Phosphor ist ein entscheidendes Element für alle Lebewesen und Bestandteil vieler kleiner und großer natürlicher Phosphorverbindungen, in denen Phosphor hauptsächlich an Sauerstoff und Stickstoff gebunden ist. In der Zelle kommen sogenannte phosphorylierte Bausteine sehr häufig bei Zwischen- und Abbauprodukten des Stoffwechsels, den Metaboliten, vor.
Biochemikalien mit Phosphorgruppen sind sowohl in der Forschung als auch in Anwendungen von großem Interesse. Sie werden zum Beispiel als Enzymsubstrate für die Messung von Enzymaktivitäten, für die Entdeckung neuer biologischer Funktionen, als Referenzmaterialien in Analytik und Diagnostik oder als Bestandteil von definierten Zellkulturmedien eingesetzt.
In einem Forschungsverbundprojekt haben Biotechnologen aus Deutschland und der Schweiz nach neuen, industriell anwendbaren Möglichkeiten gesucht, um solche phosphorylierten Metabolite mithilfe von enzymatischen Verfahren zu gewinnen. Koordiniert hat das Projekt Roland Wohlgemuth von Sigma-Aldrich, ein Unternehmen, das seit November 2015 zum Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck gehört. „Phosphorylierte Metabolite und die dabei entwickelten neuen analytischen und präparativen Wege sind von großem Interesse, für die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung in den Lebenswissenschaften, aber auch für nachhaltige Prozesslösungen“, sagt Wohlgemuth.
Stoffwechselprodukte synthetisch herstellen
Im Rahmen des Clusters „Biokatalyse2021: Biokatalyse auf neuen Wegen“ der Förder-initiative Bioindustrie 2021 wurde das Projekt mit dem Titel „Neue biokatalytische Phosphorylierungen von Metaboliten“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2012 bis 2015 über eine Laufzeit von dreieinhalb Jahren mit insgesamt knapp 400.000 Euro gefördert.
Das Verbundprojekt teilte sich in drei übergreifende Teilprojekte auf, innerhalb derer die unterschiedlichen Arbeitsbereiche von den Partnern des Projekts bearbeitet wurden: Im Teilprojekt „Screening“, geleitet von Wolfgang Streit von der Universität Hamburg, wurden verschiedene Methoden und Strategien entwickelt, um für die gewünschten Umsetzungen neuartige phosphorylierende Enzyme aus Bakterien und Archaeen zu finden und zu charakterisieren. Dabei wurde das Potenzial unkultivierbarer Mikroorganismen und deren Metagenom als auch das Potenzial bereits bekannter Organismen erschlossen. Die gesuchten Enzyme mit hoher Aktivität wurden anschließend mithilfe der gut bekannten Labormikrobe Escherichia coli produziert, um damit die Bioverfahren zur Herstellung der phosphorylierten Metaboliten zu entwickeln.
Im Teilprojekt „Biokatalyse“, geleitet von Andreas Liese von der Technischen Universität Hamburg wurden die Anwendung der Enzyme unter Einbezug der Phosphor-Donoren und deren Regeneration, die Bioverfahrenstechnik und die Charakterisierung der enzymatischen Reaktionsschritte bearbeitet, um sie für zukünftige Produktionsverfahren zu etablieren. In dem von Roland Wohlgemuth geleiteten Teilprojekt „Scale Up“ ging es im Hinblick auf industrielle Anwendungen um analytische und technologische Methoden bei der Biokatalyse sowie der Aufreinigung der Produkte im vergrößerten Produktionsmaßstab.
Milde und genaue Einführung von Phosphor
Obwohl phosphorylierte Metabolite und Phosphor übertragende Enzyme in der Natur weit verbreitet sind und in vielen zentralen Stoffwechselprozessen, wie etwa der Glykolyse, eine wichtige Rolle spielen, waren wichtige phosphorylierte Metabolite für Anwender bisher nicht in reiner und stabiler Form verfügbar. Es fehlte sowohl an schonenden und selektiven Syntheseverfahren, wie auch an einer entsprechenden Hochleistungsanalytik.
Die Entwicklung von neuen leistungsfähigen Analyse-Verfahren war zu Beginn des Projekts ein wichtiger Erfolgsfaktor, um Herausforderungen zu erkennen und zu meistern. Ein besonderes Augenmerk legten die Forscher dabei auf die Stabilität der Moleküle – also die Enzyme, die Ausgangs- und Zwischenprodukte und die phosphorylierten Metabolite.Die Analysen der Reaktionen mittels NMR-Spektroskopie und Dünnschichtchromatographie (TLC), auch in Kombination mit der Massenspektroskopie, stellten sich dabei als besonders ergiebig heraus. Sie wurden im Forschungsverbund entsprechend weiterentwickelt, bis nach einigen Feinjustierungen die gewünschten Entwicklungen zur Synthese der Zielmetaboliten gelang.
Spiegelbilder auseinanderhalten
Da die Zielmoleküle in unterschiedlichen räumlichen Strukturen, die sich bildlich gesprochen wie linke und rechte Hand verhalten, standen die Forscher noch vor der Herausforderung der Produktion von genau einer räumlichen Struktur der Zielmetaboliten, was als asymmetrische Synthese bezeichnet wird.
Diese Zielmetaboliten sind wie „Bild“ und „Spiegelbild“, ein Phänomen, das Chemiker Chiralität nennen. Liegen Moleküle nur als „Bild“ oder nur als „Spiegelbild“ vor, bezeichnet man diese als enantiomerenrein. Das Ideal enantiomerenreiner Produkte ist ein hochaktuelles Ziel der asymmetrischen Synthese.
Enzyme als Biokatalysatoren sind darauf spezialisiert, nur eines der beiden Enantiomere herzustellen, was aber in den Synthesen durch entsprechende Analysen auch gezeigt werden muss. Obwohl die beiden Strukturen aus den exakt gleichen Elementen und Bindungen bestehen, können sie sehr unterschiedliche biologische Funktionen ausüben, wie z.B. unterschiedliche Wirkungen von Pharmazeutika auf den Menschen oder unterschiedliche Geruchswahrnehmung von Aromastoffen.
Auf der Suche nach verlässlichen Detektionsmethoden für die Enantiomere haben die Biotechnologen eine Reihe unterschiedlicher Methoden für die verschiedenen Aufgabenstellungen entwickelt, vor allem 31P-NMR-Spektroskopie und die Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) in Kombination mit der Massenspektroskopie.
Wirtschaftliche und wissenschaftliche Ziele
Die Bilanz der Zusammenarbeit lässt sich sehen: es stehen nun wesentlich mehr Enzyme für biokatalytische Phosphorylierungen von Molekülen zur Verfügung, es wurden Verfahren entwickelt sowohl für das Auffinden und Herstellen dieser Enzyme, deren Analyse, als auch für die präparative Phosphorylierung von Metaboliten.
In dem Konsortium wurden in Konsequenz industrielle Prozesse zur Synthese der als Zielmoleküle definierten Phosphor-enthaltenden Stoffwechselprodukte etabliert und die gewonnenen Erkenntnisse wurden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht.
Roland Wohlgemuth erklärt: „Die neuen Erkenntnisse können auch stimulierend wirken für die Entwicklung vieler weiterer neuer Bioprozesse im Zusammenhang mit sicheren, gesunden und umweltfreundlichen industriellen Phosphorylierungen und nachhaltigen Phosphor-Kreisläufen.“
Autorin: Judith Reichel