„Zu hohe Nährstoffeinträge können Ökosysteme verändern“
Sönke ZaehleBeruf:
Geoökologe, promovierter Umweltwissenschaftler
Position:
Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena
Beruf:
Geoökologe, promovierter Umweltwissenschaftler
Position:
Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena
Der Jenaer Geoökologe Söhnke Zaehle erforscht, wie sich Nährstoffe wie Stickstoff auf die Stoffkreisläufe von Ökosystemen auswirken.
Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen im Boden sind auf eine ausgewogene Versorgung mit Nährstoffen wie Stickstoff angewiesen. Die Realität sieht jedoch oft anders aus, weil landwirtschaftliche Flächen überdüngt sind. Welche Auswirkungen Nährstoffeinträge wie Stickstoff auf Ökosysteme haben und wie deren Fähigkeiten dadurch beeinflusst werden, erforscht Sönke Zaehle. Im Interview erklärt der Jenaer Geoökologe, warum ein nährstoffreicher Boden nicht immer gut ist für die Artenvielfalt, wie sich Ökosysteme dadurch verändern können und auf welche Faktoren Landwirte achten sollten, um die Biodiversität der Ökosysteme durch Überdüngung nicht zu gefährden.
Ein nährstoffreicher Boden ist das A und O für eine gute und ertragreiche Ernte. Was für den Boden gut ist, ist aber nicht immer für die Artenvielfalt gut. Warum ist das so?
Pflanzen- und Tierarten, aber auch Bodenmikroorgansimen haben unterschiedliche Ansprüche an die Nährstoffversorgung. Es gibt Artengemeinschaften, die entweder an nährstoffarme oder nährstoffreiche Verhältnisse angepasst sind. Durch Nährstoffanreicherung, wie durch Düngung, werden auf armen Böden natürlich vorhandene Arten von anderen Arten, die besser mit an nährstoffreiche Bedingungen angepasst sind, zurückgedrängt oder ersetzt. Diese Arten können die verfügbare Nährstoffmenge besser umsetzen, was dann zu einem erhöhten Ertrag führen kann, allerdings auf Kosten einer Verschiebung der Artenzusammensetzung weg vom naturnahen Zustand.
Welche Rolle spielt der Nährstoffeintrag beim Rückgang der Biodiversität?
In Deutschland sind etwa die Hälfte der Pflanzenarten auf der ‘roten Liste’ durch erhöhten Nährstoffeintrag bedroht. Auch wenn die Stickstoffeinträge in den letzten Jahren leicht zurückgegangen sind: In Deutschland sind mehr als zwei Drittel der natürlichen oder halb-natürlichen Ökosysteme durch zu hohe Nährstoffeinträge belastet, mit entsprechenden Risiken für die Biodiversität dieser Ökosysteme. Andere Faktoren, die die Landnutzung beeinflussen, wie zum Beispiel die Heterogenität der Landschaft, der Einsatz von Pestiziden und das Klima, spielen auch eine Rolle.
Inwiefern beeinträchtigt ein Übermaß an Nährstoffen die Biodiversität?
Die Einflüsse von übermässiger Nährstoffversorgung, allem voran mit Stickstoff, sind sehr vielfältig. Überschüssiger Stickstoff beeinflusst die Konkurrenz der Arten, und kann durch Einwanderung und Dominanz von besser angepassten Arten gerade in nährstoffarmen Ökosystemen wie Heiden, Mooren und Trockenrasen zu einer Veränderung der Artenzusammensetzung führen. Es gibt aber auch direkte Effekte durch den Beitrag von Stickstoffeinträgen zur Versauerung des Bodens, Veränderung des Gleichgewichts mit anderen Nährstoffen, sowie direkte Toxizität von Stickstoff bei sehr hohen Einträgen.
Welche Nährstoffe beeinträchtigen die Artenvielfalt am meisten und welche Folgen hat das für Ökosysteme?
Artengemeinschaften sind auf ein bestimmtes Verhältnis von verschiedenen Nährstoffen angewiesen. Dazu gehören neben Stickstoff vor allem Phosphor, aber auch Kalium, Kalzium und Magnesium sowie viele weitere Nährstoffe, die in der Natur nur in geringen Mengen vorkommen. Bei uns sind aber insbesondere Stickstoffeinträge, wie durch Düngung mit Mineral- oder Wirtschaftsdünger, aber auch indirekte Einträge aus der Verbrennung von fossilen Energieträgern (Stickstoffdeposition) wichtig, da sie das Verhältnis der Nährstoffverfügbarkeiten durch ein Überangebot an Stickstoff verändern, mit Folgeerscheinungen wie zum Beispiel der Versauerung von Böden, was wiederum Auswirkungen auf die Nährstoffversorgung hat.
Düngen ist wichtig. Doch die Düngepraxis der Landwirtschaft ist für den Rückgang der Artenvielfalt mitverantwortlich. Welche Faktoren sind ihrer Meinung nach entscheidend, um das richtige Maß beim Düngen zu finden? Woran sollten sich Landwirte orientieren?
Nährstoffkreisläufe und damit auch die Nährstoffverfügbarkeit sind von Standorteigenschaften wie der Bodenart abhängig. Eine angepasste Düngestrategie muss also Standorteigenschaften und insbesondere auch die schon im Ökosystem vorhandene Menge an Nährstoffen berücksichtigen und langfristige Überschüsse nach Möglichkeit vermeiden. Dies gilt insbesondere für von Natur aus nährstoffarme und besonders empfindliche Ökosysteme. Bei der Frage des richtigen Maßes spielt nicht nur die Biodiversität, sondern auch der Schutz der Oberflächengewässer und des Grundwassers eine Rolle, da überschüssiger Stickstoff sowie die Emission von Treibhausgas wie Lachgas ausgetragen werden kann. Moderne Technologien (Precision-Farming) und Ausbringeverfahren können hier sicherlich Beiträge leisten, um lokale Überschüsse zu reduzieren. Die momentanen gesetzlichen Regelungen haben nicht dazu geführt, dass sich der Stickstoffüberschuss in Deutschland deutlich reduziert hat - hier sind vermehrte Anstrengungen nötig. Bei dieser Diskussion darf aber nicht vergessen werden, dass ein Grossteil des Stickstoffüberschusses in Deutschland mit der Tierhaltung und Fleischproduktion zusammenhängt. Hier sind letztendlich auch wir als Verbraucher gefragt, auf nachhaltige Bewirtschaftung unserer Nahrungsmittel und einen massvollen Fleischkonsum zu achten.
Interview: Beatrix Boldt