„Moderne Agrarsysteme können Emissionen drastisch reduzieren“
Volkmar KeuterBeruf:
Maschinenbauingenieur und Ingenieur der Bioverfahrenstechnik
Position:
Abteilungsleiter Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT
Beruf:
Maschinenbauingenieur und Ingenieur der Bioverfahrenstechnik
Position:
Abteilungsleiter Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT
Volkmar Keuter forscht am Fraunhofer UMSICHT an neuen Verfahren und Materialien für hochwertige pflanzliche Produkte aus urbaner Agrarproduktion.
Die urbane Agrarproduktion hat enormes Potenzial. Davon ist Volkmar Keuter überzeugt. Am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT befasst sich der Forscher seit Jahren mit modernen Kultivierungstechniken, um die Agrarproduktion in den Städten ressourcen- und flächeneffizient zu gestalten. Im Fokus stehen dabei vor allem Indoor- sowie Vertical-Farming-Systeme. Dabei interessiert Keuter insbesondere, wie man die Pflanzenqualität steigern kann. Seine Forschung zeigt: Der Ertrag in kontrollierter Umgebung ist um ein Vielfaches höher. Mit dem Ziel, regionale und hochwertige pflanzliche Produkte zu entwickeln, wurde bereits vor mehr als zehn Jahren am Fraunhofer UMSICHT die Dachmarke inFARMING etabliert.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff inFarming und welches Ziel ist damit verbunden?
InFARMING® steht für integrierte Agrarwirtschaft. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Entwicklungsplattform, die wir am Fraunhofer UMSICHT im Jahr 2010 initiiert haben. In fünf Forschungsfeldern – Integrierte Düngemittelproduktion, Energierückgewinnung, Materialentwicklung, Dynamische Belichtungssteuerung sowie Sensorentwicklung und Anwendung – entwickeln wir neue Technologien, die eine gebäudeintegrierte Pflanzenproduktion am Ort des Bedarfs wirtschaftlicher, effizienter und qualitativ hochwertiger macht. Darüber hinaus beraten und unterstützen wir Unternehmen oder Kommunen bei Umsetzungsfragen.
Welche modernen Kultivierungsmethoden haben sich im Rahmen Ihrer Forschung als besonders geeignet für den urbanen Raum erwiesen?
Da für die kontrollierte Kultivierung (CEA) unter Glas beziehungsweise komplett geschlossen in Indoor- oder Vertical-Farming-Systemen überwiegend substratlose Kultivierungsverfahren wie die Hydro- oder Aeroponik eingesetzt werden, spielen diese Verfahren in unseren Forschungen natürlich die größte Rolle. Aquaponische Systeme spielen bei uns eher keine Rolle, da wir das Potenzial für eine Nährstoffrückgewinnung aus anderen Stoffströmen im urbanen Kontext deutlich größer einschätzen.
Wo sehen Sie das größte Potenzial moderner Agrarsysteme?
Moderne Agrarsysteme haben entscheidende Vorteile vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Klimawandels und den Umweltfolgen traditioneller Kultivierungsmethoden. Durch interne und externe Kreisläufe können sie sowohl Emissionen drastisch reduzieren als auch eine von Importen nahezu unabhängige Produktion von pflanzlichen Rohstoffen garantieren. Wir sprechen bei den externen Kreisläufen auch gerne von einer Sektorkopplung. Trotzdem werden wir auch zukünftig nicht alle Produkte in solchen kontrollierten Umgebungen kultivieren können.
Beim Indoor-Farming wachsen Pflanzen in Hydrokultur unter LED-Licht.
Welche Pflanzen eignen sich besonders dafür? Können diese Produkte mit denen vom Feld hinsichtlich Ertrag und Nährstoffgehalt mithalten?
Die Frage kann die Pflanzenforschung vielleicht besser beantworten. Ich glaube es sind sehr viele. Uns interessiert immer die Pflanzenqualität und wie man diese steigern beziehungsweise auch zerstörungsfrei messen kann. Und dabei besonders die inneren Werte, das heißt beispielsweise der Gehalt an sekundären Inhaltsstoffen. Wir untersuchen dies nicht nur an Gemüsepflanzen oder Kräutern, sondern auch an Heil- und Medizinalpflanzen, die sich für eine direkte Weiterverarbeitung in Deutschland eignen, zum Beispiel in der Kosmetikindustrie. Der Ertrag in der kontrollierten Umgebung ist um ein Vielfaches höher, saisonunabhängig, und der Gehalt an Nährstoffen ist identisch oder sogar besser.
Trotz aller Fortschritte: Deutschland spielt beim Indoor-Farming noch eine untergeordnete Rolle.
Was muss getan werden, damit moderne Anbausysteme auch in Deutschland aus der Nische kommen? Wo muss technisch nachjustiert werden?
Tatsächlich, der deutsche Markt ist immer noch sehr stark geprägt von Start-ups und Forschungsinstitutionen. Das führt zu vielen kleinskaligen "customized" Lösungen. Eine hochskalierte Standardisierung kann hier helfen. Dennoch sehen wir gerade, dass aufgrund der Folgen des Klimawandels und eines sich anbahnenden Wettbewerbs um die Wasserressourcen, die Anbaufläche unter Glas, das heißt in Gewächshäusern stark zunimmt. Gewächshäuser sind derzeit von den Investitions- und Betriebskosten noch deutlich günstiger. Aufgrund der Veränderungen am Energiemarkt, gehen wir davon aus, dass das aber nicht auf ewig in Stein gemeißelt ist. Indoor-Farming-Systeme werden dann ihre Vorteile ausspielen können. In Dänemark werden solche Systeme beispielsweise komplett mit Windstrom betrieben. Aber natürlich gibt es darüber hinaus noch zahlreiche Anknüpfungspunkte für technologische Entwicklungen.
Welchen Beitrag kann und muss die Forschung leisten, um den Wandel der Agrarsysteme voranzutreiben?
Wir sehen uns als Partner von interessierten Umsetzern und schieben dieses Thema aus technologischer Sicht an. Aber natürlich ist die Transformation der Agrarwirtschaft nur im gesamtgesellschaftlichen Kontext möglich. Die Debatten dazu laufen und mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Forschung beteiligen wir uns an diesen Debatten gerade auf der politischen Ebene und allen beteiligten Akteursebenen.
Interview: Beatrix Boldt