Flachs oder Lein ist eine Faserpflanze, die über Jahrhunderte hinweg den Rohstoff für Textilien lieferte, bevor der Siegeszug der Baumwolle begann. Seit einiger Zeit erfährt die Leinpflanze jedoch wieder mehr Aufmerksamkeit: Die Werkstoffforschung hat Flachs für sich entdeckt. Die Steifigkeit und Festigkeit der Fasern, die Flachs für Textilanwendungen eher unattraktiv macht, weckt zunehmend das Interesse der Wissenschaftler, um neue biobasierte Verbundwerkstoffe zu kreieren. „Die Pflanze hat einen dünnen Stängel, der besonders biegesteif ist. Wenn man leicht bauen will, wie im Automobilbereich, braucht man Fasern mit hoher Festigkeit und Steifigkeit, die zudem leicht sind“, erklärt Jörg Müssig von der Hochschule Bremen – HSB –.
Flachsfasern für neue Verbundwerkstoffe
Im Rahmen des internationalen Verbundprojektes „Verbesserte Biowerkstoffe aus Flachs durch angewandte Genomik – FIBRAGEN“ hat das Team um Jörg Müssig gemeinsam mit Molekularbiologen, Pflanzenzüchtern und Wertstoffforschern aus Frankreich, Spanien und Kanada untersucht, wie Flachsfasern durch Züchtung für die Nutzung in Verbundwerkstoffen optimiert werden können. Das Forschungsvorhaben lief von Mai 2011 bis März 2015 und wurde jeweils von den beteiligten Ländern finanziert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligte sich mit rund 180.000 Euro.
Werkzeugkasten für Züchter
Dass Leinfasern hervorragende technische Eigenschaften haben, ist lange bekannt. „Flachsfasern wurden schon in Ziegeln im alten Ägypten zur Verstärkung eingesetzt“, sagt Müssig. Dennoch: Die textile Anwendung hatte lange Vorrang. Inzwischen sind Leinfasern für Autoindustrie und Sportgerätehersteller eine Alternative zu Glasfaserverbundwerkstoffen. Entgegen diesem Trend ist die Flachsfaser-Züchtung bis heute auf textile Anwendungen fokussiert. „Ziel des Projektes war es daher, den Züchtern einen Werkzeugkasten für den Umgang mit den Pflanzen an die Hand zu geben, um zukünftig gezielte Züchtung für die technische Anwendung betreiben zu können“, erklärt der Bremer Werkstoffexperte.
Aufgabe des Bremer Teams im Projekt war es, die verschiedenen Flachssorten zu charakterisieren und auf ihre Eignung im Verbundwerkstoff zu untersuchen. Hier arbeitete das deutsche Team mit Forschern aus Frankreich und Spanien zusammen. Die Sequenzierung des Genoms der einzelnen Flachssorten lag dagegen vornehmlich in den Händen französischer Molekularbiologen der Universität in Lille unterstützt durch kanadische Kollegen von der University of British Columbia.
Zehn Flachssorten im Verbundwerkstofftest
„Wir schauten uns an, welchen Effekt eine Faser im Verbundwerkstoff hat“, berichtet Katharina Haag, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Fibragen. Zehn verschiedene, meist in Frankreich beheimatete Flachssorten, standen im Fokus der Untersuchung. Zur Charakterisierung der einzelnen Pflanzenarten wurden die Fasern in Bremen hinsichtlich ihrer mechanischen und morphologischen Eigenschaften vermessen und mittels eines Rankings bewertet. „Vorausgegangen war eine extrem lange und aufwendige Datenanalyse, um zu sehen, welche Einflussgrößen es gibt.“
In Skiern könnten schon heute Flachsfasern Glasfaserverbundstoffe ersetzen. (Rechts: Katharina Haag, Mitte: Jörg Müsig)
Die Auswertung ergab: Um das Potenzial der Flachsfaser als Nachwachsenden Rohstoff verstärkt in Verbundwerkstoffen zu nutzen, müssen nicht nur die Anbaubedingungen, sondern auch die anschließende Aufbereitung optimal sein. Um die Fasern aus den Stängeln der Pflanze herauszulösen, erfolgt die sogenannte Röste. Das heißt: Die Ernte wird für mehrere Wochen auf dem Feld belassen. „Um an die Fasern heranzukommen, nutzt man die Hilfe der Mikroorganismen auf dem Feld, die die Zellwandkomponenten abbauen, aber nicht die Fasern angreifen“, erklärt Müssig. So werden die Faserbündel von den restlichen Pflanzengeweben abgelöst.
Röste entscheidet über Qualität der Flachsfasern
Flachs kann zwar fast überall angebaut werden, für die Qualität der Fasern ist aber die Röste entscheidend und dafür bedarf es einer Ausgewogenheit von Feuchte und Trockenheit. „Zuviel Feuchte schadet der Faser. Sie braucht die Küstennähe, wo im Wechsel die Stängel in der Nacht mit Tau befallen und tagsüber wieder abtrocknen können.“ Da eine gleichbleibende Qualität für die Faserproduktion von entscheidender Bedeutung ist, wurden die jeweiligen Pflanzenarten über zwei Jahre von den Forschern beobachtet.
Ein weiterer Faktor, der die Qualität der Flachsfaser beeinflusst, ist auch die Verarbeitungsmethode. „Diese Verfahrenstechniken haben einen unterschiedlichen Einfluss auf die Faserlängen. Deshalb haben wir die Sorten bezüglich unterschiedlicher Verbundtechniken getestet“, erklärt der Experte. So kamen in Frankreich und Spanien die Compoundier- bzw Spritzgusstechnik , sowie Vakuuminfusionsverfahren mit kurzen Fasern zum Einsatz, während in Bremen die Fasern ohne vorherige Einkürzung mittels Pultrusion-Verfahren zum Verbundwerkstoff verarbeitet wurden.
Im Ergebnis verfügen die Forscher nun über einen großen Pool an Informationen, die sie den Züchtern als Werkzeug an die Hand geben können, um ihre Flachsfaserzüchtung zu optimieren. „Die Züchter wissen jetzt, dass bestimmte Sorten im Röstverhalten besser abschneiden, sich leichter aufschließen und sich ohne oder mit nur geringen Schäden zu Verbundwerkstoffen verarbeiten lassen“, resümiert Müssig.
Flachsfaser Diane gewinnt beim Ranking
So lag beim Ranking die Flachssorte Diane über beide Versuchsjahre bei allen drei Verfahrenstechniken deutlich über dem Durchschnitt und zeigte im Vergleich zu den anderen neun untersuchten Sorten eine besonders gute Verbundstoffwirkung hinsichtlich Festigkeit und Steifigkeit. Müssig ist überzeugt: „Wenn es gelingt, Diane optimal aufzubereiten, hat sie heute schon das Potenzial, in technisch hochwertigen Anwendungen unterzukommen“. Doch auch hier gilt: Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Faser ist eine optimale Röste und ein schonender Aufschluss.
Glasfasern durch Lein ersetzen
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde von französischen Wissenschaftlern auch das Genom der einzelnen Flachstypen komplett entziffert. Noch ist allerdings unklar, welche Gene in der jeweiligen Flachssorte für Steifigkeit oder Festigkeit verantwortlich sind oder welche Sorte die ideale Zellwandzusammensetzung für homogenes Röstverhalten aufweist. Die bereits verfügbaren Daten sollen nun aber mit denen in Bremen verknüpft werden, um diesen Fragen nachzugehen. Das Potenzial der Flachsfaser für technische Anwendungen ist – bei optimaler Ernte und Aufbereitung– bereits heute hoch. Müssig: „Überall dort, wo es im Leichtbau um biegebelastete Verbundwerkstoffe geht, könnten Flachsfasern eine Alternative zur Glasfaser sein“.
Autorin: Beatrix Boldt