Urbane Bioökonomie – nachhaltig wirtschaften in Städten

Grüne Stadt Schmuckbild Intro

Text: Simon Schöbinger

Bereits heute leben mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Die UN prognostiziert, dass dieser Anteil bis zur Mitte des Jahrhunderts auf 70 Prozent anwachsen wird. Die damit einhergehenden Herausforderungen sind gewaltig. Die urbane Bioökonomie nimmt infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Prozesse in den Blick und trägt dazu bei, diesen Megatrend durch biobasierte Lösungen nachhaltiger zu gestalten.

Was ist urbane Bioökonomie?

Viele Herausforderungen für die heutige Gesellschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft kristallisieren sich in unserem zukünftigen Leben in den Städten. Ob Klimaanpassung oder Energiewende, bezahlbares Wohnen oder nachhaltige Mobilität – einfache Lösungen genügen nicht, um sich den Herausforderungen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung zu stellen.

Die Vorteile eines Lebens in der Stadt insbesondere mit Blick auf Arbeitsplätze, Infrastruktur und Mobilität locken weltweit mehr und mehr Menschen in die Städte. Zu den größten Aufgaben der wachsenden Städte zählen die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sowie die Verwertung des anfallenden Abfalls. Dass die dafür notwendigen Lieferketten in deutschen Städten in der Regel gut funktionieren, zeigt sich unter anderem an vollen Supermarktregalen und effizienten Abfallmanagementsystem.

Begrünte Stadtfassade

Da die Menschheit jedoch durch ihren enormen Rohstoffbedarf an die ökologischen Grenzen des Planeten stößt, wird es darauf ankommen, vorhandene Systeme weiter zu verbessern, um eine hohe Lebensqualität für möglichst alle Bevölkerungsgruppen in Städten zu erhalten. Dies betrifft nicht nur die Städte selbst, sondern auch ihr mehr oder weniger direktes Umfeld. Während Lebensmittel in die Städte geliefert, dort konsumiert und entsorgt werden, fehlen die Nährstoffe aus den Überresten andernorts etwa als Dünger auf den Ackerflächen und müssen ersetzt werden, um die landwirtschaftliche Produktion sicher zu stellen. Die Stadt ist heute zumeist eine Sackgasse für viele Stoffströme, mittels derer verschiedenste Produkte aus aller Welt über lange Strecken in die Städte hineintransportiert werden. Am Ende ihres Lebenszyklus verbrennt man diese Produkte oder ihre Reste oftmals zur Energiegewinnung oder recycelt sie in bisher noch zu geringem Ausmaß.

Ob Kaffeesatz, Bananenschalen oder städtischer Grünschnitt: In jeder Großstadt fallen täglich enorme Mengen an biologischen Reststoffen in unterschiedlicher Qualität an. Durch Forschung, neue Technologien und einen Wandel bestehender Infrastrukturen, lassen sich diese Überreste nachhaltig nutzen und Städte aus der Sackgasse für biobasierte Reststoffe auf den Weg zu zukunftsfähigen Innovationen führen. Es gilt in Zukunft noch mehr als bisher den vollständigen Lebenszyklus von Produkten zu betrachten. Was geschieht mit Abfall? Wie können biobasierte Reststoffe effektiver getrennt werden? Können durch Recycling neue Rohstoffe entstehen? Wie können Lieferketten verkürzt oder Lebensmittel in der Stadt energieeffizienter produziert werden?

Diesen und weiteren Fragen widmet sich die urbane Bioökonomie. Diese Wirtschaftsform im städtischen Raum, die auf der Nutzung biobasierter Ressourcen und Biotechnologien fußt, zielt darauf ab, Kreisläufe zu schließen sowie Stoff- und Energieströme möglichst ohne Verluste nachhaltig zu gestalten. Die urbane Bioökonomie bietet durch trans- und interdisziplinäre Ansätze Ideen für die Verwertung von Abfällen, die Etablierung von Kreisläufen und die Produktion von Lebensmitteln, die auf lange Transportwege verzichten. Zudem legt die urbane Bioökonomie einen Fokus auf die Fragen, wie Nahrung in der Stadt produziert und Wertschöpfung aus Recyclingprozessen erzielt werden kann.

Video: Stadt der Zukunft - Wolkenkratzer aus Holz

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Was sind die Bestandteile der urbanen Bioökonomie?

Es gibt bereits eine Reihe von  biobasierten Ansätzen und Konzepten, die vor allem die vielfältigen Herausforderungen, die insbesondere in städtischen Räumen wichtig sind, adressieren. Diese werden als urbane Bioökonomie verstanden. Diese auf urbane Räume fokussierte Bioökonomie ist dabei innovativ und häufig systemisch orientiert, nicht nur in Bezug auf technische sondern auch in Bezug auf soziale Innovationen. Einige Anwendungsfelder der urbanen Bioökonomie werden folgend etwas näher beschrieben:

Können wir zukünftig mehr Lebensmittel direkt von Ort in den Städten produzieren? Begriffe wie „urban gardening“ und „urban farming“ beschreiben zwei ähnliche  Arten des Anbaus von Agrarprodukten im städtischen Raum. Unter das urban gardening fallen etwa der Gemüseanbau auf dem Balkon, der Schrebergarten, die bepflanzte Dachterrasse oder der Schulgarten. Ein Anbau also, der im kleinen Maßstab und für wenige Individuen gedacht und umgesetzt wird.

Das urban farming hingegen nimmt große Dachflächen, etwa von Supermärkten, Einkaufszentren und Parkhäusern sowie Häuserfassaden von Büro- und Wohntürmen oder brachliegende Flächen in den Blick. Hier werden Möglichkeiten ausgelotet, Landwirtschaft im größeren Maßstab in der Stadt zu betreiben. Eine wichtige Aufgabe des urban farming besteht dabei in der Suche nach geeigneten Flächen. Dort geht es neben dem Platz auch um die Energie- und Wasserversorgung sowie die Infrastruktur für den Transport und die Verteilung der produzierten Güter.

Urban farming
Gartenbau in der Stadt

Meist werden die Pflanzen beim urban farming nicht in Erde angebaut, sondern in mit Nährstoffen angereichertem Wasser. In diesem Hydroponik genannten Anzuchtsystem lässt sich der Wasserverbrauch bedarfsgerecht steuern und somit minimieren. Erweitert man diesen Aufbau und integriert beispielsweise eine Fischzucht, in der die Tiere auf natürliche Weise das Wasser, das die Pflanzen versorgt, mit Nährstoffen anreichern, spricht man von Aquaponik. In diesem bereits angewandten Szenario filtern die Pflanzen das Wasser und es lässt sich wieder problemlos in den Fischtank einspeisen. Ein Kreislauf ganz im Sinne der urbanen Bioökonomie. Doch trotz innovativer Konzepte und neuartiger Lösungen stößt die Lebensmittelproduktion in Städten zwangsläufig an Kapazitätsgrenzen und kommt absehbar nicht ohne die Landwirtschaft außerhalb der Städte aus.

Einen aus wirtschaftlicher Sicht wichtigen Aspekt, umfasst daher das „Energie- und Stoffstrommanagement“. Dabei wird der gesamte Lebenszyklus eines Produktes von der Gewinnung der relevanten Primärrohstoffe über die Nutzung bis hin zu Technologien für die Rückgewinnung und Aufbereitung von Sekundärrohstoffen, etwa aus Reststoffen in der Abfallwirtschaft, betrachtet. Bei der urbanen Bioökonomie spielen insbesondere biobasierte Verfahren und neue Biotechnologien eine Rolle bei der Umsetzung dieser Vorhaben. Ver- und Entsorgungssysteme nehmen dabei eine Schlüsselposition ein.und jeder Batterie sind, rückgewinnen. Um eine solche Rückgewinnung flächendeckend in der Wirtschaft zu etablieren sind Technologien nötig, die langfristig wirtschaftlicher sind als der bisherige Abbau.

Video: Stadt der Zukunft - Rohstoff Abfall

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Ein Ansatz, der sich mit Stoffströmen befasst, die erst nach längeren Zeiträumen in den Kreislauf fließen, ist das „urban mining“, frei übersetzt also der Bergbau im städtischen Raum. Urban Mining und Abfallwirtschaft sind keine völlig voneinander losgelösten Ansätze, sondern haben Schnittmengen und ergänzen sich. Der Unterschied zwischen urban mining und Abfallwirtschaft besteht in den Betrachtungsgrenzen beider Ansätze. Die Abfallwirtschaft beschäftigt sich mit dem Abfallaufkommen an sich, dessen Menge, Zusammensetzung und einer bestmöglichen Rückführung der Materialien in den Stoffkreislauf. Urban mining hingegen bezieht den Gesamtbestand an langlebigen Gütern mit ein, um möglichst früh künftige Stoffströme prognostizieren zu können und bestmögliche Verwertungswege abzuleiten – noch bevor Materialien als Reststoffe anfallen.

Prominente Beispiele liefert der Bausektor, der alleine durch die Zementproduktion für rund sechs Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Die Rückgewinnung und Verwertung von Rohstoffen aus dem verbauten Bestand könnte somit einen Teil zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Je höher dabei das Wissen um die gebundenen Materialien ist und die Zeiträume, wann diese wieder aus dem Bestand freigesetzt werden, desto besser können sich die beteiligten Akteure zeitlich und mengenmäßig auf neu entwickelnde Reststoffströme und deren Verwertung einstellen.

Der Handlungsrahmen des urban mining als strategischer Ansatz des Stoffstrommanagements reicht demzufolge vom Aufsuchen, der Erkundung, der Erschließung und der Ausbeutung menschgemachter Lagerstätten bis zur Aufbereitung der gewonnenen Sekundärrohstoffe. Urban mining ist kein gänzlich von der Abfallwirtschaft losgelöster Ansatz, sondern ergänzt diesen und verfügt darüber hinaus über Schnittmengen zum Produktions- und zum Konsumbereich. Neben enormen Stoffströmen aus dem Bausektor spielt auch das Recycling von Elektroabfällen eine große Rolle. So lassen sich Rohstoffe, die zum Teil unter gravierend negativen Auswirkungen für Mensch und Umwelt abgebaut werden, die aber Bestandteil jedes Smartphones

Bioabfall

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Wer sind die wichtigen Akteure der urbanen Bioökonomie?

Wenn es darum geht Konzepte aus der urbanen Bioökonomie zu etablieren, die stark auf Kreislaufwirtschaft bzw. Koppel- und Kaskadennutzung setzen, ist es von besonderer Bedeutung, alle relevanten Akteure zu identifizieren und zusammenzubringen. Die Transformation hin zu einer urbanen Bioökonomie gelingt vermutlich am besten, wenn diese Akteure interdisziplinär zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. Die Akteure kommen nämlich dabei häufig aus unterschiedlichen Bereichen: Politik, kommunale Betriebe, Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft. Sie alle tragen gemeinsam zu einem Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit durch biobasierte Lösungen bei. Stadtverwaltungen sowie Stadtentwicklerinnen und Stadtentwickler sorgen als Schlüsselelemente für die infrastrukturellen Rahmenbedingungen, um die urbane Bioökonomie in die industrielle Praxis zu bringen und neue Wertschöpfungsketten zu etablieren.

Illustration Glühbirne in Straße bei Nacht

Individuelle Fragen, die sich jede Stadt, jede Kommune und jede Metropolregion stellen muss, lauten: Wie gestalten wir zukunftsfähige Cluster und: wo liegen die Vorteile und Schwerpunkte in unserer Region? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen zunächst die Stoffströme der jeweiligen Städte und Regionen erfasst und analysiert werden. Der digitale Wandel und neue KI-basierte Technologien werden dabei künftig eine große Rolle spielen. Mithilfe der Künstlichen Intelligenz lassen sich beispielsweise Lösungen finden, mit denen sich Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltungseinheiten besser vernetzen können.

Bei der Umsetzung der urbanen Bioökonomie können praktisch alle relevanten verarbeitenden Betriebe und Industriezweige in den Blick genommen werden. Großküchen und kommunale Abfallbetriebe als Rohstofflieferanten für die chemische Industrie, Industrieparks als Abnehmer von Klärschlamm, um daraus Phosphor zu gewinnen – der, als Phosphat, hauptsächlich ein wichtiger Bestandteil von Düngemitteln ist. Es entstehen immer mehr Netzwerke dieser Art und zum Akteur kann werden, wer das Potenzial für eine nachhaltigere Wertschöpfung im eigenen Tätigkeitsfeld erkennt und die notwendigen Rahmenbedingungen vorfindet, um die nötigen Maßnahmen für eine Transformation umzusetzen.

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Vielfalt der Ideen einer Kreislaufwirtschaft

Ein wichtiger Akteur für die Etablierung einer urbanen Bioökonomie in Deutschland ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Im Rahmen der Nationalen Bioökonomiestrategie, die Anfang 2020 von der Bundesregierung verabschiedet wurde, fördert das BMBF aktuell bereits verschiedene Forschungsprojekte zur urbanen Bioökonomie. Eines dieser Förderprojekte ist BioBall. BioBall steht für Bioökonomie im Ballungsraum und untersucht u. a. die Entwicklung von Technologien zur Inwertsetzung von Reststoffen. Das Projekt verfolgt in der Metropolregion Frankfurt / Rhein-Main das Ziel, den Klimaschutz durch die Entwicklung von CO2-einsparenden Verfahren zu fördern. Dabei möchte man aus Abfällen und Reststoffen vor allem hochwertige Chemieprodukte fertigen. Erst wenn dieses Potenzial ausgeschöpft ist, werden die Abfälle im letzten Prozessschritt energetisch verwertet.

BioBall ist eines von insgesamt vier größeren Forschungskonsortien, die das BMBF innerhalb der Maßnahme „Innovationsräume Bioökonomie“ fördert (vgl. Bekanntmachung zu den Innovationsräumen Bioökonomie). Der Innovationsraum BioBall wird durch einen eingetragenen Verein koordiniert und gestaltet. Der Verein ist dabei eng verknüpft mit der nationalen und internationalen Forschungs-, Projekt- und Industrielandschaft und bringt neue Impulse für mehr Nachhaltigkeit in die Metropolregion. Eine vorrangige Aufgabe des Innovationsraumes besteht darin, Akteure zu vernetzen und Möglichkeiten für einen Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft aufzuzeigen und sie auch beratend umzusetzen. In einer neuen Podcast-Reihe, die die verschiedenen Akteure und Handlungsmöglichkeiten der urbanen Bioökonomie in der Metropolregion vorstellt, spricht der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von BioBall, Dr. Manfred Kircher, mit Akteuren aus Industrie, Wissenschaft und Stadtentwicklung.

Industriepark Höchst in Frankfurt am Main
Der Industriepark Höchst im Westen von Frankfurt am Main

Der Industriepark Höchst im Westen von Frankfurt am Main ist Teil des Innovationsraumes BioBall. Im Industriepark arbeiten rund 22.000 Menschen. Auf 460 Hektar stellen 90 Firmen in 120 Produktionsanlagen die verschiedensten Produkte her: von Krebsmedikamenten und Insulin über Pigmente und Spezialkunststoffe bis hin zu Pflanzenschutz- und Süßungsmitteln. Der gesamte Industriepark verbraucht dabei jährlich etwa 2.000 Gigawattstunden Strom. Das entspricht 0,5 % des Gesamtverbrauchs in Deutschland. Dazu kommen rund 3.000 Gigawattstunden Wärme.

Gemeinsam mit dem Betreiber des Industrieparks arbeitet BioBall daran, das Potenzial von Stoffströmen im Industriepark Höchst zu analysieren und zu verwerten. Ein Teilprojekt innerhalb von BioBall (RePhoRM – Regionales Phosphorrecycling Rhein-Main) macht sich hierfür die bestehende Infrastruktur im Industriepark zunutze und untersucht die Potenziale zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm. Dieser wird bisher meist verbrannt, um Energie zu erzeugen. (Mehr zum Projekt in diesem Podcast).

Die übriggebliebene Asche, die viel Phosphor enthält, wird anschließend unter Tage entsorgt. Phosphor wird jedoch als Phosphat insbesondere in der Landwirtschaft in großen Mengen dringend als Dünger benötigt. Da es in Deutschland keine abbauwürdigen Phosphorvorkommen gibt, wird nun aus nachhaltigen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten industriell erprobt, wie sich der Rohstoff aus der Asche des Klärschlammes zurückgewinnen lässt.

Dies ist nur eines von mehreren Projekten, um die Potenziale zur Etablierung einer kreislauffähigen Wirtschaft in der Metropolregion Frankfurt / RheinMain zu erschließen. Der Innovationsraum ist ein Leuchtturmprojekt und seine Ideen und Ziele lassen sich auch auf andere Metropolregionen und Städte übertragen. (Hier gibt es weitere Informationen zum Phosphorrecycling im Rahmen der BMBF-Förderung)

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Landwirtschaftliche Produktion in der Stadt

Komplexer und vielschichtiger könnten die Herausforderungen an die gegenwärtigen Agrarsysteme kaum sein: Der Klimawandel sorgt für immer häufiger eintretende extreme Wetterereignisse und veränderte Niederschlagregime führen zunehmend zu Wassermangel in vielen Regionen weltweit. Gleichzeitig verursachen Agrarwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion selbst bis zu einem Drittel der globalen Treibhausgas-Emissionen und sind damit ihrerseits maßgeblich am Klimawandel beteiligt.

Die bereits 2015 gestartete Fördermaßnahme „Agrarsysteme der Zukunft“ des Bundesforschungsministeriums fördert gezielt Projekte, die sich mit neuen zukunftsfähigen Anbausystemen für Lebensmittel befassen. Zwei Projekte untersuchen dabei gezielt das Potenzial von Landwirtschaft im urbanen Raum.

Das Projekt CUBES Circle (Closed Urban modular Energy- and Resource-efficient Agricultural Systems) verfolgt die Vision einer intelligenten Vernetzung von verschiedenen agrarischen Produktionssystemen in geschlossenen Energie- und Stoffkreisläufen in Berlin. In den sogenannten CUBES − bewegliche und stapelbare Würfel − sollen, unter der Verwertung von Reststoffen aus den jeweils anderen Produktionsprozessen, Pflanzen, Insekten und Fische in miteinander vernetzten Produktionseinheiten gemeinsam kultiviert werden. Die Grundprinzipien der Stoffweitergabe entsprechen dabei denen natürlicher Systeme über mehrere Ebenen − von den Produzenten bis hin zu Sekundärkonsumenten.

Die CUBES können extrem vielseitig im urbanen oder suburbanen Raum eingesetzt werden. Ziel ist, mit Hilfe der CUBES die Grundsätze verschiedener geschlossener Kulturverfahren in eine neue Prozesskette zu integrieren. So könnte nicht nur eine Integration in die urbane Umwelt gelingen, sondern es ließe sich auch eine ressourcenoptimierte Produktion fast ohne Reststoffe erreichen.

Urban Farming Projekt CUBES Circle
Die Modulbauweise des Projektes CUBES Circle

Ein weiteres, vom BMBF im Rahmen der Agrarsysteme der Zukunft gefördertes Verbundprojekt arbeitet an einem innovativen kreislaufbasierten Agrarsystem, das den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen gerecht werden kann. Ziel von SUSKULT ist es, ein auf Hydroponik basierendes, innovatives Nahrungsmittelproduktionssystem zu entwickeln und zu etablieren.

Die benötigten Ressourcen sowie Wärme und Wasser bezieht das SUSKULT-Anbausystem dabei direkt aus einer Kläranlage. Alle für die Pflanzenproduktion benötigten Komponenten, insbesondere Phosphor, Kalium, Stickstoff und CO2, sind hier zu finden. Aufgrund der steten Flächenexpansion vieler Städte befinden sich Kläranlagen heute zumeist auch nicht mehr weit entfernt am Stadtrand, sondern zentral, so dass die Transportwege von und zur Kläranlage relativ kurz sind.

Pflanzenanbau im Projekt CUBES Circle
Pflanzenanbau im Projekt CUBES Circle

SUSKULT verfolgt die Vision, dass bis Mitte des Jahrhunderts konventionelle Kläranlagen neben sauberem Trinkwasser auch sämtliche Nährstoffe für eine gartenbauliche Produktion insbesondere im urbanen Raum liefern. Die Grundlage dafür bildet die Entwicklung neuer und innovativer Aufbereitungstechniken, durch welche die vorhandenen Ressourcen gezielt extrahiert und in hochwertige und sichere Nährstoffe für eine kreislaufbasierte Agrarproduktion der Zukunft umgewandelt werden.

 

Projekt Suskult
Klärwerke wie dieses sollen künftig als Nährstofflieferanten für die urbane Landwirtschaft dienen

In einer Demonstrationsanlage, welche auf dem Gelände des Klärwerks Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Duisburg und Oberhausen errichtet wird, sollen die einzelnen Bausteine, von Abwassertechnik bis hin zu den Agrarsystemen, gezielt optimiert werden. Eine in das Gesamt-Projekt integrierte Umfeld- und Systemanalyse wird das Potenzial von SUSKULT als Treiber für die Entwicklung eines nachhaltigen Agrarsystems der Zukunft in Deutschland untersuchen.

Video: Stadt der Zukunft - Urbane Landwirtschaft

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Deutscher Nachhaltigkeitspreis Forschung zur urbanen Bioökonomie

Passend zum Wissenschaftsjahr lobte das BMBF den deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Forschung im Jahr 2020 zur urbanen Bioökonomie aus. Anders als in den Vorjahren prämierte der Forschungspreis erstmals wissenschaftliche Ansätze, die bei einem Ideenwettbewerb entstanden. Im virtuellen Raum trafen sich dafür rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Forschung, Kommunen, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und zahlreichen anderen Feldern, um in interdisziplinären Teams Chancen der urbanen Bioökonomie auszuloten. Im größten Makeathon, der in Deutschland je zu diesem Thema organisiert wurde, ging es um neue Konzepte für die Produktion, Nutzung und Verwertung von biologischen Roh- und Reststoffen. Drei Ideen haben es ins Finale geschafft und werden nachfolgend kurz vorgestellt.

Grüne Schattenspender

Vorbegrünte Pflanzennetze sollen Städte in einen Großstadtdschungel verwandeln und dabei mehrere Probleme gleichzeitig lösen: Die Idee des Teams „Urban Pergola“ ist, ein Verschattungssystem zu entwickeln, das dem Aufheizen von Fassaden und Straßen entgegenwirkt und eine sofortige Kühlwirkung erzielt.  Zusätzlich reinigen die Pflanzen die Luft und binden CO2. Es entstehen zusammenhängende Grünflächen im Stadtbild, die auch natürliche Brücken zwischen städtischen Biotopen bilden. Diese erleichtern es Insekten und anderen Tieren, sich in der Stadt zu bewegen und begrünte Fassaden und Dächer zu erschließen. Urban Pergola könnte auch derzeit praktizierte Urban Farming-Methoden sinnvoll ergänzen, etwa durch den Einsatz von essbaren oder anderweitig nutzbaren Kletterpflanzen.

Bioraffinerie für Lebensmittelabfälle

Ein weiterer Vorschlag, „Waste-to-Resource-Unit“, soll die Umwandlung von organischen Reststoffen in hochwertige Rohstoffe ermöglichen. In Kantinen oder anderen Einrichtungen soll eine Bio-Raffinerie, die Waste-to-Resource-Unit, gemischte Lebensmittelabfälle wie beispielsweise Obst- und Gemüseschalen oder tierische Produkte reinigen und daraus einzelne Bestandteile wie etwa Stickstoff- und Kohlenstoffverbindungen extrahieren. Diese sollen dann zur Kultivierung gesundheitlich unbedenklicher und proteinreicher Mikroalgen im Inneren eines Bio-Reaktors dienen, dem Herz der Bio-Raffinerie.

Je nach Zusammensetzung der Lebensmittelabfälle ist auch die Gewinnung von Pigmenten, Vitaminen oder Antioxidantien für die Lebensmittelproduktion und darüber hinaus denkbar. Die Waste-to-Resource-Unit soll automatisiert arbeiten sowie aufgrund ihrer Container-Bauweise modular und flexibel einsetzbar sein. Lebensmittelabfälle sollen auf diese Weise gleich am Entstehungsort sinnvoll weiterverarbeitet und damit einen Beitrag zur lokalen Wertschöpfung leisten.

 

Nachhaltigkeits-Preisträger Ioopsai
Im Sieger-Projekt Loopsai werden Stoffströme mithilfe von Künstlicher Intelligenz optimiert.

Mit KI Stoffkreisläufe optimieren

Die durch ein Zuschauer-Voting zum Sieger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2020 in der Kategorie Forschung erklärte Idee „loopsai – Künstliche Intelligenz (KI) natürlich integriert“ ist eine intelligente Software, mithilfe derer künftig betriebsübergreifende Lösungen für Stoffkreisläufe entwickelt werden könnten. Loopsai soll demnach die Vernetzung einzelner Stoffströme im Sinne einer Ressourceneffizienz ermöglichen: Wer kauft welche Mengen von welchem Rohstoff ein? Ist dies überhaupt nötig oder ließen sich stattdessen auch die Abfallprodukte anderer Unternehmen verwenden? Die intelligente und leicht anwendbare Software zeichnet hierbei das digitale Ebenbild eines Unternehmens und seiner Bedürfnisse, das man auch als „digitalen Zwilling“ bezeichnet. Loopsai soll in einem Pilotprojekt – einer Pilzfarm, wo Speisepilze auf Kaffeesatz angebaut werden – trainiert werden.

Zwischen der Farm und ihrem digitalen Zwilling entsteht mittels Sensoren ein lernendes Wechselspiel. Dadurch lernt die KI stetig dazu. Schon bald soll sie in der Lage sein, Lösungsvorschläge für komplexe Stoffkreisläufe in allen Wirtschaftsbereichen zu entwickeln. Weiterer Vorteil: Mit dem digitalen Zwilling kann die Auswirkung veränderter Parameter vor einer tatsächlichen Umsetzung in der Praxis getestet werden.

Die KI optimiert dabei nicht nur die Hauptprodukte wie Kaffeegetränke oder Speisepilze, sondern hat auch alle weiteren Stoffströme im Blick: Wie wirkt sich das Beimischen eines weiteren organischen Abfalls zum Kaffeesatz auf die Produktionsmenge einer urbanen Pilzfarm aus? Welche Brühmethode senkt die CO2-Bilanz eines Gastronomiebetriebs maximal, weil der entstehende Bioabfall optimal in Stoffkreisläufe eingespeist werden kann und so gar nicht erst zu Abfall wird? Die Software soll künftig als Open Source zur Verfügung stehen und erfordert nur wenige Informationen, um einsatzbereit zu sein.

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Ausblick

Es gibt zahlreiche Ideen, um urbane Lebensräume nachhaltiger zu gestalten. Einige wurden hier vorgestellt. Bei der Förderberatung des Bundes kann eine Beratung im Hinblick auf passende Fördermöglichkeiten in Anspruch genommen werden. Eine Fördermöglichkeit des BMBF, um Ideen zur urbanen sowie zur Bioökonomie allgemein und ohne großen bürokratischen Aufwand zu verwirklichen, bietet der Ideenwettbewerb „Neue Produkte für die Bioökonomie“.

Dort befassen sich viele Vorhaben mit der biobasierten Herstellung von Stoffen, die für die industrielle Produktion wichtig sind. So liefert etwa ein Baumpilz Enzyme für die biologische Reinigung von Abwässern, während ein weiteres Vorhaben eine „Pille“ erprobt, die übersäuerte Biogasanlagen wieder einsatzfähig macht. Auch Ideen aus der Material- und Werkstoffforschung sowie der Geräte- oder IT-Entwicklung werden bereits gefördert.