Kranke Kakaobohnen als Rohstoff etablieren

Kranke Kakaobohnen als Rohstoff etablieren

Fraunhofer-Forschende wollen mit Partnern in Brasilien von Pilzkrankheiten befallene Kakaofrüchte für die Kosmetik- und Chemieindustrie nutzbar machen.

Neue Verwertungswege sollen beschädigte Kakaofrüchte für die Herstellung von Kosmetika, aber auch für Schmierstoffe und Reinigungsmittel nutzbar machen.
Neue Verwertungswege sollen beschädigte Kakaofrüchte für die Herstellung von Kosmetika, aber auch für Schmierstoffe und Reinigungsmittel nutzbar machen.

Ohne Kakao keine Schokolade. Doch in einem der wichtigsten Anbauländer Lateinamerikas – in Brasilien – sorgt ein Schädling seit den 1990er Jahren immer wieder für große Produktionsausfälle. Auf das Konto der Pilzkrankheiten Hexenbesen und Black Pod Disease gehen weltweit etwa 40% der Ernteverluste. Trotz aller Bemühungen gibt es bisher kein wirksames Mittel gegen den Pilzbefall. Sind die Kakaobohnen einmal befallen, sind sie für die Lebensmittelproduktion nicht mehr zu gebrauchen und werden daher weggeworfen. Das soll sich ändern.

Neue Verwertungspfade für befallenen Kakaobohnen erschließen

Im Projekt „Damaged Beans“ wollen Forschende des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising gemeinsam mit Partnern der Universität Campinas in Brasilien neue Verwertungspfade für die kranken Kakaobohnen etablieren – etwa für Kosmetika, Reinigungsmittel und Schmierstoffe. Im Projekt sollen spezifische Methoden entwickelt werden, um die unterschiedlichen Pilzkontaminationen zu erkennen, zu klassifizieren und neue Anwendungen für minderwertige Kakaobohnen zu identifizieren.

Kranke Kakaobohnen für Kosmetika? Was zunächst vielleicht absurd klingt, ist durchaus sinnvoll. Denn der Pilzerreger hat Einfluss auf die Inhaltsstoffe und die Eigenschaften der Frucht. „Kakaobutter hat aufgrund der durch die Pilzkrankheiten Hexenbesen und Black Pod Disease verursachten chemischen Veränderungen ein anderes Schmelzverhalten und ist daher bei Raum-und Körpertemperatur weicher. Für kosmetische Anwendungen kann das von Vorteil sein, vor allem für fetthaltige Naturkosmetika wie Lippenstifte, Bodylotions und Cremes“, erläutert Dominic Wimmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Fraunhofer IVV.

Ersatz für Acrylate in Kosmetika

Auch die Zusammensetzungen der Aminosäuren und Proteine in der Frucht verändern sich durch den Pilzbefall. Das erhöht die Gelier- und Verdickungseigenschaften. Den Forschenden zufolge könnten die befallenen Bohnen damit ein idealer Ersatz für gesundheitsschädliche Acrylate sei, die gegenwärtig als Gelbildner oder Quellmittel in konventioneller Kosmetik eingesetzt werden und auf der Haut Allergien auslösen können. „Aufgrund des Pilzbefalls sind die Inhaltsstoffe und die sensorischen Eigenschaften der Proteine und der sekundäre Pflanzenstoffe verändert. Neben Kakaobutter eignen sie sich aber trotz ihrer divergenten Struktur gegebenenfalls für technische Anwendungen wie biobasierte Reinigungs- und Desinfektionsmittel sowie Schmierstoffe und bieten die Möglichkeit im Sinne der Nachhaltigkeit, mineralölbasierte Ressourcen durch natürliche Inhaltsstoffe zu ersetzen“, so Wimmer.

Kaskadenextraktionsverfahren zur Gewinnung von Inhaltsstoffen

Um die neuen Verwertungspfade für die schlechten Kakaofrüchte zu etablieren, werden Forschende der Universität Campinas Untersuchungsmethoden auf Grundlage von Nahinfrarotspektroskopie entwickeln, um den Grad der Schädigung und die physikalisch-chemische Qualität der pilzbefallenen Kakaobohnen zu ermitteln. Das Fraunhofer-Team will dann mithilfe eines mehrstufigen Kaskadenextraktionsverfahrens nach der Fettabtrennung Kakaobutter, Proteine und sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole für Anwendungen in der kosmetischen und chemischen Industrie gewinnen. Die Extraktion der Proteine und sekundären Pflanzenstoffe erfolgt dabei mit Hilfe verschiedener Lösungsmittel. Zugleich will das Team um Wimmer prüfen, inwiefern man bei der Gewinnung der kostbaren Inhaltsstoffe im Extraktionsverfahren auf zeit- und energieintensive Fermentations- und Trocknungsprozesse oder die Röstung verzichten kann. Darüber hinaus wird untersucht, ob sich Kakaobutter auch schonender – etwa mithilfe von organischen Lösemitteln wie Ethanol und überkritischem CO2 – extrahieren lässt. Bisher wird Kakaobutter durch Abpressen in einer Fettpresse gewonnen.

Neue Wertschöpfungswege für Kakaobauern

Die Forschenden sind überzeugt, dass ihr Ansatz zur Verarbeitung der kranken Kakaobohnen die gesamte Kakao-Wertschöpfungskette optimieren könnte und brasilianische Kakaobauern so einen größeren Anteil ihrer Ernte vermarkten können. „Durch unser Kaskadenextraktionsverfahren können beschädigte Bohnen weiterverarbeitet werden; den betroffenen Farmen erschließen sich neue Wertschöpfungswege mit großem finanziellen Potenzial. Weltweit sind 40 bis 50 Millionen Menschen in der Kakaoproduktion beschäftigt, 80 bis 90% davon in kleinen Betrieben“, resümiert Wimmer. Auch die Schokoladenindustrie würde Wimmer zufolge davon profitieren, weil damit mehr reine lebensmitteltaugliche Rohstoffe zur Verfügung stehen würden.

bb