Bioökonomie unter Druck – und im Aufbruch
Welche Rolle kann die Bioökonomie in einer Welt spielen, die von Krisen und geopolitischen Verschiebungen geprägt ist? Dies war eine der zentralen Fragen auf der 13. Internationalen Bioökonomiekonferenz, die vom 17. bis 19. Juni in Halle stattfand.

Angesichts einer zunehmend instabilen Weltwirtschaft stehen Unternehmen unter Druck, sich zukunftssicher aufzustellen – und gleichzeitig den Ausstieg aus fossilen Systemen zu meistern. Vor diesem Hintergrund kamen rund 100 Entscheider aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen. Eingeladen hatte BioEconomy e.V., der mitteldeutsche Fachverband für Bioökonomie. Joachim Schulze, Vorstandsvorsitzender von BioEconomy e.V., eröffnete die Konferenz mit einem Appell an Zusammenarbeit und Offenheit: „Auf dieser Veranstaltung geht es ums Vernetzen, den Austausch – und darum, die Bioökonomie konsequent weiter voranzubringen,“ sagte er in seinen einleitenden Worten.
Das erste Panel rückte die politischen Rahmenbedingungen in den Fokus. Daniela Thrän, Leiterin des Departments Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), gab einen prägnanten Überblick über die sich rasant verändernde Landschaft bioökonomischer Strategien. „Wir erleben eine dynamische und vielfältige Entwicklung bioökonomischer Politiken weltweit“, stellte sie fest, bevor sie unterschiedliche politische Ausrichtungen in zentralen Ländern skizzierte.
Die USA, einst entschiedener Befürworter biobasierter Innovationen, haben sich zuletzt von früheren Bioökonomiezielen verabschiedet. Ganz anders China: Der aktuelle Fünfjahresplan misst der biobasierten Industrie, der Biotechnologie und verwandten Bereichen große Bedeutung bei. Das Land positioniert sich als zukünftiger globaler Vorreiter in der Biotechnologie, erklärte Thrän und zeigte auf, wie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt den strategischen Wert dieses Sektors gezielt ausbaut.
Auch Brasilien ist einen großen Schritt gegangen: 2024 veröffentlichte das Land seine erste nationale Bioökonomiestrategie. Ziel ist es, mindestens 10 Mrd. Euro an öffentlichen und privaten Investitionen für Projekte zur Wiederherstellung von Ökosystemen und zur Förderung der Bioökonomie zu mobilisieren.
Auf multilateraler Ebene verabschiedete die G20 im vergangenen Jahr unverbindliche, aber richtungsweisende Leitprinzipien für die Bioökonomie – ein symbolischer, aber bedeutungsvoller Schritt. Auch innerhalb der EU steht ein Wandel bevor: Die Europäische Kommission plant, ihre Bioökonomie-Strategie zu überarbeiten und stärker mit den Zielen für Wettbewerbsfähigkeit abzugleichen. Thrän warnte jedoch: Solange Europa keine gemeinsame Linie findet, bleiben Umsetzung und Wirkung begrenzt. “Eine kohärentere europäische Strategie ist dringend erforderlich.“
Janine van Kampen, Politikberaterin im niederländischen Ministerium für Klima- und Energiepolitik, gewährte Einblicke in den niederländischen Ansatz, der sich durch starke institutionelle Unterstützung für strukturelle Übergänge zur biobasierten Wirtschaft hervortut. Eine andere Perspektive bot Inga Rovbutas, Wirtschaftsattachée an der litauischen Botschaft: Zwar ist die Forschungslandschaft in Litauen gut aufgestellt, doch politische Strategien zur Bioökonomie stehen noch am Anfang.
Globale Rahmenbedingungen im Wandel
In der anschließenden Fragerunde diskutierten die Panel-Teilnehmenden die Folgen des US-amerikanischen Kurswechsels. Wird sich der globale Schwung der Bioökonomie dadurch abschwächen? Van Kampen widersprach: „Ganz im Gegenteil. Wir beobachten eine erneuerte Entschlossenheit – in Europa und darüber hinaus. Strategische Autonomie ist überall ein Thema, besonders in der EU – und die Bioökonomie wird zunehmend als Instrument für Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit und geopolitische Unabhängigkeit erkannt.“

Bei der Frage nach den wirkungsvollsten Hebeln für die Beschleunigung des bioökonomischen Wandels betonten die Panelisten die Relevanz klarer regulatorischer Rahmenbedingungen. Diese könnten Nachfrage nach biobasierten Materialien und nachhaltigen Praktiken in der Industrie stimulieren. Allen in der Branche sei inzwischen bewusst, dass man keinen höheren Preis für nachhaltige Produkte verlangen kann, so Joachim Schulze. Das Panel war sich einig: Wirklich notwendig sind Innovationen, die mit konventionellen Produkten mithalten können. Entscheidend sei aber nicht nur technologische Reife, sondern auch ein funktionierender Marktimpuls.
Investitionen, Innovationen und industrieller Schwung: Finanzierung der Bioökonomie
In einer Session zum Thema Finanzierung wies Annika Bülow vom Marktforschungsunternehmen Ceresana darauf hin, dass der Marktanteile biobasierter Produkte zwar wachse, jedoch noch relativ gering seien. Albrecht Läufer stellte SEF Ventures vor – ein neu gegründeter VC-Fonds mit Fokus auf Nachhaltigkeit, der sich aktuell in der Fundraising-Phase befindet. Das derzeitige Fundraising-Umfeld sei extrem herausfordernd, so Läufer. „Nur disruptive Technologien mit großem Skalierungspotenzial haben derzeit Chancen bei Investoren.“ Doch das größte Hindernis liege woanders: „Das Exit-Potenzial ist die größte Herausforderung im VC-Geschäft“, betonte er.
Dennoch sieht Läufer eine Chance: In den nächsten fünf bis zehn Jahren bestehe die Möglichkeit, neue, effizientere Technologien zu erproben und hochzuskalieren – vorausgesetzt, die EU hält an ihrem Ziel fest, ihre Industrie bis 2040 de facto klimaneutral zu gestalten. In der darauffolgenden Session diskutierten Vertreter von Unternehmen wie etwa Neste, UPM Biochemicals, Verbio, und VORN Bioenergy, wie sie dieses Zeitfenster nutzen wollen. Dabei ging es auch um Strategien zur Überwindung des sogenannten „Valley of Death“ – der kritischen Finanzierungslücke zwischen früher Entwicklung und industrieller Skalierung, in der viele biobasierte Innovationen scheitern.
Die Stimmung in der Georg-Friedrich-Händel-Halle, wo das Event stattfand, war optimistisch und vertraut: Man kennt sich in Mitteldeutschland, einer Region mit starker industrieller und chemischer Tradition, die mit großem Elan den Wandel hin zu einem dynamischen Bioökonomie-Standort vorantreibt (zum Dossier "Transformation des Kohlereviers in Sachsen-Anhalt zur Modellregion für die Bioökonomie"). Mit Investitionen und Infrastrukturprojekten, etwa dem Biorefinery-Forschungszentrum in Leuna, stärkt die Region ihre Vorreiterrolle für nachhaltige und zirkuläre Bioökonomie-Innovationen. In zwei Jahren soll die Konferenz zurückkehren und den Dialog über den Fortschritt der biobasierten Transformation fortsetzen - in Mitteldeutschland und darüber hinaus.
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