„Pflanzen als Biopharma-Fabriken nutzen“

„Pflanzen als Biopharma-Fabriken nutzen“

Holger Spiegel

Beruf: Molekularbiologe, Pflanzenforscher

Position: Leiter Forschungsabteilung Pflanzenbiotechnologie Fraunhofer IME, Aachen

Pflanzenbiotechnologe Holger Spiegel
Vorname
Holger
Nachname
Spiegel

Beruf: Molekularbiologe, Pflanzenforscher

Position: Leiter Forschungsabteilung Pflanzenbiotechnologie Fraunhofer IME, Aachen

Pflanzenbiotechnologe Holger Spiegel

Der Aachener Pflanzenbiotechnologe Holger Spiegel erforscht, wie sich Tabakpflanzen im Gewächshaus zu effizienten Molekülfabriken für die Biomedizin umfunktionieren lassen.

Tabakpflanzen als „grüne Bioreaktoren“ für die Medizin: Das sogenannte „Molecular Farming“ ist ein vielversprechender Ansatz der modernen Pflanzenbiotechnologie. Holger Spiegel beschäftigt sich am Fraunhofer-Institut IME in Aachen seit Jahren mit dieser Technologie. Sein Team demonstrierte mit seiner jüngst entwickelten automatisierten Anlage erfolgreich die Eignung der Tabakpflanzen für die Biopharmaproduktion im Kampf gegen die Corona-Pandemie: Aktuell werden in den Aachener Laboren Teile der Hülle des Corona-Virus in Pflanzen synthetisiert und aufgereinigt, die den Nachweis von SARS-Cov-2-Antikörpern im Blut von Patienten ermöglichen. 

Frage

Was ist Molecular Farming?

Antwort

Der Begriff „Molecular Farming“ beschreibt die Nutzung von Pflanzen zur Herstellung von rekombinanten Proteinen, die in der Regel zur Verwendung im medizinischen Kontext gedacht sind. Es kommen dabei in Abhängigkeit vom Produkt und dessen spezifischen Anforderungen verschiedene Pflanzenspezies zum Einsatz. Dazu gehören unter anderem herkömmlicher Tabak, dessen naher Verwandter Nicotiana benthamiana, verschiedene Getreidesorten, und auch sogenannte Suspensionszellen, die ähnlich wie Bakterien oder tierische Zellen in Bioreaktoren kultiviert werden können. Zusätzlich unterscheidet man zwischen „stabilen“ und „transienten“ Methoden, je nachdem ob die zur Herstellung des gewünschten Proteins benötigten Genabschnitte dauerhaft oder nur für den Herstellungsprozess in die Pflanzen eingebracht werden. Wenn Zeit eine untergeordnete Rolle spielt und später große Mengen des gewünschten Proteins benötigt werden, arbeitet man häufig mit stabil transgenen Pflanzen, die man aus Samen immer wieder im gewünschten Maßstab anziehen kann. Wenn es, wie im Falle von Impfstoffen, schnell gehen muss, bieten sich die transienten Systeme an, da hier eine Prozessentwicklung in wenigen Monaten abgeschlossen werden kann, während das Etablieren einer stabil transgenen Pflanzenlinie zum Teil mehrere Jahre dauern kann.

Frage

Welche Wirkstoffe eignen sich für die Herstellung mittels Molecular Farming, können Sie prominente Beispiele nennen? 

Antwort

Als relativ neuer und im Kontext der Pharmaproduktion noch nicht etablierter Ansatz steht das „Molecular Farming“ in Konkurrenz mit den etablierten und zum Teil sehr erfolgreichen Produktionsplattformen. Die Chancen des Molecular Farming liegen deshalb aktuell vor allem im Bereich von Nischenprodukten, die für große Pharmaanbieter nicht interessant genug sind, vor allem dort, wo Besonderheiten des pflanzlichen Herstellungssystems Vorteile bieten kann. Aus einer solchen Nische kommt auch das erste auf dem Markt erhältliche Molecular-Farming-Produkt, ein therapeutisches Enzym zur Behandlung einer erblich bedingten Enzymmangelkrankheit. Dieses Produkt (Glucocerebrosidase) wird in Karottenzellen hergestellt und profitiert in seiner Wirksamkeit von einer Modifikation, die in den Pflanzenzellen besonders leicht dargestellt werden kann. Heißer Kandidat auf einen baldigen Markteintritt ist ein neuer Grippeimpfstoff, der auf Virus-ähnlichen Partikeln beruht und transient in N. benthamiana produziert wird. Hierzu wurden kürzlich klinische Studien mit überzeugenden Ergebnissen  abgeschlossen.

Frage

Wo liegen die Stärken von Tabakpflanzen als Bioreaktoren im Vergleich zu mikrobiellen Systemen und Säugetierzellen?

Antwort

Tabakpflanzen, bzw. Pflanzen im Allgemeinen, können sehr kostengünstig kultiviert werden. In der Regel werden nur Wasser, Licht und einige Mineralsalze als Dünger benötigt. Zum Anbau wird im Unterschied zu Bioreaktor-basierten Prozessen in der Regel kein spezielles Equipment benötigt. In Bezug auf Wirkstoffe konkurriert „Molecular Farming“ weniger mit Bakterien, sondern eher mit tierischen Zellkulturen, wo teure Spezialmedien benötigt werden und sehr steril gearbeitet werden muss.  Besonders auf transienter Herstellung beruhende Prozesse kommen, falls notwendig, auch mit „Low-Tech“-Lösungen zur Bereitstellung der Biomasse aus. Hier ist man dann auch in Bezug auf die Produkte extrem flexibel, da die Biomasse günstig vorgehalten und für jeweils benötigte Produkte eingesetzt werden kann. Wenn mit stabil transgenen Pflanzen gearbeitet wird, besteht ein großer Vorteil darin, dass man große Mengen Samen über lange Zeiträume lagern und bei Bedarf aussähen kann.

Frage

Wo sehen Sie Meilensteine in Forschung und Entwicklung, durch die Molecular Farming zu einer immer weiter ausgereiften und praktikablen Produktionstechnologie geworden ist? 

Antwort

Ich bin gar nicht sicher, ob man bei der Entwicklung des „Molecular Farming“ wirklich von Meilensteinen reden kann oder sollte. Allein die Tatsache, dass wir es mit so vielen grundsätzlich verschiedenen Ansätzen (stabil, transient, Suspensionszellen) zu tun haben zeigt, dass hier nicht von konkreten, einzelnen Durchbrüchen  die Rede sein kann von einem Durchbruch die Rede ist. Ich denke, die von verschiedenen Teams aus Wissenschaft und Wirtschaft realisierte Translation des transienten Systems in größere, zum Teil automatisierte Anlagen hat der öffentlichen Wahrnehmung der Technologie großen Schwung verliehen. Die Existenz solcher Kapazitäten ist ja auch die Grundlage, im richtigen Moment startklar zu sein, wenn sich mal kurzfristig eine Möglichkeit bietet, sei es zur Produktion von Impfstoffen oder diagnostischen Reagenzien. Auch die Zulassung der Glucocerebrosidase aus Karottenzellen als Medikament war in gewissem Sinne ein Meilenstein, da hier zum ersten Mal offiziell „bescheinigt“ wurde, dass in Pflanzen hergestellte Medikamente sicher und wirksam sind. Unter diesem Gesichtspunkt war auch die dem Fraunhofer IME in Aachen erteilte Herstellungserlaubnis zur Produktion eines HIV-spezifischen Antikörpers in stabil transgenen Tabakpflanzen sicher ein wichtiger Schritt.

Frage

Wie funktioniert die automatisierte Anlage bei Ihnen am Fraunhofer IME?

Antwort

Am Fraunhofer IME in Aachen haben wir in Kooperation mit dem benachbarten Fraunhofer IPT eine automatisierte Anlage (Vertical Farming Unit, VFU) zur Kultivierung und transienten Transformation von N. benthamiana Pflanzen aufgebaut. Von automatischer Aussaat, über die Kultivierung in einem Hochregalsystem mit kontrollierbarer Belichtung, Bewässerung und Düngung, bis hin zur Ernte und transienter Transformation erfolgen hier fast alle Schritte automatisiert mit einem Minimum an Personalaufwand. Hierbei kommen neben Standardlösungen aus dem Bereich Robotik und Fördertechnik auch maßgeschneiderte Lösungen zum Einsatz. Mit der Anlage lassen sich wöchentlich 50-100 kg Pflanzenbiomasse herstellen, die dann anschließend zur Produktion von Wirkstoffen genutzt werden kann. Mit der Anlage ist es dadurch möglich „Molecular Farming“- Prozesse zur Herstellung von Wirkstoffen im großen Maßstab durchzuführen.

Frage

Bitte erläutern Sie das Coronavirus-Projekt am IME. Welche Mengen an Proteinen können Sie herstellen, wer sind die Abnehmer?

Antwort

Um die Leistungsfähigkeit der automatisierten Anzuchtanlage (VFU) unter realistischen Bedingungen zu testen, wurde im Frühsommer 2020 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie die Entwicklung eines Pilotprozesses zur Herstellung einer SARS-CoV-2-Spikeproteinvariante als potenzielles diagnostisches Reagenz durchgeführt. Innerhalb von 3 Monaten konnten alle wichtigen Prozessparameter von der transienten Transformation der Pflanzen mit dem Genkonstrukt bis hin zur Reinigung der Zielproteine etabliert und optimiert werden. Zum Abschluss des Projektes wurde ein Testlauf mit 400 in der VFU produzierten N. benthamiana Pflanzen durchgeführt. Die Eignung des dabei in Pflanzen produzierten und anschließend gereinigten SARS-CoV-2 Spikeproteins als Reagenz zum Nachweis von Virus-spezifischen Immunantworten wurde in nachfolgenden Analysen mit inaktivierten Patientenseren bestätigt. Der etablierte Prozess erlaubt die Herstellung von bis zu 2 Gramm SARS-CoV-2 Spikeprotein pro Woche, in Abhängigkeit vom Assay-Format ist dies ausreichend für die Herstellung von über 100.000 Antikörpertests.

Interview: Philipp Graf