Wie Raupen die Abwehr von Kohlpflanzen entschärfen

Wie Raupen die Abwehr von Kohlpflanzen entschärfen

Forschende haben entschlüsselt, wie der Kohlweißling giftige Senföle seiner Nahrungsquelle entgiftet.

Mann in Laborkittel vor einer Pflanze mit zwei Kohlweißlingen
Yu Okamura beobachtet sich paarende Kohlweißlinge.

Pflanzen verfügen über mehrere Strategien, sich gegen Schadinsekten zu schützen: Sie können ihnen mechanisch das Anstechen oder Fressen der Blätter erschweren. Sie können ihren Geschmack oder Nährwert unattraktiv gestalten. Oder sie können noch einen Schritt weitergehen und Stoffe produzieren, die die Fressfeinde schädigen. Doch manchmal schlagen die Insekten im Laufe der Evolution zurück und umgehen diese Abwehrmethoden. Der Kohlweißling ist ein Beispiel dafür.

Pflanzenenzyme zünden die Senföl-Bombe

Die meisten Kreuzblütengewächse, zu denen Kohl, Raps, Meerrettich und Senf zählen, haben eine chemische Abwehrstrategie gegen Schadinsekten entwickelt. Fachleute bezeichnen sie sehr anschaulich als „Senföl-Bombe“: Die Pflanzen lagern in ihren Zellen Senföl-Glycoside ein. Wird das Pflanzengewebe durch den Biss eines Insekts beschädigt, aktiviert die Verwundung Enzyme aus der Gruppe der Myrosinasen. Sie spalten die Senföl-Glycoside und dadurch entstehen giftige Senföle, was die Raupen vertreibt.

Doch offensichtlich sind Raupen des Kohlweißlings vom Senföl nicht sonderlich beeindruckt. Wie frühere Studien schon zeigen konnten, sind daran zwei Enzyme des Tieres beteiligt – NSP (nitrile specifier protein) und MA (major allergen). Sie entstehen aus einem Protein, das viele Schmetterlingsarten in ihrem Darm aufweisen. Lediglich Schmetterlinge, deren Raupen sich von Pflanzen mit Senföl-Glycosiden ernähren, erzeugen aus dem Protein diese beiden Enzyme.

Grüne Raupe auf einem Pflanzenblatt
Die Raupe des Kohlweißlings (Pieris brassicae) verfügt über zwei Darmenzyme, um den wichtigsten Abwehrmechanismus von Kreuzblütlern, die Senföl-Bombe, gezielt außer Kraft zu setzen.

Insektenenzyme entschärfen die Senföl-Bombe

„Wir fragten uns, ob tatsächlich beide Enzyme für die Entgiftung der Senföl-Glycoside und die Überlebensfähigheit der Raupen von Bedeutung sind“, erläutert Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Immerhin hatten frühere Studien gezeigt, dass in verwandten Schmetterlingsarten, die nicht mehr an Pflanzen mit Senfölglycosiden fressen, die Enzyme im Verlauf der Evolution verlorengingen. „Dies weist darauf hin, dass es offenbar kostspielig für Insekten ist, die Aktivität der Enzyme in Abwesenheit der Abwehrstoffe aufrechtzuerhalten“, folgert der Projektgruppenleiter. Außerdem untersuchte das Forschungsteam, ob sich die Funktion der beiden Enzyme je nach Zusammensetzung der Senföl-Glycoside in verschiedenen Kreuzblütengewächsen unterscheidet.

Mittels der Genom-Editierungsmethode CRISPR/Cas9 erzeugten die Forschenden Raupen, denen das eine, das andere oder beide Enzyme fehlten.Wurde nur ein Enzym ausgeschaltet, konnten die Raupen selbst auf Pflanzen mit hohem Gehalt an Senföl-Glycosiden leben, auch wenn sie langsamer wuchsen. Besaßen die Tiere keines der beiden Enzyme, konnten sie sich auf ihren natürlichen Wirtspflanzen aber nicht entwickeln.

Raupen passen ihren Konter an

Weitere Analysen deuteten darauf hin, dass die Raupen natürlicherweise die Aktivität ihrer beiden Enzyme fein abstimmen, um auf die individuell angetroffene Zusammenstellung und Konzentration der Senföl-Glycoside zu reagieren. „Mit Hilfe einer ganzen Reihe von Erkennungs-, Regulierungs- und Entgiftungsmechanismen passen Kohlweißlinge genau an, wie sie verschiedene Senföl-Bomben aus dem Spektrum ihrer Wirtspflanzen entschärfen, wobei sie sowohl auf verschiedene Senföl-Glycoside als auch auf deren Aktivierung reagieren“, resümiert Vogel. Demnach geht es im Wettrüsten zwischen Pflanze und Schadinsekt nicht nur darum, ob die Tiere überhaupt eine Möglichkeit haben, den pflanzlichen Abwehrstoff zu neutralisieren. „Für den Erfolg der Schädlinge sind auch die Regulierung und Aktivierung von Entgiftungsenzymen wichtige Faktoren solch komplexer Interaktionen“, so das Fazit von Vogels Kollege Yu Okamura.

bl