Wie Gräser atmen
Michael RaissigBeruf
Biologe
Position
Forschungsgruppenleiter der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „Wassersparende Gräser“ am Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg
Beruf
Biologe
Position
Forschungsgruppenleiter der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „Wassersparende Gräser“ am Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg
Michael Raissig untersucht an der Universität Heidelberg die Funktion der Atmungsporen von Graspflanzen, um deren besondere Effizienz auf andere Kulturpflanzen zu übertragen.
Pflanzen nehmen über sogenannte Atmungsporen Kohlendioxid aus der Luft auf und wandeln es mittels Sonnenlicht zu Sauerstoff und Kohlenhydraten um - das ist das Prinzip der Photosynthese. Doch bei diesem Austausch verlieren die Pflanzen Wasser und bei Dürre und Hitze kann das schnell problematisch werden. Graspflanzen, zu denen auch die wichtigsten Kulturpflanzen Reis, Mais und Weizen gehören, betreiben diesen Stoffaustausch besonders effizient: Ihre Atmungsporen schließen sich sehr schnell, sodass die Pflanzen kaum Wasser verlieren. Gerade mit Blick auf den Klimawandel mitsamt steigenden Temperaturen und anhaltender Trockenheit sind diese Eigenschaften für Pflanzen von großem Vorteil. Am COS der Universität Heidelberg untersucht der Schweizer Michael Raissig derzeit, was die Atmungsporen der Gräser so effizient macht und wie diese Eigenschaften auf andere Kulturpflanzen übertragen werden könnten.
Sie erforschen die mikroskopisch kleinen „Atmungsporen“ auf den Blättern von Gräsern. Was fasziniert Sie an diesem Themengebiet?
Die Atmungsporen sind ein perfektes entwicklungsbiologisches Modellsystem, da sie einfach zugänglich, mit nur zwei Schließzellen und zwei Nebenzellen minimalistisch aufgebaut und essenziell sind. Die Atmungsporen – auch Spaltöffnungen oder Stomata genannt – sind zelluläre Pförtner, die den Gasaustausch zwischen Pflanze und Umwelt regulieren und so die innere Physiologie von Pflanzen mit dem äußeren Klima verbinden. Die Spaltöffnungen erlauben die Aufnahme von CO2, welches mithilfe von Licht in der Photosynthese zu den Kohlenhydraten, die wir essen, und dem Sauerstoff, den wir atmen, umgebaut wird. Gleichzeitig müssen Spaltöffnungen den Wasserverlust durch Verdunstung so gering wie möglich halten. Deshalb sind diese Atmungsporen auch für uns Menschen so relevant und zwar ganz besonders bei Gräsern – alleine die drei Graspflanzen Reis, Mais und Weizen produzieren zwei Drittel der menschlichen Nahrungskalorien.
Wie beeinflusst der Klimawandel mit andauernder Hitze und Trockenheit die Funktion der Stomata?
Die zentralen Schließzellen integrieren konstant sämtliche Umweltbedingungen wie Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Basierend darauf wird die Öffnung der Atmungsporen ständig so angepasst, dass genügend CO2 für eine optimale Photosyntheseleistung aufgenommen werden kann, und gleichzeitig so wenig Wasser wie möglich durch Verdunstung verlorengeht. Da andauernde Hitze und Trockenheit den Wasserverlust durch Verdunstung signifikant erhöhen wird, werden die Stomata in Zukunft weniger geöffnet sein und somit weniger CO2 aufnehmen. Dadurch sinken die Photosyntheseleistung, das Pflanzenwachstum und letztlich auch der Ernteertrag. Dieser Effekt wird vorerst durch den klimawandelbedingten steigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre kompensiert. Studien zeigen aber eindeutig, dass diese Kompensation nur kurzfristig greifen wird.
Was bedeutet das im Hinblick auf die Ernte der wichtigen Nutzpflanzen Reis, Mais und Weizen?
Ganz konkret bedeutet das erhebliche Ernteverluste in den kommenden Jahrzehnten. Der Sommer 2018 war ein Vorgeschmack auf das, was auf uns zukommen wird. Deshalb werden Züchtungsprogramme mit und ohne Gentechnologie – allen voran mit der Genschere CRISPR-Cas – unabdingbar sein und müssen durch die Politik gezielt und großzügig gefördert werden. Trocken- und hitzeresistentere Pflanzen können nur durch eine Kombination von Merkmalen erreicht werden. Dazu gehören effizientere Wurzelsysteme, eine verbesserte Photosyntheseleistung, die CO2 effektiver umsetzen kann, sowie schnelle und wassersparende Spaltöffnungen. Gleichzeitig müssen neue Züchtungen zumindest einen gleich hohen Ertrag bringen und gegen möglichst viele Pflanzenkrankheiten resistent sein.
Dabei „atmen“ die Grasgewächse ohnehin relativ wassersparend – lässt sich diese Effizienz auf andere Nutzpflanzen übertragen?
Wir hoffen natürlich, dass wir von den Gräsern lernen können, wie wir auch die Atmungsporen von anderen Nutzpflanzen effizienter gestalten könnten. Ich denke nicht, dass wir die innovative Anatomie von Gräsern, welche neben den zentralen Schließzellen seitliche Helferzellen besitzen, in anderen Nutzpflanzen rekonstruieren können. Wir untersuchen aber auch, wie genau diese Helferzellen die Schließzellen funktionell unterstützen. Wenn wir diese funktionalen Aspekte in den Nachbarzellen einfacher Spaltöffnungen einbringen können, wäre es denkbar, auch deren Atmungsporen in ihrer Effizienz zu verbessern.
Was steht als Nächstes an?
Wissenschaftlich gesehen würden wir sehr gerne neue Technologien in unserer Modellpflanze etablieren, wie zum Beispiel optogenetische Methoden, die das spezifische und lokale An- und Ausschalten von Genen durch Lichtimpulse erlauben. Wir wollen uns auch neue Pflanzenmodelle erschließen, die anatomisch interessante beziehungsweise physiologisch einzigartige Spaltöffnungen aufweisen. Politisch gesehen braucht es dringend klare und systematische Konzepte, um den Klimawandel und dessen negative Folgen zu reduzieren, sowie den Willen, die Pflanzenbiologie und Züchtung massiv zu fördern und sich zu einem gewissen Grad den neuen Züchtungsmethoden mit der Genschere CRISPR-Cas zu öffnen. Allgemein gesehen braucht es jedoch ein klares Umdenken bezüglich unserer Mobilität, unseres Konsums und unserer Ernährung.
Interview: Judith Reichel