Keulenbakterium ist Mikrobe des Jahres 2025
Das Bakterium Corynebacterium glutamicum produziert große Mengen Aminosäuren und Proteine für die industrielle Lebens- und Futtermittelproduktion und ist Hauptproduzent des als umami bekannten Geschmacksstoff Natriumglutamat.
Corynebacterium glutamicum ist der sogenannte hidden champion unter den Bakterien. Im Vergleich zu den Laktobazillen, die als Milchsäurebakterium bekannt sind, erfährt das „Keulenbakterium“ weniger Aufmerksamkeit. Mit der Wahl zur Mikrobe des Jahres 2025 stellt die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) nun dieses eher unbekannte Bakterium ins Rampenlicht und unterstreicht damit sein großes Potenzial für die industrielle Produktion.
Weltmarktführer für Natriumglutamat-Herstellung
Vor allem für die Lebensmittel- und Futtermittelproduktion ist Corynebacterium glutamicum zu einem unverzichtbaren Produktionsorganismus geworden. Die Mikrobe erzeugt nicht nur große Mengen Aminosäuren und Proteine. Mit einer weltweiten Jahresproduktion von 3,5 Millionen Tonnen des Geschmacksstoffs Natriumglutamat ist sie nach Angaben der VAAM auch der „unbekannte Weltmarktführer“ unter den Produktionsorganismen.
Mit Natriumglutamat wird die neben süß, sauer, salzig und bitter als herzhaft geltende fünfte Geschmacksrichtung umami von speziellen Sinneszellen auf der Zunge ausgelöst. Reife Tomaten, Parmesan und Schinken enthalten den Geschmacksstoff von Natur aus. Natriumglutamat wird aber auch als Würzmittel eingesetzt, vor allem in der asiatischen Küche und in Fertigprodukten.
Potenzial für eine kreislauffähige Bioökonomie
Darüber hinaus spielt Corynebacterium glutamicum auch in der Forschung seit vier Jahrzehnten eine große Rolle. So haben Forschende den Produktionsorganismus so verändert, dass er in der Lage war, Aminosäuren auch aus Resten der Biodieselproduktion oder aus Pflanzenabfällen wie Orangenschalen zu erzeugen. „Dies mindert unsere fossile Abhängigkeit und erlaubt einen bioökonomischen Kreislauf aus nachwachsenden Rohstoffen“, begründet das VAAM-Gremium seine Wahl. Die intensive Forschung an den Corynebakterien liefere damit die Grundlage für weitere spannende Anwendungen.
Mikrobielle Produktion von Naturstoffen, Antioxidantien und Peptiden
So werden durch gentechnische Methoden und neue Ansätze der synthetischen Biologie mithilfe der Mikrobe nicht nur Aminosäuren, sondern auch andere Produkte wie gesundheitsfördernde Naturstoffe, Antioxidantien und antimikrobielle Peptide hergestellt.
Aufgrund der länglichen Keulenform der Corynebakterien zählt die Mikrobe zu den sogenannten Keulenbakterien. Die im Boden lebende Mikrobe sei robust und produktiv und für den Menschen völlig harmlos, heißt es. Zwar gibt es auch einige toxische Verwandte unter den Corynebakterien-Arten, die gefährliche Krankheiten wie Diphtherie oder Tuberkulose verursachen. Die Ähnlichkeit im Zellenaufbau mit dem verwandten Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Lungentuberkulose, bietet jedoch auch einen Ansatz, um mithilfe der „Mikrobe des Jahres“ neue Medikamente zu identifizieren. „So deckt Corynebacterium glutamicum die gesamte Bandbreite vom winzigen Forschungsobjekt bis zum Industrieproduzenten im Tonnenmaßstab ab“, resümiert die VAAM.
bb