Pfropfung bringt neue Pflanzenart hervor

Pfropfung bringt neue Pflanzenart hervor

Wie Potsdamer Pflanzenphysiologen berichten, können Pflanzen ihr gesamtes Erbgut aus dem Zellkern auf ungeschlechtlichem Weg an einen Partner übertragen. So können neue Arten entstehen.

Natürliche Pfropfung zwischen einer Eiche (links) und einer Buche (rechts). An Verwachsungsstellen wie diesen kann das komplette Erbgut aus dem Zellkern zwischen den beiden Pfropfpartnern ausgetauscht werden.
Natürliche Pfropfung zwischen einer Eiche (links) und einer Buche (rechts). An Verwachsungsstellen wie diesen kann das komplette E

Wie Potsdamer Pflanzenphysiologen berichten, können Pflanzen ihr gesamtes Erbgut auf ungeschlechtlichem Weg an einen Partner übertragen. Entgegen bisherigen Annahmen kann es zum Austausch und zur Neukombination von Erbinformationen aus dem Zellkern kommen, wenn zwei Pflanzen unterschiedlicher Arten miteinander verwachsen. Beide Elternpflanzen können dabei ihre vollständigen Chromosomensätze an die Nachkommen weitergeben. Auf diese Weise können offenbar neue Pflanzenarten entstehen, berichten die Forscher um Ralph Bock vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm im Fachmagazin Nature (2014, Online-Vorabveröffentlichung).  

Durch Pfropfung können in der Pflanzenzüchtung gewünschte Eigenschaften zweier Zuchtsorten miteinander kombiniert werden. Auch auf natürlichem Wege können Pflanzen miteinander verwachsen. Die Erbinformationen der „Eltern“ passen jedoch nicht vollständig zueinander. Lange Zeit dachte man daher, es gebe keinen sogenannten horizontalen Gentransfer zwischen Zellen der Pfropfungsstelle nicht statt. Frühere Arbeiten von Bocks Arbeitsgruppe hatten bereits gezeigt, dass es entgegen der verbreiteten Meinung beim Pfropfen an den Verwachsungsstellen sehr wohl zu einem horizontalen Transfer von Chloroplasten-Genen zwischen verschiedenen Pflanzenarten kommen kann. Nun wollten wir in weiterführenden Experimenten untersuchen,  ob auch ein Austausch der Erbinformation zwischen den Zellkernen  stattfindet“, erläutert Ralph Bock. 

Aufaddierte Chromosomen in aufgepfropften Pflanzen

Wie die Pflanzenforscher nun herausfanden, hält sich Mutter Natur auch hier ein Hintertürchen offen, um der Evolution nachzuhelfen: Tauschen beide Elternpflanzen ihr gesamtes Erbgut aus dem Zellkern aus, werden die Chromosomensätze addiert. Bei der Meiose, der Reifeteilung der Zellen, finden so alle Chromosomen einen Partner. Das ermöglicht den Gentransfer zwischen Zellkernen und die Neuentstehung von Arten. Enthält ein Organismus die Chromosomensätze beider Eltern, sprechen Biologen von Allopolyploidie. 

Neue Art von unkreuzbaren Eltern

Die Forscher pfropften bereits bei Vorversuchen die Tabakpflanzen Nicotiana tabacum und Nicotiana glauca, die normalerweise nicht miteinander kreuzbar sind. Zuvor hatten sie den Arten jeweils ein Resistenzgen gegen zwei unterschiedliche Antibiotika in das Erbgut eingebaut. Aus der Pfropfstelle entnommenes Gewebe kultivierten sie anschließend auf einem Medium, das diese Antibiotika enthielt. So überlebten nur Zellen, die die DNA beider Eltern enthielten.  

Artentstehung binnen einer Generation

In ihrer aktuellen Studie gelang es den Forschern nun, zu zeigen, dass auch gesamte Genome weitergegeben werden. Um nachzuweisen, dass die Doppelresistenz nicht auf dem Austausch einzelner Gene beruht, zählten die Wissenschaftler die Chromosomen der Zellen. „Tatsächlich konnten wir in den resistenten Pflanzen 72 Chromosomen nachweisen“, erläutert Bock,  „das entspricht der Summe der 24 Chromosomen von N. glauca  und der 48 Chromosomen von N. tabacum.“ Es sei nun erstmals gelungen, ohne geschlechtliche Fortpflanzung allopolyploide Pflanzen herzustellen, fügt Bocks Kollegin Sandra Stegemann hinzu. Das Ergebnis ihrer Studie ist evolutionsbiologisch spektakulär: Die neu entstandenen Pflanzen wuchsen besser als ihre Elternpflanzen und konnten fruchtbare Nachkommen erzeugen. Die Pflanzenforscher sprechen daher von einer neuen Art, die sie Nicotiana tabauca tauften.

bb