Bakterien in ihrem Habitat kultivieren
Ein spezieller Silikonschwamm ermöglicht es, im Labor nicht kultivierbare Bakterien aufzuspüren und ihre DNA zu analysieren.
Es ist ein Dilemma der Mikrobiologie: Die interessantesten Bakterien leben oftmals in sehr speziellen Habitaten mit Bedingungen, die sich im Labor nicht nachbilden lassen. Deshalb können diese Mikroorganismen auch nicht im Labor kultiviert und erforscht werden. Unzählige Proteine, die vielleicht großes Potenzial für Medizin oder biotechnologische Anwendungen hätten, entziehen sich so der Entdeckung durch den Menschen. Ein Forschungsteam des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) will daran etwas ändern.
Bakterien besiedeln medizinisches Silikon
Wenn die Mikroorganismen nicht im Labor überleben, müssen sie eben in ihrem natürlichen Habitat wachsen: Die Forschenden haben einen speziellen Chip entwickelt, der in das Habitat der Bakterien gegeben werden kann. Dort besiedeln ihn die Mikroorganismen. Nun kann der Chip entfernt und die DNA der Bakterien analysiert werden. Der Clou besteht darin, in den homogenen Silikonchip eine poröse Silikonstruktur zu integrieren. Die Löcher nehmen dann die Mikroorganismen aus der Umgebung auf, gewissermaßen wie ein Schwamm.
„Es ist erstaunlich, dass noch niemand daran gedacht hat, medizinisches Silikon für die bakterielle Ansiedlung zu nutzen“, meint Christof Niemeyer, Professor für chemische Biologie am KIT. Das Material ist leicht zu modifizieren, langlebig, günstig und interagiert nicht mit seiner Umwelt. Dass der Chip grundsätzlich funktioniert, hat das Team zunächst im Labor mit dem etablierten Bakterium Escherichia coli getestet. In unterschiedlichen Habitaten musste der Chip dann beweisen, dass er jeweils innerhalb weniger Tage auch dort lebende Bakterien aufnimmt – mit Erfolg.
Erfolgreiche Tests in unterschiedlichen Habitaten
So konnten die Forschenden aus der Luft einer Hühnerfarm Bakterien der Familie der Actinobacterota identifizieren, Organismen, für die sich die Forschung im Bereich Antibiotika und Krebstherapeutika interessiert. In einem Zuchtbecken für Zander fing der Chip Bakterien einer großen Gruppe von Mikroorganismen ein, die sich bislang hartnäckig der Kultivierung entzogen haben, der sogenannten Candidate Phyla Radiation. „Diese Mikroorganismen machen etwa 70 Prozent der mikrobiellen dunklen Materie aus, da sie bislang nicht kultivierbar sind“, erläutert KIT-Forscherin Anne-Kristin Kaster.
In Klärwasser schließlich zeigten die Forschenden, dass der Chip auch gezielt bestimmte Bakterien aus einem Habitat anreichern kann. So tränkten die Fachleute den Schwamm mit dem Pestizid Glyphosat und lockten so vor allem Cyanobakterien und Desulfobakterien an, die beide das Pestizid für ihren Stoffwechsel abbauen können.
Silikonchip zum Patent angemeldet
„Praktisch dabei ist, dass der Silikonchip – als Kombination von Schwamm und Chip – mit Standardmethoden sehr einfach hergestellt werden kann, in nahezu beliebiger Größe und Stückzahl“, resümiert Niemeyer. Damit habe man ein robustes Forschungswerkzeug, das in praktisch jeder Umgebung eingesetzt werden könne. „Alles deutet darauf hin, dass dieser Chip sehr gut für die systematische Untersuchung von mikrobieller Dunkler Materie geeignet ist und auch interessante Möglichkeiten für die Kultivierung von bisher nicht kultivierbaren Mikroorganismen eröffnet“, freut sich der Forscher. Der Silikonchip wurde bereits zum Patent angemeldet. Über weitere Details berichtet das Team im Fachjournal „ACS – Applied Material and Interfaces“.
bl