Lindau: Grüne Chemie für die Zukunft
Beim traditionellen Nobelpreisträger-Treffen am Bodensee stehen diesmal neueste Entwicklungen in der Chemie, der Klimaforschung und der Wissenschaftspolitik im Mittelpunkt.
Die Lindauer Nobelpreisträger-Tagung ist eine sehr traditionsreiche Veranstaltung, bei der sich talentierte Nachwuchswissenschaftler – allesamt jünger als 35 Jahre – mit den Preisträgern über die neuesten Entwicklungen auf ihrem Forschungsgebiet austauschen können. Diesmal sind 420 Nachwuchswissenschaftler und 28 Nobelpreisträger in der Stadt am Bodensee zusammengekommen. Das Treffen findet seit seiner Gündung 1951 jedes Jahr Ende Juni statt. Der Themenfokus wechselt jährlich zwischen Chemie, Physik oder Medizin/Physiologie – dieses Jahr ist die Chemie dran. Als Themenschwerpunkte innerhalb der Chemie wurden drei Gebiete beleuchtet: Zum einen der Umgang mit riesigen Datensätzen für die Reaktionseigenschaften bestimmter Molekülstrukturen (Big Data). Zum anderen der Klimawandel und wie chemische Grundlagenforschung die globale Erwärmung abfedern kann (Stichwort: Grüne Chemie); und zudem machen sich die Forscher in Lindau Gedanken darüber, wie die wissenschaftliche Integrität in einem postfaktischen Zeitalter erhalten bleiben kann.
Wanka: Mit der Forschung Brücken bauen
Die Lindauer Tagungswoche wird gemeinsam vom Kuratorium und der Stiftung der Lindauer Nobelpreisträgertagungen organisiert, mit zahlreicher Unterstützung aus Wissenschaft, Industrie und Politik. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka war die Gastgeberin für das Sommerfest der Wissenschaft in Lindau am Vorabend der Konferenz, und warb während ihred Rede zur feierlichen Eröffnung am vergangenen Sonntag für die Forschung: „Die Wissenschaft kann bessere Brücken bauen als jegliche Diplomatie.“
Die teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler sind aus 78 Ländern für diese besondere Veranstaltung angereist. Sie werden in einem strengen Auswahlverfahren von einem wissenschaftlichen Komitee ausgewählt. Etwa 45 Prozent der Nachwuchswissenschaftler sind weiblich – eine sehr hohe Anzahl in der Chemie, sagt Wolfgang Lubitz, Direktor am Max- Planck-Institut für chemische Energiekonversion. Er ist Vize-Präsident des Kuratoriums der Lindauer Nobelpreistagung und Teil des wissenschaftlichen Vorstands des diesjährigen Treffens.
Nachhaltige Chemie
Die Debatte um den Klimawandel und die globale Erderwärmung ist derzeit nahezu omnipräsent, und so wurde es auch vielfach von den Nobelpreisträgern im Rahmen ihrer Vorträge thematisiert – so wie von Mario Molina, der 1995 zusammen mit Paul Crutzen den Nobelpreis für die Entdeckung und Beschreibung der Entstehung des Ozonlochs erhielt. Er arbeitete zuletzt unter anderem als wissenschaftlicher Berater für die Obama-Administration. Der neuen US-Klimapolitik steht er hingegen äußerst skeptisch gegenüber: „Die Wissenschaft ist weder gut noch böse, sie versorgt uns mit den notwendigen Fakten", sagte Molina in Lindau. Basierend auf diesen Fakten könnten dann konkrete Modelle wie im Fall der globalen Erwärmung berechnet werden. Sobald allerdings Wirtschaft und Politik involviert würden, müsse die Wissenschaft auch für ihre Daten einstehen.
Während sich viele Nobelpreisträger deutlich dafür aussprechen, sich politisch zu engagieren und aktiv der Skepsis gegenüber faktischen Wissen entgegenzustellen, fordern andere, sich wieder mehr auf die ursprünglichen Ziele der Grundlagenforschung zu besinnen und den Problemen praktische Lösungen entgegenzusetzen. Ada Yonath, die 2009 den Nobelpreis für die Entschlüsselung der Funktion von Ribosomen erhielt, forderte die Nachwuchswissenschaftler auf, wieder mehr abseits der ausgetrampelten Forschungspfade zu wandeln, um wirklich innovative Neuerungen entwickeln zu können. Sie ist der festen Überzeugung, dass die Wissenschaft alle Möglickeiten für eine umweltfreundliche und nachhaltige Zukunft bietet.
Die Zukunft erfinden
Ein praktisches Beispiel für solch neue Technologien stellte Bernhard Feringa während seiner Vorlesung vor. Feringa erhielt 2016 den Nobelpreis für die Entwicklung molekularer Maschinen – welche sich bald zu Nanorobotern weiter entwickeln lassen könnten. Seine molekularen Maschinen sind lichtsensitiv. Wenn Licht auf sie fällt, verändern die Moleküle ihre 3D-Struktur. Wird diese Konformationsänderung mehrfach hintereinander wiederholt, werden die Moleküle zu kleinen rotierenden Motoren, die ein enormes Anwendungspotenzial bieten. Die Möglichkeiten reichen von selbstreinigenden Fenstern, oder lichtgesteuerten chemotherapeutischen Mitteln bis hin zu Nanorobotern, die Verschmutzungen in Luft oder Wasser bereinigen könnten. Feringa forderte die Nachwuchswissenschaftler auf, die Entwicklungen weiter voran zu treiben: „Der beste Weg die Zukunft vorherzusagen ist sie selbst zu erfinden.“
Judith Reichel (zur Zeit in Lindau)