Nachhaltig kicken auf biobasiertem Kunstrasen

Nachhaltig kicken auf biobasiertem Kunstrasen

Zum Start der Fußball-EM haben Forschende des Innovationsraums BIOTEXFUTURE ihren biobasierten Kunstrasen BioTurf in Aachen vorgestellt. Das innovative Grün ist eine nachhaltige Alternative zum Kunstrasen aus fossilen Rohstoffen.

Aachener Forschende kicken auf biobasiertem Kunstrasen.
Aachener Forschende kicken auf biobasiertem Kunstrasen.

Kunstrasen hat sich in vielen Sportstätten durchgesetzt, weil er sehr pflegeleicht und wetterunabhängig bespielbar ist. Allerdings ist Kunstrasen nicht nachhaltig. Er besteht aus einem Materialmix aus erdölbasiertem Kunststoff und ist meist mit Kunststoff-Granulat verfüllt. Ein solcher Rasen ist kaum zu recyceln und wird meist in Müllverbrennungsanlagen thermisch verwertet. Zudem kann das Mikroplastik-Granulat in die Umwelt gelangen. Aufgrund dieses Umweltrisikos hat die EU die Nutzung von Mikroplastik-Granulat in Kunstrasen ab Oktober 2031 europaweit verboten.

Hier setzt das BioTurf-Projekt an. Ziel der Forschenden war es, einen neuartigen Kunstrasen aus Biokunststoff zu entwickeln. Der sollte im Sinne einer Kreislaufwirtschaft komplett recycelbar sein und zur Lösung des Mikroplastik-Problems ohne Füllmaterial auskommen. Daran haben die Forschenden um Dr. Claudia Post vom TFI – Institut für Bodensysteme an der RWTH Aachen e. V. und Dr. Franz Pursche vom Institut für Textiltechnik gemeinsam mit Experten von der Morton Extrusionstechnik GmbH seit Ende 2021 gearbeitet.

Der Weg zum „grünen“ Kunstrasen

Seit November 2023 liegt der BioTurf im Hochschulsportzentrum der RWTH Aachen aus und wird hier ordentlich bespielt. Bis er dort liegen konnte, hatten die Forschenden einiges zu tun. Doch wie unterscheiden sich herkömmlicher Kunstrasen und BioTurf? Und was macht den BioTurf so nachhaltig?

Eine Grafik erläutert, wie der biobasierte Kunstrasen hergestellt wird.
Die Herstellung von herkömmlichem und biobasiertem Kunstrasen im Vergleich: Der BioTurf setzt auf reduzierten Materialmix, biobasiertes Polyethylen und verwendet weder Mikroplastik-Einfüllgranulat noch Latex-Beschichtung.

Herkömmlicher Kunstrasen besteht aus einem Trägermaterial, in das Kunststoffgarn aus erdölbasiertem Polypropylen eingearbeitet wird (dieses Verfahren wird Tuften genannt). Dieses sogenannte Polgarn erfüllt die Funktion der Grashalme. Auf der Rückseite des Trägermaterials werden die „Polgarne“ mit einer Latexschicht verfestigt. Das verhindert, dass sie während der Nutzung herausgezogen werden. Beim Einbau in das Spielfeld wird diese Struktur dann noch mit Sand und Kunststoffgranulat verfüllt, um die gewünschten Spieleigenschaften auf dem Feld zu erreichen.

BioTurf: Biobasiertes Polyethylen statt erdölbasiertem Polypropylen

Beim BioTurf haben die Forschenden an verschiedenen Stellen angesetzt. Für das Polgarn, die „Grashalme“, nutzen sie biobasiertes Polyethylen statt erdölbasiertem Polypropylen. Den Biokunststoff Polyethylen gewinnen sie aus europäischem Rapsöl und landwirtschaftlichen Reststoffen. Die nötige Stabilität des Polgarns erreichen die Forschenden, indem sie zwei verschiedene Arten „künstlicher Grashalme“ verwenden. Zum einen längere Fasern, die die Rasenlänge bestimmen. Daneben kürzere, stark gekräuselte Fasern, die die längeren „Halme“ stützen. Insgesamt entsteht dadurch eine dichte Struktur, die ohne Mikroplastik-Granulat auskommt. Das Trägermaterial besteht derzeit hauptsächlich aus Polyethylen und wenigen Prozent Polypropylen und wird auf der Rückseite durch eine Recyclingfolie stabilisiert, die aus recycelten Altkunstrasenplätzen besteht.

Thermobonding statt Latexschicht

Auch die Latexschicht haben die Forschenden ersetzt. Denn sie erschwert nicht nur das Recycling, sondern ist aufgrund der langen Trocknung auch sehr energieintensiv. Für den BioTurf haben die Forschenden deshalb ein neues Verfahren entwickelt, um die Fasern auch bei starker Beanspruchung festzuhalten. Beim sogenannten Thermobonding werden die Polgarne auf der Rückseite des Trägermaterials geschmolzen und als Klebstoff für die Einbindung genutzt. Das Trägermaterial besteht derzeit noch aus Polypropylen und wird auf der Rückseite durch eine Recyclingfolie stabilisiert, die aus recycelten Altkunstrasenplätzen besteht.

„Hier liegt auch noch die letzte Herausforderung von BioTurf. Unser Ziel war es, auch noch die Trägermatrix aus Polypropylen zu ersetzen. Wir wollen aber einen Kunstrasen, der zu 100 % aus biobasiertem Polyethylen besteht, was uns bis auf wenige Prozent geglückt ist“, sagt Claudia Post. „Der Knackpunkt ist die exakte Temperatur- und Prozesssteuerung bei der thermischen Verbindung von Polgarn und Trägermaterial.“

Das Polgarn soll schmelzen, während das Trägermaterial noch festbleibt. Das funktioniert bei Polypropylen-Trägern gut, denn Polypropylen schmilzt erst bei höheren Temperaturen als Polyethylen. Sind Polgarn und Trägermaterial beide aus Polyethylen, so schmelzen sie bei gleichen Temperaturen. „Momentan schaffen wir einen stabilen Verbund mit dem Einsatz weniger Prozent Polypropylen im Trägermaterial“, so Post. Doch die Forschenden arbeiten daran, auch diese Aufgabe zu lösen.

Gut für Umwelt und Klima: BioTurf hat sehr gute Ökobilanz

Doch wie nachhaltig ist der BioTurf? Dass er ohne Füllmaterial auskommt, entlastet die Umwelt bereits enorm. Denn damit wird der Eintrag von Mikroplastik-Granulat in die Umwelt verhindert. Doch die Forschenden wollten noch genauer wissen, welche Auswirkungen der BioTurf für Umwelt und Klima hat. Deshalb erstellten sie eine Ökobilanz. Dabei haben sie die Prozesse zur Rohstoffgewinnung, zum Transport und zur Herstellung beobachtet und mit einem herkömmlichen Produkt verglichen.

Herausgekommen ist, dass der BioTurf nachhaltiger ist und einen besseren CO₂-Fußabdruck hat als herkömmlicher Kunstrasen. Das liegt vor allem daran, dass biobasierte Materialien fossile ersetzen, bessere Produktionsverfahren eingesetzt werden und der BioTurf nahezu komplett recycelbar ist. Allerdings ist den Forschenden wichtig, dass dies natürlich nur dann so ist, wenn auch der Anbau der Biomasse und Transport nachhaltig gestaltet werden.

Nahaufnahme des Kunstrasens. Blick durch die Tor-Maschen
Im Hochschulsportzentrum der RWTH Aachen liegt er schon, der biobasierte Kunstrasen.

Vom Labor auf den Platz – wie es weitergeht

Während die Fußballeuropameisterschaft sicherlich noch viele in den nächsten Wochen begeistern wird, kicken auch die Aachener weiter auf dem neuen Kunstrasen. Mit dabei sind Soziologen der RWTH, die selbst auf dem Rasen spielen.

Denn wichtig ist, dass sich der Belag wie bisherige Kunstrasenplätze bespielen lässt, egal ob beim Laufen, Passen oder Schießen. Deren gesammelte Rückmeldung hilft, den neuartigen Kunstrasen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Doch fertig ist das BioTurf-Team erst, wenn der Kunstrasen nach zehn bis zwölf Jahren erneuert werden muss. Denn dann soll der biobasierte Kunstrasen auch wieder recycelt werden – ganz im Sinne einer kreislauffähigen Bioökonomie.

Der Innovationsraum BIOTEXFUTURE

BIOTEXFUTURE ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Innovationsraum zur biobasierten Textilforschung. Der Innovationsraum wird von der adidas AG und der RWTH Aachen koordiniert. Deren Vision ist es, die textile Wertschöpfungskette von erdölbasierten zu biobasierten Textilien gemeinsam zu transformieren.

Mit dem Förderkonzept „Innovationsräume Bioökonomie“ beabsichtigt das BMBF, die Entwicklung bioökonomischer Innovationen als Treiber zu einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft zu unterstützen. Ziel ist es, Forschungsergebnisse umfassender als bisher zu nutzen und Prozesse anzustoßen, die Bausteine eines gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesses im Sinne der Bioökonomie werden.

Text: Sonja Jülich-Abbas (Projektträger Jülich)