Studie: Biotech-Aufschwung an der Börse
Es geht wieder aufwärts für Biotech-Firmen an der Börse - das legen Ergebnisse einer neuen Studie nahe, die alle Börsenplätze in Europa hinsichtlich ihrer Attraktivität für Biotechnologie untersucht hat.
Der europäische Kapitalmarkt ist für die Biotech-Industrie wieder eine ernstzunehmende Finanzierungsalternative. Dies belegen Ergebnisse einer neuen Studie: Demnach haben sich insgesamt zwölf Firmen im Jahr 2014 für einen Börsengang an einem der 15 Handelsplätze in Europa entschieden. Weitere sechs sind an die US-Börse Nasdaq gegangen. Insgesamt drei deutsche Firmen haben sich neu notieren lassen, allerdings alle außerhalb ihres Heimatmarktes.
Das Börsenfenster ist im Jahr 2014 so weit offen wie schon lange nicht mehr. Das belegt eine vergleichende Analyse der Biocom AG, die Ende November auf dem Eigenkapitalforum in Frankfurt vorgestellt wurde. Demnach wurden allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2014 rund 2 Mrd. Euro über die Börse eingesammelt (2013: 1,89 Mrd. Euro). Bis dahin hatten zehn Börsengänge stattgefunden – doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die meisten Unternehmen werden in Paris (32) und London (29) gehandelt. „Die Durststrecke ist vorbei. Der Kapitalmarkt in Europa hat sich der Biotech-Industrie wieder zugewandt“, sagt Studienleiter Boris Mannhardt.
Alle Indikatoren zeigen nach oben
Die Studie enthält eine Analyse der wichtigsten Handelsplätze in Europa hinsichtlich ihrer Relevanz für Biotech-Firmen. Fazit: Nach den Krisenjahren 2011 und 2012 zeigen die wichtigsten Indikatoren über alle Handelsplätze hinweg wieder deutlich nach oben. Einige Börsenstandorte haben besonders profitiert. „Steuerliche Vergünstigungen für innovative Firmen wie in Frankreich oder ein international sichtbares Wachstumssegment wie in London sind maßgeblich für die aktuelle positive Entwicklung verantwortlich“, so Mannhardt. Demnach steht die Mehrländerbörse Euronext – und hier insbesondere der Handelsplatz Paris – ganz oben im Ranking. Insgesamt 17 der 36 Börsengänge fanden dort statt. Die weiteren Plätze belegen der Alternative Investment Market (AIM) in London und der Main Market der nordischen Mehrländerbörse Nasdaq OMX. Die Frankfurter Wertpapierbörse und die Schweizer Börse SIX in Zürich überzeugen mit individuellen Stärken. So wartet die Deutsche Börse in Frankfurt zwar seit 2007 auf einen neuen Biotech-Börsengang. Im Vergleich der wichtigsten Börsenstandorte beweist sie sich jedoch als fruchtbarer Boden für Folgefinanzierungen: Seit 2009 fanden hier im Durchschnitt die meisten Finanzierungsrunden je Firma statt. Insgesamt wurden von den 15 hier notierten Unternehmen 1,3 Mio. Euro eingesammelt. Aber auch kleinere Standorte wie Zürich oder Amsterdam sind wieder attraktiv für Biotech-Firmen, wie die jüngsten, in der Studie noch nicht betrachteten Börsengänge der Molecular Partners AG (Zürich) und der in Halle ansässigen Probiodrug AG (Amsterdam) zeigen, die im Oktober stattgefunden haben.
Europa im Aufholprozess
Gegenüber den USA befindet sich Europa in einem Aufholprozess. Dies betrifft einerseits die Zahl spezialisierter Investoren und Analysten, die in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. „Interessanterweise dominieren heute große Investmentbanken und Pensionsfonds das Investitionsgeschehen, viele Banken haben ihre Biotech-Abteilungen abgeschafft“, sagt Mannhardt. Andererseits ist der Reifegrad der notierten Biotech-Unternehmen gering: Im Vergleich zu den rund 330 in den USA gelisteten Biotech-Firmen erwirtschaften die europäischen Unternehmen sieben Mal weniger Umsatz (10 Mrd. Euro) und haben eine zehnfach geringere Marktkapitalisierung (rund 60 Mrd. Euro). Jede zweite Biotech-Firma in Europa wird mit weniger als 100 Mio. US-Dollar bewertet. Nur rund 10% überschreiten die Schwelle von einer Milliarde US-Dollar Marktkapitalisierung. Der deutsche Medikamentenentwickler MorphoSys gehört dazu. Firmen wie diese setzen längst nicht mehr nur auf den europäischen Kapitalmarkt, sondern haben es inzwischen auch jenseits des Atlantiks geschafft, Interesse bei Investoren zu wecken. Allerdings ist das eine Herausforderung. „Für ausländische Unternehmen ist es nicht leicht, in den USA Aufmerksamkeit zu erhalten“, lautet das Fazit von Jens Holstein, Finanzchef der Morhphosys AG.
Hang zum Lokalpatriotismus beim Börsengang
Tatsächlich zeigen viele Biotech-Firmen bei der Wahl ihres Börsenplatzes einen starken Hang zum Lokalpatriotismus. Laut Studie haben sich mehr als 95% der aktuell börsennotierten Unternehmen für eine Börse ihres Heimatlandes entschieden. Grenzüberschreitende Börsengänge wie beim italienischen Pharmaunternehmen Newron Pharmaceuticals SpA oder dem deutschen Alzheimer-Spezialisten Probiodrug AG sind bisher die Ausnahme. Die Hallenser fällten ihre Entscheidung zugunsten von Amsterdam unter anderem wegen der niederländischen Investoren, die Immer wieder nehmen europäische Firmen aber auch die US-amerikanische Technologiebörse Nasdaq für einen Börsengang in den Blick. 2014 waren es bereits fünf. Darunter auch der deutsche Wirkstoffentwickler Affimed. „Wir hatten schon in der frühen Planungsphase des Börsengangs positives Feedback von US-Investoren, da haben wir uns die europäischen Börsen gar nicht mehr näher angeschaut“, erläutert Firmenchef Adi Hoess in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Biotech-Nachrichtenmagazins transkript.
Börsenfenster weiter offen?
Ob der aktuelle Börsen-Boom in Europa weiter anhält, darüber gehen die Meinungen unter Experten auseinander. Während so manch Finanzier Europa weiter im Hintertreffen sieht, zeigt sich Naveed Siddiqi, Partner beim französischen Wagniskapitalgeber Edmond de Rothschild Investment Partners, optimistisch: „Sicherlich gibt es in Europa weniger Börsengänge mit niederigerem Volumen, aber immerhin gibt es wieder welche.“ Denn das sorgt unter Biotech-Firmen für eine bessere Ausgangsposition, wie auf der jüngsten Und auch Morphosys-Finanzchef Holstein sieht noch keine Verschlechterung der Gesamtstimmung. „Schon jetzt sehen wir einige US-Firmen, die sich auf einen Börsengang im Frühjahr vorbereiten. Das stimmt mich optimistisch, dass es auch 2015 noch weitere Börsengänge europäischer Firmen geben wird – hier oder jenseits des Atlantiks.“