZ University of Applied Sciences zurück. Das größte Energieforschungsinstitut im Land, das Energieonderzoek Centrum Nederland (ECN), arbeitet und bietet Dienstleistungen zur Umwandlung von Biomasse in Syngas an. Ein Energieträger, der zu Gas, Biokraftstoffen und chemischen Grundstoffen weiterverarbeitet werden kann. Im Bereich der Sozialwissenschaften liegt der Schwerpunkt des vom Wissenschaftsministeriums finanzierten Rathenau Instituuts. 2011 stellten sie ihre Sicht der Bioökonomie für die Niederlande vor. Mehr als 50 regionale Aktivitäten und Cluster stärken die unterschiedlichen Ansätze weiter. Beispielsweise das Food Valley im Raum Wageningen, das Energy Valley in der Region um Groningen und das Seedvalley um Enkhuizen.

NWO - Prominenter Forschungsförderer der Bioökonomie

Die Vergabe von Finanzmitteln für Forschungsprojekte lehnt sich stark an die von der Regierung definierten prioritären Wirtschaftssektoren an. Agrar- und Ernährungswirtschaft (A&F), Chemie, Energie, Lebenswissenschaften und Gartenbau sind fünf dieser Sektoren. Angelehnt an die ökonomische Bedeutung von Landwirtschaft und Chemie existieren eine Reihe von Programmen, die die Forschung und Zusammenarbeit relevanter Akteure in diesen Wirtschaftszweigen mit Blick auf biobasierte Produkte beispielsweise als PPP fördern und beschleunigen sollen. So investierte die Regierung im Jahr 2014 in den Topsektor A&F 72 Mio. Euro, weitere 185 Mio. Euro stammten aus der Industrie. 64 beziehungsweise 140 Mio. Euro flossen in den Gartenbau. Das Topconsortium voor Kennis en Innovatie Biobased Economy (TKI-BBE) erhielt 63 Mio. Euro von der Regierung und 140 Mio. Euro von den beteiligten Unternehmen. Einer der prominentesten Fördermittelgeber des Landes ist dabei die nationale Forschungsorganisation Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek (NWO). Daneben erklärte die Regierung Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die hin zu einer biobasierten Wirtschaft führen, als eines ihrer obersten Ziele. In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Forschungsinitiativen im Rahmen der Biobased Economy (BBE) auf den Weg gebracht. So vereint das BBE-Programm Aspekte der Biomasse-Veredelung, die auf Reststoffen aus Gartenbau, Tierzucht, Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie aufsetzt, mit Prozessentwicklung und Pilotanlagen unter einem Dach. Bio-Chemikalien (BE-Basic, Catchbio, IBOS), biotechnologische Methoden und Bio–Materialien (BPM) sind zentrale Bausteine. Im Technology Areas for Sustainable Chemistry (TASC)-Programm werden kleine öffentlich-private Partnerschaften unterstützt. Ziele sind Lösungen für eine nachhaltige Chemie aus Biomasse. Finanziert werden die Projekte mit Mitteln des Wirtschaftsministeriums, der NWO und den beteiligten Unternehmen. Der Vorläufer, die ACTS-Förderung, galt dagegen größeren Konsortien. So beteiligten sich an „B-Basic-Bio-based Sustainable Industrial Chemistry“ die Großunternehmen DSM, AkzoNobel, Shell Global Solutions, Paques und Schering-Plough. Nachhaltige landwirtschaftliche Produktionsketten stehen im Fokus des Förderprogramms „Green“. Weitere Programme konzentrieren sich insbesondere auf Fortschritte in Pflanzenzüchtung, Technologieentwicklung, Ernährungssystemen und auf Eiweiße.

Neben der NWO treten auch die Technology Foundation STW und andere als Fördermittelgeber auf. Der STW geht es insbesondere um den Wissenstransfer von technischen Entwicklungen hin zum Nutzer. Die Gravitation-Initiative des Bildungsministeriums zielt auf die Bildung von Konsortien, denen die niederländische Forscherelite angehört.

Kooperation auf internationaler Ebene

Internationale Kooperationen gelten ebenfalls als essentiell. Biobasierte Chemikalien hat sich das Biorizon-Zentrum auf die Fahnen geschrieben. Hier arbeiten in einem grenz- und akteur-übergreifenden Open-Innovation-Ansatz rund 50 Mitarbeiter zweier Forschungsorganisationen zusammen – der niederländischen TNO und der belgischen VITO. Eingebettet in das Biobased Delta, einer Initiative im Süden des Landes, die Wissenschaft, Industrie und Behörden vereint, sitzt das Zentrum auf dem Green Chemistry Campus der Stadt Bergen op Zoom. Ziel des Biobased Delta: Landwirtschaftliche Reststoffe in Bio-Chemikalien zu überführen. Letztlich soll hiermit das weltweit größte chemische Cluster, ARRR (Antwerpen-Rotterdam-Rhein-Ruhr), gestärkt werden. Kürzlich gegründet wurde in diesem Zusammenhang das Aachen-Maastricht Institute for Biobased Materials (AMIBM). Hier geht es primär um neuartige Materialien, ausgehend von nachwachsenden Rohstoffen. Bis ins Jahr 2016 reicht das transnationale EU-Vorhaben Capita. Niederländische, deutsche und Forscher anderer Länder suchen hier nachhaltige katalytische Prozesse. Biokraftstoffe sind Thema des EU-Projektes ITAKA, in dem die niederländische Fluggesellschaft KLM und der europäische Airbus-Konzern kooperieren. Mit Brasilien wurde unlängst ein bilaterale Zusammenarbeit beschlossen (CNPq), um gemeinsame Forschungsprojekte voranzubringen. Abkommen sind auch im Rahmen des Joint Scientific Thematic Research Programme (JSTP) beispielsweise mit China geschlossen worden. (Mehr Informationen: hier kllicken) Die Agriculture Beyond Food-Initiative untersucht dagegen in enger Zusammenarbeit mit indonesischen Forschern die Produktion von Biomasse in dem tropischen Land.

Weiterführende Informationen

Bioökonomie-Intitiativen:

öffentl. Forschungsförderung:

Regionale biobasierte Cluster und Zentren:

Gesetzeslage:

Topsektor-Strategie im Jahr 2010
Grüne Wachstumsstrategie im Jahr 2012
Kein kommerzieller Anbau von gv-Pflanzen erlaubt