Die Textilfuturistin
Bea Brücker
Beruf:
Biodesignerin und Materialforscherin
Biopionierin für:
Biobasierte Textilien & Modeaktivismus
Neben einer Industrienähmaschine sprudelt das Wasser in zylindrischen Algentanks, auf Schneiderpuppen hängen skulpturale Outfits mit dreidimensionalen Mustern und an den Wänden finden sich Moodboards mit Designentwürfen und Botschaften, wie „Let’s Panic“ und „Dying out loud“.
Wir sind im Atelier von Bea Brücker in Berlin-Charlottenburg.
Hier arbeitet die Modedesignerin an den Entwürfen für ihr nächstes Projekt. Auf einem hohen Arbeitstisch löst sie ihr neuestes Stück aus der Form: Hervor kommt eine zerfurchte Landschaft in dunklem Grün. Ihr Grundmaterial sind nicht Baumwolle oder Polyester, sondern Biomaterialien – hergestellt aus Algen und mit Hilfe von Mikroorganismen.
Als sie sich während ihres Studiums an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg erstmals ernsthaft mit den Problemen der Modebranche auseinandersetzt, will sie ihr Studium eigentlich sofort wieder schmeißen, um nicht Teil einer Industrie zu sein, die auf Ausbeutung von Mensch und Natur basiert. Doch dann stößt sie auf Biodesign und entscheidet sich anstatt dessen dafür, an neuen Materialien und Gegenentwürfen zum bestehenden System zu arbeiten. Mit Material-Experimenten im Keller der Eltern bringt sie ihre erste Kollektion aus Biomaterialien auf den Laufsteg. Fasziniert von den Möglichkeiten beschließt sie, ans Royal College of Art nach London zu gehen, wo Biodesign schon etablierter ist als damals in Deutschland.
Inzwischen ist das Berliner Atelier Beas Basis. Unterwegs ist sie aber weiterhin in ganz Europa und der Welt – für Kooperationen, Lehraufträge und Ausstellungen.
Bea Brücker - im Video
Das Algenleder, das Bea heute verwendet, ist das Ergebnis etlicher Versuche. Es besteht aus einem Mix der grünen Wasserpflanze und bakterieller Zellulose vom Kombuchapilz. Seit kurzem arbeitet sie mit Kochtopf und Pürierstab in der biopunk.kitchen in Potsdam – ein community lab, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
Das Gemisch der Biomaterialien wird für die Designs aufgekocht und die Flüssigkeit in selbst entworfene Formen gegossen.
„Ich lasse mich von dem Material ganz viel leiten. Natürlich manipuliere ich es, indem ich es in Formen gieße. Aber es macht am Ende immer noch etwas, was es selber will. Und das finde ich gerade spannend."
Für ihre Projekte arbeitet Bea häufig in Kooperation mit anderen Biodesignern, Performance-Künstlern oder Digital Artists – wie ihrem Partner Vincent Goos. Am Rechner erstellen sie dreidimensionale Formen; ganz im Sinne des Biodesigns lassen sie sich auch hier von der Natur inspirieren und nutzen zum Beispiel das von Alan Turing entwickelte mathematische Modell für die biologische Musterbildung. Mit Hilfe von 3D-Druck können dann die Formen erstellt oder alternativ die Muster später in das fertige Biomaterial gefräst werden. Das Ergebnis sind skulpturale „Stoffe“, die Bea in ausgefallene Outfits verwandelt.
Ihre Werke finden derzeit vor allem in Ausstellungen ihr Publikum. Dabei stehen sie nicht einfach als ausgefallene Mode im Museum, sondern sind Teil „spekulativer“ Zukünfte.
„Ich möchte mit meiner Kunst erreichen, dass ich verschiedene Diskurse auslöse, dass ich nicht nur eine Lösung in dem Sinne präsentiere: ‚Und damit ist dann die Welt gerettet!‘, sondern dass man darüber nachdenkt, wie funktionieren eigentlich kapitalistische Modelle und wie kann man anders denken?“
Bea nutzt Mode als Ausdrucksform, um Aufmerksamkeit für Missstände in unserer Welt und vor allem in der Modeindustrie zu schaffen. Mal sind es Dystopien, die deutlich machen: Wenn wir so weitermachen, findet die Welt bald vielleicht ohne uns statt. Mal Utopien, die eine alternative Realität zeigen, in der die Produktion unserer Kleidung auch ohne Ausbeutung von Mensch und Natur funktioniert, im Gegenteil sogar für die Regeneration der Ökosysteme sorgt und Gemeinschaften empowert.
So etwa in ihrer Arbeit „Morphogenesis“, mit der sich Bea dem Thema Eutrophierung gewidmet hat – also Totzonen im Meer oder Gewässern, die durch übermäßigen Algenwuchs aufgrund industrieller Landwirtschaft entstehen. Die Algen, die sie für die Designs das Projekts verwendet, schaffen genau das Gegenteil und werden zur Biosanierung eingesetzt.
„Durch die Arbeit mit Algen können Systeme entstehen, wo wir Ökosysteme fördern können, statt sie zu schädigen. Wir können den lokalen Anbau und die lokale Entwicklung von Kleidung fördern und post-kapitalistische Herstellungsverfahren und neue Systeme für die Modeindustrie entwickeln. Und das möchte ich zeigen mit meiner Arbeit.“
Bisher sind Beas Materialien und Designs nicht für die großen Ketten gedacht. Sie entwirft im Ausstellungskontext, erschafft Kostüme für Filmproduktionen und macht Einzelkreationen für besondere Anlässe. Doch sie arbeitet daran ihr Algenleder weiterzuentwickeln und zu verbessern und sucht dafür nach Kooperationen mit Materialwissenschaftlern und Meeresbiologen. Dabei ist ihr wichtig, dass am Ende der gesamte Herstellungsprozess nachhaltig ist. Denn das fehlt in ihren Augen oft bei den großen Playern der Modeindustrie, selbst wenn sie mit Nachhaltigkeit werben. Der Weg führt in die richtige Richtung. Doch wenn das System weiterhin auf Hungerlöhnen, langen Lieferketten und Überproduktion basiert, fehlt noch viel.
„Man muss auf jeden Fall kleine Schritte gehen. Ich denke aber, vor allem die großen Labels könnten viel größere Schritte gehen und schieben die Verantwortung häufig auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ab. Nach dem Motto: Die wollen das so. Und das finde ich problematisch.“
So bleibt für Bea vorerst weiterhin genug zu tun, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es auch anders gehen könnte. Dabei ist sie nicht ohne Hoffnung. Denn das Interesse an Biodesign und neuen Materialien wächst ebenso wie die Schar ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
Bea Brücker - im Podcast
Für Modedesignerin Bea Brücker sind biobasierte Textilien ein erster Schritt zu mehr Nachhaltigkeit in der Modeindustrie – aber lange nicht der einzige. In unserem Podcast erzählt sie unter anderem, warum sie angefangen hat für ihre Entwürfe mit Algen und Mikroorganismen zu experimentieren und wie ihre Mode in Zukunft sogar bei der Sanierung von Ökosystemen helfen könnte.