Spinnengift für Medizin und Pflanzenschutz erschließen

Spinnengift für Medizin und Pflanzenschutz erschließen

Auch einheimische Spinnen besitzen in ihrem Giftcocktail zahlreiche Moleküle, für die sich die Biotechnologie interessiert.

Wesepenspinne mit Beute
Die Wespenspinne nutzt einen Giftcocktail aus 53 Komponenten, um ihre Beute zu erjagen.

Die Dosis macht das Gift – diese alte Redewendung beschreibt sehr gut, weshalb die Medizin seit langer Zeit auch teils tödliche Substanzen in der richtigen Dosierung als Heilmittel verwendet. Ähnliches gilt für Spinnengifte: Was für Insekten lähmend oder tödlich ist, kann richtig dosiert und angewendet für den Menschen großen Nutzen entfalten. Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und der Justus-Liebig-Universität Gießen hat daher jetzt ergänzend zu den großen Giftspinnen der Tropen den Blick auf die Gifte kleiner Spinnen, die in Deutschland heimisch sind, gerichtet. Dabei fiel besonders die Wespenspinne auf.

„Spinnengifte sind eine weitgehend unerschlossene Ressource, dies liegt unter anderem an der schieren Vielfalt – etwa 50.000 Arten sind bekannt“, berichtet Tim Lüddecke vom IME. Im Spinnengift stecke viel Potenzial für die Medizin, etwa bei der Erforschung von Krankheitsmechanismen. Die Größe des Potenzials liegt dabei nicht nur in der Vielzahl der Spinnenarten begründet, sondern auch darin, dass deren Giftcocktail aus bis zu 3.000 unterschiedlichen Molekülen zusammengesetzt sein kann.

Pflanzenschädlinge mit Spinnengift bekämpfen

In der Medizin werden derzeit Substanzen aus Spinnengiften als Antibiotika oder Schmerzmittel erprobt. Besonders interessant ist das Gift der Australischen Trichternetzspinne, von dem sich Fachleute erhoffen, neuronale Schäden nach Schlaganfällen heilen zu können und Herzen für Organtransplantationen länger haltbar zu machen. Weil sich das Gift der Spinnen meist gegen Insekten richtet, setzt auch die biologische Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft große Hoffnungen auf das noch recht junge Forschungsfeld.

Gift der Wespenspinne enthält Knottine

Kleine Spinnen, wie sie in Deutschland leben, standen lange nicht im Fokus der Forschung, weil ihre Giftmenge für Analysen zu klein ist. Das IME-Team hat dieses Problem gelöst, indem es das Erbgut in den Giftdrüsen analysiert und die darin kodierten Moleküle biotechnisch hergestellt hat. So entdeckten die Forschenden im Gift der Wespenspinne 53 unterschiedliche Biomoleküle, darunter einige für die Anwendung vielversprechende Stoffe.

Unter anderem fand das Team mehrere Knottine. Diese Verbindungen sind so stabil gegen chemische, enzymatische und thermische Einflüsse, dass darauf basierende Medikamente oral verabreicht werden könnten, weil sie ohne Schäden den Magen passieren würden. Gleichzeitig binden Knottine nur an sehr spezifische Strukturen von Zellen, was mögliche Nebenwirkungen minimiert. Nicht zuletzt wirken sie in sehr geringer Konzentration, weshalb potenzielle Medikamente bereits sehr niedrig dosiert ihre Wirkung entfalten könnten.

Die Mischung macht die Wirksamkeit

Eine zweite Molekülklasse, die sich im Gift der Wespenspinne fand, ähnelte sogenannten Neuropeptiden, jenen Substanzen, die Informationen zwischen Nervenzellen übermitteln. „Wir haben neuartige Familien von Neuropeptiden gefunden, die wir bislang von anderen Spinnen nicht kennen“, schildert Lüddecke. „Wir vermuten, dass die Wespenspinne damit das Nervensystem von Insekten angreift.“

Nicht zuletzt brachte die Forschung einige grundsätzliche Erkenntnisse über Spinnengifte ans Licht: „Die Dynamik des Spinnengifts wurde bislang völlig unterschätzt“, betont Lüddecke. Das biochemische Repertoire werde entscheidend vom Lebensabschnitt, Lebensraum und vor allem vom Geschlecht beeinflusst. „Es ist vielmehr das Zusammenwirken der vielen Bestandteile, das Spinnengift so wirksam macht, als die Wirkung eines einzelnen Toxins.“

bl