Strategie und Organisation
Um diese Ressourcen zu schützen, hat Präsident Lula da Silva den Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz im Januar 2023 zu einem politischen Schwerpunkt seiner dritten Amtszeit erklärt. Eineinhalb Jahre später wurde dieser Intention mit Veröffentlichung eines Dekrets Ausdruck verliehen und eine Strategie für die künftige Bioökonomiepolitik vorgestellt. Der Rechtsakt legt wichtige Grundsätze und Ziele eines Bioökonomieentwicklungsplans, die Gründung einer begleitenden Kommission sowie die Einrichtung eines Informationssystems zur biobasierten Wirtschaft fest. Dem zugrunde liegt ein Bioökonomieverständnis, das nachhaltiges Wirtschaftswachstum und den Schutz der biologischen Ressourcen als Hauptziele in den Fokus stellt und auf Werten wie Gerechtigkeit, Ethik und Inklusion basiert. Zudem wird der Beitrag von Forschung und die Nutzung verschiedener Technologien hervorgehoben, um aus den Plänen Realität werden zu lassen.
Die Umsetzung des Dekrets ist in Bearbeitung: Der nationale Bioökonomieentwicklungsplan Plano Nacional de Desenvolvimento da Bioeconomia (PNDBIO) soll 2025 veröffentlicht werden. Ziel dessen ist, die verschiedenen erelevanten Politiken – etwa 30 Einzelinitiativen in den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft, Wissenschaft, Industrie und indigene Rechte – besser zu koordinieren und strategisch aufeinander abzustimmen. Der Plan soll unter anderem Förderprogramme für Forschung und Innovation definieren, Investitionsanreize für bioökonomische Wertschöpfungsketten schaffen, nachhaltige Geschäftsmodelle im Amazonasgebiet und Cerrado fördern und Kriterien für die Zertifizierung biobasierter Produkte entwickeln. Besonders betont wird die Notwendigkeit, die Bioökonomie inklusiv zu gestalten, indem traditionelle Wissenssysteme, indigene Gemeinschaften und lokale Bevölkerungen aktiv eingebunden werden.
Als zentralem Gremium für die Umsetzung der brasilianischen Bioökonomiepolitik seit Juni 2024 obliegt der Comissão Nacional de Bioeconomia die Federführung des PNDBIO. Die Kommission setzt sich aus Vertretern mehrerer Ministerien zusammen, darunter das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation (MCTI), das Ministerium für indigene Völker (MPI) und das Umweltministerium (MMA), welches auch die technische und administrative Unterstützung sicherstellt. In der Verantwortung des Beirats liegt außerdem die gleichberechtigte Einbindung von modernen Erkenntnissen (z. B. aus Biotechnologie oder Agrarforschung) und traditionellem Wissen, wie es etwa über Heilpflanzen und alternative Anbaumethoden existiert.
Der Plano de Transformação Ecológica, ebenfalls aus dem Jahr 2023, gilt als übergeordnetes politisches Dach und definiert einen Rahmen für Investitionen in grüne Technologien, nachhaltige Infrastruktur, Bioenergie und Bioindustrien. Der Bioökonomie kommt dabei die Rolle eines Wachstumsmotors zu.
Förderung
Abseits politischer Leitlinien fördert die brasilianische Regierung ihre Bioökonomie im Land gezielt durch verschiedene Finanzierungs- und Unterstützungsprogramme.
Über die Entwicklungsbank BNDES wurden spezielle Kreditlinien wie der Fundo Clima und das Programm BNDES Mais Inovação erweitert, um Investitionen in biobasierte Technologien und Bioenergieprojekte zu unterstützen. Parallel dazu finanziert das MCTI Vorhaben im Bereich Biotechnologie, nachhaltige Landwirtschaft und Biodiversitätsnutzung über Programme wie das Programa de Pesquisa em Bioeconomia (PPBio).
Im Rahmen des übergeordneten Plans für ökologische Transformation stellt die Regierung außerdem finanzielle Mittel für Projekte bereit, bei denen es um nachhaltige Wertschöpfung im Amazonasgebiet, Biokunststoffe, Pharmazeutika auf Naturstoffbasis oder Bioenergie (z. B. Wasserstoffgewinnung aus landwirtschaftlichen Reststoffen) geht.
Brasilien verfügt über eine gut entwickelte wissenschaftliche Infrastruktur im Bioökonomiebereich, getragen von führenden Forschungsinstitutionen wie der Embrapa (Brasilianische Agrarforschungsbehörde), verschiedenen Bundesuniversitäten (z. B. Universidade Federal do Amazonas – UFAM) und spezialisierten Technologieforschungszentren wie dem Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA).
Forschung und Lehre in den Disziplinen Agrarbiotechnologie, Forstwissenschaft, Bioenergie und Biodiversitätsforschung sind international sehr angesehen, vor allem bei Themen wie gentechnisch veränderten Pflanzen, Bioethanolproduktion sowie nachhaltige und innovative Biomassenutzung. Integriert sind diese Themen in einer Vielzahl von bioökonomierelevanten Studiengängen wie Biotechnologie, Nachhaltige Landwirtschaft, Erneuerbare Energien oder Umweltmanagement. Zudem existieren vereinzelte Angebote, die den Begriff auch im Namen tragen und teilweise berufsbegleitend in Anspruch genommen werden können. Ein Beispiel ist das Spezialisierungsprogramm Especialização em Bioeconomia e Sustentabilidade an der Universidade Federal do Pará (UFPA).
Darüber hinaus kennzeichnen die Wissenschaftslandschaft internationale Forschungskooperationen, bei denen Deutschland zu den wichtigsten Partnern zählt. Seit 2015 existiert eine gemeinsame Bioökonomie-Initiative, gefördert durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) und das brasilianische MCTI. Daraus sind gemeinsame Projekte zu nachhaltiger Biomassenutzung, Bioenergie, Agroforstsystemen und biobasierten Wertschöpfungsketten hervorgegangen. Programme wie Bioeconomy International haben gezielt deutsch-brasilianische Konsortien unterstützt, etwa zwischen der Universidade de São Paulo (USP) und deutschen Universitäten wie der Universität Hohenheim oder dem Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB). Auch im Rahmen von multilateralen Initiativen wie G20-Arbeitsgruppen kooperieren Brasilien und Deutschland bei bioökonomischen Forschungsthemen. Dabei liegt der Fokus etwa auf nachhaltiger Landnutzung und Biodiversitätsmanagement.
Die Bioökonomie ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor in Brasilien und trug 2023 rund 25,3 % zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der wichtigste Sektor ist die Bioindustrie (Nutzung biologischer Ressourcen, z. B. Enzyme, Pflanzen) mit 46 %, die primäre Bioökonomie wie Land- und Forstwirtschaft (41 %) sowie Bioenergie und biobasierte Industrie (13 %). Besonders hervorzuheben ist Brasiliens Führungsrolle bei Biokraftstoffen, vor allem Ethanol aus Zuckerrohr.
Innovationen stützen sich stark auf die enorme Biodiversität, etwa durch Start-ups wie Mazo Mana, das Lebensmittel aus Rohstoffen des Amazonasgebietes herstellt, oder große Unternehmen wie Natura & Co., welches kosmetische Wirkstoffe aus Regenwaldpflanzen nutzt und Gewinnanteile in den Forstschutz investiert. Laut Studien könnte eine erfolgreiche Umsetzung der Bioökonomiepläne dem Land bis 2050 jährlich bis zu 284 Milliarden US-Dollar zusätzlich einbringen und 550 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Zu den großen Herausforderungen zählt jedoch gerade auch in diesem Zusammenhang der Erhalt der biologischen Vielfalt.
Autorin: Kristin Kambach