Vom Potenzial molekularer Züchtung
Der Göttinger Agrarökonom Matin Qaim hat das Potenzial neuer Züchtungstechniken für die Ernährungssicherung untersucht und plädiert für ein Umdenken.
Gentechnisch veränderte Pflanzen werden in einigen Ländern seit mehr als 20 Jahren in großem Umfang angebaut. In Europa haben sie bis heute nicht Fuß gefasst, denn die Ablehnung in der Bevölkerung ist groß. Sie begründet sich vor allem damit, dass anfangs artfremde Gene in Pflanzen übertragen wurden. Moderne Methoden der Genom-Editierung sind anders, betont Matin Qaim, Agrarökonom der Universität Göttingen, jetzt im Fachjournal „Applied Economic Perspectives and Policy“ und fordert, regulatorische Hemmnisse zu beseitigen.
Veränderungen wie in der Natur
„Das Problem ist, dass die Zulassungsbehörden in Europa genomchirurgisch entwickelte Pflanzen genauso behandeln wie gentechnisch veränderte Pflanzen mit artfremden Genen“, kritisiert Qaim. Das schüre die öffentlichen Ängste und verhindere die Weiterentwicklung und Nutzung der Technologie in der Landwirtschaft. Anders als in der klassischen gentechnischen Züchtung würden mit genomchirurgischen Methoden jedoch nur gezielte genetische Veränderungen erzeugt, die auch auf natürlichem Wege entstehen könnten, und keine artfremden Gene eingefügt.
Versorgung mit Mikronährstoffen
Hintergrund der Forderung Qaims sind die Resultate seiner Studie zum Potenzial der Landwirtschaft, an die Grüne Revolution anzuknüpfen und nach der Versorgung der Menschen mit Kalorien künftig auch die Versorgung mit Mikronährstoffen zu verbessern. „Das erfordert eine ausgewogenere Ernährung und eine vielfältigere Landwirtschaft mit mehr Hülsenfrüchten, Gemüse, Obst und anderen lokal angepassten Arten“, beschreibt Qaim das Ziel. Gerade diese Pflanzen standen bislang jedoch nicht im züchterischen Fokus oder sind mit herkömmlichen Methoden schwierig zu optimieren. Und auch die bereits weit optimierten Getreide werden durch Klimawandelfolgen vor neue Herausforderungen gestellt, an die sie nicht angepasst sind.
Weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel
Es gehe aber auch darum, Fehler der Grünen Revolution nicht zu wiederholen, sagt Qaim. Die brachte zwar eine Verdreifachung der Erträge, aber erkaufte diese auch mit dem intensiven Einsatz chemischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Molekulare Züchtungsmethoden könnten Pflanzen hingegen so verändern, dass sie resistenter sind gegen Schädlinge, Krankheiten oder Wetterextreme und so weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel benötigen. Auch weitere direkte Ertragssteigerungen wären möglich. „Obwohl Methoden wie CRISPR erst vor wenigen Jahren entwickelt wurden, sind sie bereits erfolgreich in vielen verschiedenen Pflanzenarten eingesetzt worden“, hebt Qaim zudem die Schnelligkeit der Züchtungsmethode hervor. Weitere Vorteile bestehen darin, dass auch kleine Firmen auf diese Weise Forschungsergebnisse zu Produkten entwickeln können. Das würde nicht nur die Vielfalt am Markt fördern. Diese Ansätze seien auch für Entwicklungsländer praktikabel.
Gesellschaftlicher Diskurs gefordert
In seiner Studie hat Qaim die Erfolge der kommerzialisierten gentechnisch veränderten Pflanzen bilanziert und kann damit seine Argumentation stützen. Außerdem zeigt er, welche züchterischen Ziele bereits mit den neuen genomchirurgischen Methoden umgesetzt werden konnten. Derzeit jedoch unterliegen beide Züchtungsmethoden einer strengen Regulation in der EU, die den kommerziellen Einsatz praktisch unmöglich macht, ein Vorgehen, das zum Erstaunen vieler Wissenschaftler 2018 sogar der Europäische Gerichtshof bestätigt hat. Solange es jedoch keine separaten Regelungen für genomchirurgisch erzeugte Pflanzen gibt, solange wird – zumindest in Europa – deren Potenzial nicht gehoben werden können. Daher lautet Qaims Fazit: „Wir brauchen dringend einen anderen gesellschaftlichen Diskurs über neue Züchtungstechnologien, denn diese können einen wichtigen Beitrag für nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssicherung leisten.“
bl