Neue Züchtungstechniken im Erkenntnis-Check

Neue Züchtungstechniken im Erkenntnis-Check

In einem Chancen-Talk lotete Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger im Gespräch mit zwei Fachleuten aus, was die Neuen Züchtungstechniken für die Entwicklung neuer Nutzpflanzensorten bedeuten.

Chancentalk mit Bundesministerin Stark-Watzinger
Maria von Korff-Schmising und Robert Hoffie im Gespräch mit Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger.

Die EU-Kommission möchte die Gentechnik-Gesetzgebung reformieren und die Auflagen für den Umgang mit genom-editierten Nutzpflanzen lockern. Pflanzen, die mittels Neuer Züchtungstechniken wie der Genschere CRISPR–Cas erzeugt wurden, sollen nach einem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf der EU-Kommission nicht mehr länger unter die strengen Auflagen des Gentechnik-Rechts fallen.

„Für mich ist es einer der wichtigsten Gesetzesvorschläge des Jahres 2023“, so Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, „denn die derzeitige Rechtslage in der EU ist an so vielen Stellen überholt“. Die Neuen Züchtungstechniken (NZT) seien mit großen Chancen und Potenzialen verbunden, seien aber auch Technologien, die auf Ablehnung stießen.

Um das Thema einem Erkenntnis-Check zu unterziehen, habe man das Thema Neue Züchtungstechniken in den Mittelpunkt der zweiten Ausgabe des Formats Chancen-Talk gerückt, so Stark-Watzinger. Am 25. August hatte sie zwei Fachleute ins Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingeladen, um mit ihnen über Chancen und Herausforderungen der molekularen Züchtungstechniken zu diskutieren. An dem via Livestream übertragenen Talk konnte sich das Online-Publikum mit Fragen beteiligen.

Spitzenplatz in der grünen Biotechnologie sichern

In ihrer Anmoderation wies die Bundesministerin auf das Besondere der Neuen Züchtungstechniken hin: NZT erlaubten gezielte und präzise Veränderungen im Pflanzenerbgut. „Die Genschere: Für die Wissenschaft ist sie eine Revolution, weil sie das, was die Natur über Jahrzehnte oder über Jahrhunderte auf natürlichem Wege schafft, oder der Mensch mit klassischen Züchtungen mit viel Aufwand, nun viel schneller im Labor nachbilden kann – viel kostengünstiger und so exakt wie nie zuvor", so Stark-Watzinger.

NZT bieten riesige Chancen: Nutzpflanzen können gegen Schäden durch Hitze, Dürre oder Pathogenbefall resistent gemacht werden. Sie tragen so dazu bei, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, schützen die Biodiversität und unterstützen die nachhaltige Landwirtschaft. „Das ist angesichts vieler Fragen wichtig, etwa wie wir die steigende Weltbevölkerung ernähren wollen und wie wir mit den Auswirkungen des Klimawandels zurechtkommen. Und nicht zuletzt sichern sie dem Forschungsstandort Deutschland einen Spitzenplatz in der grünen Biotechnologie.“

Chancen-Talk Neue Züchtungstechniken – Mitschnitt

Auf der BMBF-Website können Sie den Chancen-Talk noch einmal verfolgen.

Hier geht es zum Mitschnitt

In zwei statt zehn Jahren zur Virus-Resistenz

Robert Hoffie vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben erläuterte am Beispiel der Gerste, wie NZT die Pflanzenzüchtung im Vergleich zu klassischen Methoden beschleunigen können. Um das Getreide vor dem Gerste-Gelbmosaikvirus zu wappnen, hat das Team aus Gatersleben im Erbgut ostasiatischer Gerste-Landrassen eine resistenzverleihende Genvariante aufgespürt.

Klassischerweise würde man dieses Wildgersten-Merkmal aufwendig in die Kulturgerste einkreuzen. „Dabei gelangen aber noch sehr viele andere Eigenschaften in das Kulturgersten-Erbgut, die wir nicht wollen und die man langwierig auskreuzen muss“, so Hoffie. Deutlich zielgerichteter hingegen funktioniert das mit molekularen Werkzeugen wie der Genschere CRISPR-Cas. „Mit der Genschere konnten wir in unserem Projekt die Genvariante in der Kulturgerste gezielt nachbauen, ohne die Pflanzen kreuzen zu müssen.“ Durch die Genom-Editierung sei man in zwei Jahren zu dem Züchtungsergebnis virusresistente Gerste gekommen, für das man sonst zehn bis 15 Jahre benötigen würde.

Der Forscher ging auf Fragen zu möglichen Risiken der NZT ein. „Das Risikopotenzial ist nicht höher als bisher auch“, so Hoffie. Da mithilfe der Technologie arteigene, also in der Pflanze vorhandene Gene verändert würden, seien diese Veränderungen vergleichbar mit den Verfahren der klassischen Züchtung. Zudem würden ja auch genom-editierte Pflanzen eine amtliche Sortenprüfung durchlaufen.

Video aus Die Biopioniere: Robert Hoffie – Der Gerstenkönner

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Von Fall zu Fall entscheiden

Maria von Korff-Schmising, Professorin am Institut für Pflanzengenetik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, ging auf eine verbreitete Sorge ein, neue Genvarianten würden sich im Freiland auskreuzen. „Gerste und Weizen sind selbstbefruchtend und kreuzen sich nicht aus – es gibt auch keine wilden Verwandten, mit denen das passiert.“ Anders gelagert sei es bei der Herbizidresistenz – diese solle in dem neuen Gesetz aber besonders geregelt werden. „Wichtig ist: man muss hier von Fall zu Fall entscheiden“, so von Korff-Schmising, die auch am DFG-Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaften CEPLAS beteiligt ist.

Die Forscherin ging auf das Dilemma der Landwirtschaft zwischen Produktionssteigerung, Ressourcenschonung und Anpassung an den Klimawandel ein. Mit ihrem Düsseldorfer Team möchte von Korff-Schmising die Gerste in eine mehrjährige Kulturpflanze verwandeln, die über ein kräftigeres Wurzelwerk verfügt und Ressourcen schonen hilft. Dazu erzeugen die Forschenden im Kulturgerstenerbgut mit der Genschere Genvarianten, die für Langlebigkeit sorgen. „Die erzeugten Pflanzen müssen wir im Freiland unter natürlichen Bedingungen testen und nicht nur im Gewächshaus", betonte die Forscherin.

In dem Regulierungsentwurf der EU-Kommission, der erst noch die weiteren Schritte der EU-Gesetzgebung durchlaufen muss, sieht von Korff-Schmising eine große Chance für die Pflanzenwissenschaften, aber auch für die privaten Züchtungsbetriebe. Das Feld würde wieder für Investitionen interessant. „Eine regulierte Öffnung ist hoffentlich auch der Startschuss für mehr Förderung“, sagte sie.

pg