Keine Heilung, aber mehr Lebensqualität verspricht ein deutsches Forschungsprojekt für Patienten mit Phenylketonurie (PKU). Mit dieser erblichen Stoffwechselkrankheit wird weltweit etwa jedes zehntausendste Kind geboren. Unbehandelt führt sie zu schweren geistigen Entwicklungsstörungen. Ursache dafür ist ein Überschuss der Aminosäure Phenylalanin, der entsteht, weil der Körper der Betroffenen das in vielen Eiweißmolekülen enthaltenenen Baustein nicht abbauen kann. Letztlich gelangt das überschüssige Phenylalanin über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn und richtet dort Schaden an.
Nur Obst, Gemüse und Aminosäuremischungen
Bislang gibt es eine ebenso einfache wie unbequeme Therapie: lebenslange Einschränkungen bei der Ernährung. Betroffene müssen es vermeiden, Phenylalanin zu sich zu nehmen, also auf alle Arten von natürlichem Eiweiß weitgehend oder im Einzelfall sogar ganz verzichten und sich im Wesentlichen von Obst und Gemüse ernähren. Die so zu einer gesunden Ernährung fehlenden Eiweiße werden in Form von Phenylalanin-freien Aminosäuremischungen supplementiert. Einen besseren Weg will das Forschungsprojekt „Phe-frei3“ entwickeln, das vom Bundesforschungsministerium im Programm „KMU-innovativ: Biotechnologie-BioChance“ von März 2019 bis Februar 2022 mit rund 915.000 Euro gefördert wird. Phe-frei3 steht dabei für die „Biotechnologische Herstellung des Phenylalanin-freien Proteins GSP105 zur Verbesserung des Diät-Managements bei Phenylketonurie“.
Für das Projekt haben sich die metaX Institut für Diätetik GmbH und ein Team des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, ein Protein herzustellen, das kein Phenylalanin enthält, wohl aber alle anderen wichtigen Aminosäuren. „Gut schmeckende Lebensmittel für PKU-Patienten“ beschreibt metaX-Geschäftsführer Bernhard Hoffmann die Vision und nennt als Beispiel Pasta und Veggieburger. „Aminosäuremischungen und hier besonders die unentbehrlichen Aminosäuren sind sehr bitter“, erläutert Yvonne Mücke, die bei metaX die Forschung im Projekt koordiniert. Außerdem lassen sich Aminosäuremischungen nicht stark erwärmen oder anderweitig in Lebensmitteln verarbeiten, wie das mit Proteinen möglich ist. Bislang gibt es daher lediglich Tabletten, Pulver, Drinks und immerhin auch Riegel mit Aminosäuremischungen. Deren Geschmack lässt aber trotz verbesserter Rezepturen noch immer zu wünschen übrig.
Suche nach Proteinen ohne Phenylalanin
Die Forschungspartner haben sich deshalb in Datenbanken auf die Suche nach einem Protein gemacht, das von Natur aus nur wenig Phenylalanin enthält. Mit gentechnischen Methoden wollten sie dann diese Phenylalanin-Reste gegen andere unentbehrliche Aminosäuren austauschen. „Wir haben jedoch schnell gemerkt, dass das Protein sich nicht mehr richtig faltet, wenn wir mehr als zwei oder drei Aminosäuren ersetzen“, erinnert sich IME-Forscher Stefan Rasche. Also verschärfte das Team die Suchkriterien weiter. Maximal ein Phenylalanin durfte nun noch vorhanden sein, außerdem mussten Nährwertparameter und Größe stimmen – und natürlich durfte das Zielprotein nicht toxisch für den Menschen sein. „Wir haben 831.000 Sequenzen gescreent und erhielten nur 15 Treffer“, berichtet Rasche. Komplett frei von Phenylalanin war nur ein einziger dieser Kandidaten.
Die Entscheidung fiel jedoch für ein Protein, das insgesamt attraktiver erschien – und der Austausch einer einzigen Aminosäure erwies sich als problemlos. Das neue Protein ist wie erhofft geschmacksneutral, gut löslich, chemisch stabil und auch tolerant gegenüber erhöhter Temperatur – ideal also für eine Weiterverarbeitung. Außerdem ist das Protein anfällig gegenüber Enzymen aus der Gruppe der Proteasen, was für eine gute Verdaulichkeit spricht. Zugleich bedeutet das aber auch, dass als Produktionsorganismus nur solche in Frage kommen, die eine geringe Proteaseaktivität aufweisen, damit das Protein nicht schon bei der Herstellung wieder zerstört wird. „Wir haben das Protein in verschiedenen Mikroorganismen exprimiert und auch in einem Hochleistungsstamm“, berichtet Rasche von der erfolgreichen Suche.
20 Gramm pro Liter beträgt die aktuelle Ausbeute des Phenylalanin-freien Proteins.
Erfolgreicher Test im Tiermodell
Ein Test im Tiermodell verlief ebenfalls positiv. Bei Mäusen mit Symptomen, die der Phenylketonurie ähneln, erwies sich das Protein als gut verträglich und nutritiv, die Tiere waren vital und ihr Phenylalanin-Spiegel im Blut sank um 80 Prozent gegenüber der Vergleichsgruppe, die normal gefüttert wurde.
„Rein technisch könnten wir in einem Jahr damit an den Markt gehen“, schätzt Rasche, „doch das ist unrealistisch“. Zwar sei die Prozessentwicklung sehr positiv verlaufen: „Wir hatten uns eine Proteinausbeute von 150 Milligramm pro Liter als Mindestziel gesetzt, und der Mikroorganismus lieferte bereits im Labormaßstab drei Gramm pro Liter“, freut sich der FME-Forscher. Heute liegt der Ertrag im Technikumsmaßstab bereits bei etwa 20 Gramm pro Liter. Die Hochskalierung zum Industriemaßstab dürfte daher keine großen Hürden mehr bereithalten. Ähnliches gilt für die Wirtschaftlichkeit, da es den Forschern gelungen ist, den Prozess stark zu verschlanken und die Produktionskosten niedrig zu halten. Denn anders als bei Arzneimitteln sind mit Lebensmitteln nur geringe Margen zu erzielen.
Aufwendige Zulassung als Novel Food
Entscheidend für den Markteintritt wird daher der Zulassungsprozess sein. Das biotechnologisch hergestellte Protein fällt unter die Novel-Food-Verordnung der EU und erfordert daher umfangreiche Sicherheitsnachweise. „Leider sind die Behörden im Vorfeld der Prüfung keine große Hilfe, welche Sicherheitsanalysen in welchem Umfang im jeweiligen Fall zu erbringen sind“, bedauert Yvonne Mücke fehlende klare Vorgaben. Ob die teuren Nachweise am Ende jene waren, die die Behörde für Lebensmittelsicherheit zufriedenstellen, oder ob sie hinausgeworfenes Geld waren, erfahre man erst im Nachhinein. Liegt die Zulassung dann aber vor, gibt es nur noch eine letzte Hürde: „Wir müssen sicher noch Akzeptanz in Fachkreisen schaffen“, vermutet Bernhard Hoffmann. Angesichts der klaren Vorteile gegenüber den heutigen Aminosäuremischungen dürfte der Projekterfolg daran jedoch nicht mehr scheitern.
Autor: Björn Lohmann