„Myxobakterien haben einen faszinierenden multizellulären Lebensstil“

„Myxobakterien haben einen faszinierenden multizellulären Lebensstil“

Rolf Müller

Beruf:
promovierter Pharmazeut

Position:
Professor für Pharmazeutische Biotechnologie an der Universität des Saarlandes und Geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS)

Rolf Müller
Vorname
Rolf
Nachname
Müller

Beruf:
promovierter Pharmazeut

Position:
Professor für Pharmazeutische Biotechnologie an der Universität des Saarlandes und Geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS)

Rolf Müller

Leibniz-Preisträger Rolf Müller sucht in Myxobakterien nach neuen Naturstoffen mit innovativer Wirkweise zur Behandlung von Infektionskrankheiten.

Myxobakterien sind weitverbreitete Bodenbakterien mit dem Talent, eine Vielzahl von Naturstoffen zu produzieren – und das praktisch überall: im Meer genauso wie im Boden oder im Kompost. Rolf Müller gehört zu den Pionieren der myxobakteriellen Wirkstoffforschung und wurde dafür unlängst mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet. Seine Passion ist die Suche nach Naturstoffen mit innovativen Wirkweisen, um Infektionskrankheiten zu behandeln. Im Fokus stehen dabei auch Substanzen für neue Antibiotika. Ein Breitbandantibiotikum zeigt im Tierversuch bereits vielversprechende Ergebnisse. Im Laufe seiner Forschung hat der promovierte Pharmazeut eine Stammsammlung etabliert, die mittlerweile 10.000 Myxobakterienstämme aus aller Welt umfasst.

Frage

Was macht Myxobakterien für Sie interessant?

Antwort

Myxobakterien sind in meinen Augen faszinierende Mikroorganismen, die als Bakterien einen einzigartigen multizellulären Lebensstil aufweisen: Sie jagen Beuteorganismen wie Hefen und andere Bakterien im Rudel (als sich bewegender Schwarm) und bilden unter Nährstoffmangel komplexe, multizelluläre Fruchtkörper mit Myxosporen aus. In diesen wird ein Großteil des Schwarms geopfert, um das Überleben der restlichen Individuen zu gewährleisten. Im Verlauf dieser Prozesse bilden Myxobakterien eine Vielzahl unterschiedlichster niedermolekularer Naturstoffe. Diese Substanzen sind für uns von größter Bedeutung, da ihre Wirkung auch für verschiedene potenzielle Anwendungen in der Humanmedizin relevant ist. Konkret suchen wir hierbei nach neuen Substanzen mit innovativen Wirkweisen zur Behandlung von Infektionserkrankungen. Wir versuchen so, das im Verlauf der Evolution entstandene chemische Jagdarsenal der Myxobakterien zu verstehen und für unsere eigenen Anwendungen zu optimieren.

Frage

Welches bioökonomische Potenzial steckt in den Bodenbakterien?

Antwort

Ein großer Vorteil von Myxobakterien gegenüber anderen Naturstoffproduzenten ist, dass sie in der Vergangenheit nur wenig intensiv erforscht worden sind und deshalb die Gefahr der Wiederentdeckung bekannter Wirkstoffe gering ist. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass ihre Isolierung aus Boden- und Meeresproben aufwändig ist und eine Kultivierung im Labor mehr Geduld verlangt als beispielsweise bei den meisten Modellbakterien und vielen Aktinomyceten. Wir konnten aus Myxobakterien unter anderem Substanzen isolieren, die hohe Wirksamkeit und oft auch Selektivität gegen Bakterien, Viren, Pilze und auch Krebszellen zeigen. Die potenziellen Anwendungsmöglichkeiten sind also äußerst vielfältig und gerade im Rahmen der Antibiotikakrise von hoher Bedeutung. In einem aktuellen Forschungsprojekt verwenden wir außerdem einen Stoffwechselweg aus Myxobakterien, um Omega-3-Fettsäuren in Yarrowia lipolytica, einer Hefeart, herzustellen. An dieser Stelle besteht ebenfalls hohes bioökonomisches Interesse, da diese Substanzen bisher hauptsächlich aus immer weniger verfügbarem Fischöl gewonnen werden.

Frage

Inwiefern unterscheiden sich die von Myxobakterien produzierten Naturstoffe von denen anderen Mikroorganismen?

Antwort

Chemisch gesehen gibt es kein allgemeines Merkmal, anhand dessen sich myxobakterielle Naturstoffe von denen anderer Bakterien unterscheiden lassen. Die gefundenen Naturstoffe weichen bedeutsamerweise in ihren Grundstrukturen aber praktisch alle signifikant von bereits bekannten Stoffen ab, so dass die myxobakteriellen Wirkstoffe durchaus einen alternativen dreidimensionalen Strukturraum abbilden. In der erwähnten Studie konnten wir zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, strukturell neue Moleküle zu finden, nur dann sehr gering ist, wenn wir in Stämmen suchen, die mit bereits bekannten und analysierten Produzenten phylogenetisch eng verwandt sind. In Korrelation mit steigender phylogenetischer Distanz hingegen steigt die Chance, neue, spannende Substanzen zu finden, massiv an. Das spielt uns in die Karten, da wir bei unserer Suche nach Myxobakterien regelmäßig nicht nur neue Spezies, sondern auch häufig Arten und sogar erste Repräsentanten neuer Familien oder Unterordnungen isolieren. Bei den etablierten Naturstoffproduzenten ist schon die Isolierung einer neuen Art ein sehr seltener Vorgang. Gleichzeitig kommen Myxobakterien in hoher Abundanz in praktisch allen Bodenproben vor und die Vielfalt an produzierten Substanzen ist bei Myxobakterien nicht geringer als bei den bislang herausragenden, aber auch über Jahrzehnte sehr intensiv beforschten Aktinomyceten.

Frage

Für welche Anwendungen können Myxobakterien Naturstoffe liefern?

Antwort

Myxobakterielle Naturstoffe bieten wie bereits erwähnt ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten. Das Thema, mit dem wir uns am intensivsten beschäftigen, sind neue Substanzen zur Bekämpfung (multi)resistenter humanpathogener Bakterien. Bei den Antibiotika, die in den vergangenen 30 Jahren auf den Markt gekommen sind, handelt es sich praktisch durchweg um Vertreter bereits bekannter Wirkstoffklassen. Unser Ansatz hingegen zielt darauf ab, strukturell neue und damit resistenzbrechende Moleküle mit innovativen Wirkprinzipien aus Myxobakterien zu identifizieren und nachfolgend für die Anwendung am Menschen zu optimieren. Dies ist neben der konsequenteren Einhaltung von Hygienemaßnahmen und einem reduzierten Einsatz von Antibiotika, vor allem in der Tierzucht, eine der wenigen Möglichkeiten, um im kontinuierlichen Wettlauf mit resistenten Erregern nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Frage

Sie haben im Laufe Ihrer Forschung eine Stammsammlung etabliert, die mittlerweile 10.000 Myxobakterienstämme aus aller Welt umfasst. Gibt es Habitate, wo Myxobakterien besonders häufig auftreten?

Antwort

Myxobakterien kommen fast überall vor, egal ob im Regenwald, an der Küste, in marinen Proben oder im Komposthaufen hinter dem Haus. Die Wahrscheinlichkeit neue Myxobakterien zu entdecken, ist an außergewöhnlichen Orten auch nicht unbedingt höher, als in der Wiese oder dem Wald nebenan. Obwohl unsere Sammlung auch Proben aus verschiedensten Gebieten rund um die Welt umfasst, sind Bodenproben aus der Umgebung für uns daher nicht weniger wertvoll. Genau aus diesem Grund haben wir die Bürgerwissenschaftskampagne „Sample‘ das Saarland“ ins Leben gerufen, bei der Bürger aus ganz Deutschland aufgerufen sind, uns Bodenproben zu senden. Aus diesen isolieren wir dann Myxobakterien und geben den Teilnehmern anschließend Rückmeldung, was wir finden konnten und wie es damit weitergeht.

Frage

Wo liegen die Hürden, Naturstoffe aus Myxobakterien zu etablieren?

Antwort

Leider sind die Hürden auf dem Weg in die Anwendung ebenso vielfältig wie die Naturstoffe selbst. Im Laufe der Evolution wurden diese Substanzen für die Anwendung im jeweiligen Lebensraum optimiert, nicht aber für den Einsatz in der Humanmedizin. Zum Beispiel müssen wir bei der Entwicklung eines Naturstoffes zum Medikament besonders darauf achten, dass der Wirkstoff im Menschen keine ungewünschten Nebenwirkungen verursacht, nach Aufnahme und bei der Applikation auch stabil ist und an seinen gewünschten Wirkort im Körper gelangt. Dazu kommt, dass wir den Wirkstoff in relativ großen Mengen für die vielfältigen Untersuchungen und Optimierungen benötigen. Falls die biotechnologische Produktion in Bakterien auch unter Verwendung aller uns bekannten genetischen und verfahrenstechnischen Tricks in diesem Maßstab nicht möglich ist, bleibt der alternative Weg über synthetische oder semisynthetische Chemie. Da Naturstoffe in der Regel allerdings äußerst komplexe Strukturen aufweisen, ist die chemische Produktion ebenfalls eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

Frage

Gibt es Naturstoffe aus Myxobakterien, die bereits für bestimmte Anwendungen vorgesehen sind, und wie weit ist die Entwicklung vorangeschritten?

Antwort

Epothilon, ein Wirkstoff, der an unserem Helmholtz-Zentrum vor der Jahrtausendwende aus dem Myxobakterium Sorangium cellulosum isoliert wurde, wird in den USA seit 2007 als Medikament zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt. Wir treiben derzeit die Entwicklung der Cystobactamide voran, die wir vor etwa acht Jahren entdeckt haben. Hierbei handelt es sich um eine völlig neue Naturstoffklasse, die als Breitbandantibiotikum eingesetzt werden kann und tierexperimentell sehr gute Effektivität zeigt. Für die Entwicklung sind wir eine Forschungskooperation mit der Firma Evotec eingegangen und möchten die Cystobactamide zeitnah in klinischen Studien testen. Derzeit wird das Projekt für eine Ausgründung mit dem Namen Myxobiotics vorbereitet, welche die nächsten Schritte bis zur klinischen Prüfung vorantreiben soll. Ein weiteres Projekt in Kooperation mit der Uniklinik in Bonn beschäftigt sich mit einem anderen myxobakteriellen Naturstoff, der ebenfalls in Tiermodellen hervorragende Aktivität u. a. gegen die Flussblindheit zeigt. Hier haben wir ein biotechnologisches Produktionsverfahren entwickelt, welches aktuell in einem beauftragten zertifizierten GMP-Labor eingesetzt wird, um die Substanz im großen Maßstab für die anstehenden Sicherheitsstudien herzustellen, welche der klinischen Erprobung noch voranstehen.

Interview: Beatrix Boldt