Vom Baum zur DIN-Norm

Vom Baum zur DIN-Norm

In der Natur existente Universalformen dienen inzwischen als Vorbild für technische Bauteile – inklusive DIN-Norm. Die Basis lieferten Bionik-Forscher aus Karlsruhe. Über ihre Erkenntnisse berichten sie nun in einem Buch. 

Verwirbelungen im Holz dienen der inneren Stabilität.

Den Begriff der Bionik gibt es zwar erst seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts, doch die Idee dahinter - nämlich die in der Natur vorkommenden Formen und Figuren in der Industrie anzuwenden – ist wesentlich älter. So ersann Leonardo da Vinci bereits im 16. Jahrhundert Flugmaschinen nach dem Vogel-Vorbild. Nicht erst seit dem Lotuseffekt bei Oberflächen steht die Natur inzwischen immer häufiger Vorbild für technische Entwicklungen. 

Evolution als Designwettbewerb

Auch Biomechaniker Claus Mattheck vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) macht sich biologische Prozesse zunutze, wenn er besonders leichte und langlebige technische Bauteile entwickeln will. In seinem neuen Buch „Die Körpersprache der Bauteile – Enzyklopädie der Formfindung nach der Natur" fasst Mattheck diese Erkenntnisse nun erstmals allgemein verständlich und anschaulich zusammen. Im Kern geht es dabei um die Entdeckung, dass in der Natur offenbar eine Universalform gibt, die sich mit einfachen geometrischen Methoden nachbilden lässt. „Die Evolution gleicht einem harten Designwettbewerb. Was zu schwer oder nicht fest genug war, das gibt es nicht mehr“, erklärt der KIT-Professor. „Durchgesetzt haben sich die optimalen Formen.“

Bauteile mit Optimalform sind stabiler

Technische Bauteile, die sich an diesen natürlichen Vorbildern orientieren, besitzen die optimale Form und zeichnen sich durch Stabilität, Material- und Energieeffizienz aus, wie der Wissenschaftler erklärt. Um das Vorbild der Natur für die Technik nutzbar zu machen, entwickelte Mattheck in der Abteilung Werkstoff- und Biomechanik am Institut für Angewandte Materialien (IAM-WBM) des KIT über drei Jahrzehnte verschiedene computergestützte Methoden, später auch vereinfachende computerfreie Denkwerkzeuge wie Schubvierecke, Zugdreiecke und Kraftkegel, um Strukturen zu analysieren und Formen zu optimieren.

Vom Vorbild Baum zur DIN-Norm

Der Biomechaniker untersuchte unter anderem, wie sich Bäume entwickeln und durch lastgesteuert angebautes Holz an mechanischen Schwachstellen selbst reparieren. Daraus leitete er Prinzipien zur Optimierung von Bauteilen ab. Bei seinen Arbeiten stellte Mattheck fest, dass es in der Natur eine Universalform gibt, die sich nicht nur in festen Körpern, sondern auch in Fluiden findet. Sie taucht in Gebirgen ebenso auf wie in Bäumen oder Knochen. Durch Deformation kann sie sich sogar für die gewählte Belastung selbst erzeugen – Mattheck spricht von „Siegen durch Nachgeben“. Inzwischen hat diese Optimal- bzw. Universalform sogar Eingang in die Industrie gefunden und ist Bestandteil der Norm DIN ISO 18459 (Bionik – Bionische Strukturoptimierung).

Innere Stärke durch Verwirbelungen

Neben der äußeren Form-Optimierung für Feststoffe und Fluide entdeckte Mattheck auch noch eine innere Optimierung durch Verformung. Während die äußere Optimalform für eine gleichmäßige Verteilung der Zug- bzw. Druckspannungen auf der Oberfläche des Bauteils sorgt, dient die innere Verformung durch die Bildung von Wirbeln einer inneren Optimierung und Stabilisierung. „Diese Wirbel sind sozusagen die Räder der Natur“, sagt Professor Mattheck.In festen Körpern sind die Wirbel zwar weniger stark ausgeprägt, aber sie sind vorhanden und besonders gut im toten Holz entrindeter Bäume zu erkennen. Nach Ansicht des Biomechanikers lässt sich dieses Prinzip  ebenfalls auf technische Bauteile übertragen, und so auch deren innere Stabilität verbessern.

jmr