Insekten als Ressource

Bienenvolk auf Wabenstruktur

Text: Doreen Penso Dolfin

Ihre große Vielfalt und ihr breites Nahrungsspektrum machen Insekten zu einer einzigartigen Ressource für die Bioökonomie. Dieses Themendossier beleuchtet, wie der Mensch Insekten und die von ihnen produzierten Naturstoffe nutzt und welche innovativen Anwendungen erforscht werden.

Das vielfältige Potenzial von Insekten

Mit mehr als einer Million verschiedener Arten bilden Insekten die artenreichste Organismengruppe. Diese große Vielfalt spiegelt sich auch auf molekularer Ebene wider, denn in Insekten existiert ein gigantisches Spektrum an Naturstoffen. Im Laufe ihrer Evolution haben sie zahlreiche Wirkstoffe und Enzyme entwickelt, um sich gegen Krankheitserreger und Fressfeinde zu verteidigen, oder ihre Ernährung zu sichern. Dadurch können viele Arten schwer abbaubare und für andere Organismen giftige Substrate als Nahrung nutzen, aber auch an extremen Standorten überleben.

Wie der Mensch Insektenprodukte nutzt

Menschen nutzen das einzigartige Naturstoffreservoir der Insekten schon seit der Steinzeit. Ein prominentes Beispiel ist die Honigbiene, deren Produkte noch heute in vielen Bereichen Verwendung finden. Honig wird vor allem als Nahrungsmittel verwendet, kann aber auch in der Naturheilkunde bei Erkältungskrankheiten und zur Entzündungshemmung in der Wundbehandlung eingesetzt werden. Bienenwachs ist ebenso vielseitig. Seit Jahrhunderten vom Menschen als Brennstoff für Kerzen genutzt, wird es heute vielen kosmetischen und pharmazeutischen Produkten oder Lebensmitteln zugesetzt. Weitere industriell relevante Produkte, die traditionell durch Insektenzucht und -haltung gewonnen werden, sind Seide aus den Kokons der Larve des Seidenspinners, Schelllack und Färberlack aus der Lackschildlaus oder der Farbstoff Karmin aus der Cochenielleschildlaus.

Was ist Insektenbiotechnologie?

Die Insektenbiotechnologie – auch Gelbe Biotechnologie genannt – umfasst die Entwicklung und Anwendung biotechnologischer Methoden, um Insekten, beziehungsweise von diesen stammende Moleküle, Zellen, Organe oder assoziierte Mikroorganismen als Produkte oder Dienstleistungen nutzbar zu machen.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet der Insektenbiotechnologie stark intensiviert. Die Forschenden arbeiten an neuen Wirkstoffen für die Medizin (z. B. Antibiotika), an nachhaltigen Methoden für den Pflanzenschutz (z. B. Bioinsektizide), an Anwendungen für die industrielle Biotechnologie (z. B. Rohstoffe und Enzyme) und auch um nachhaltige Alternativen für Lebensmittel- und Futtermittelproduktion zu liefern.

Insekten für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft

Insekten sind in der Lage, nahezu jedes organische Substrat (pflanzlich und tierisch) wie z. B. Holz, oder Aas als Nahrung zu verwerten. Das macht sie auch für die Bioökonomie interessant, denn sie können organische Reststoffe als Nahrungsquelle nutzen und diese in wertvolle Produkte umwandeln – ein Prozess, der Biokonversion genannt wird. So ermöglichen Insekten geschlossene Stoffkreisläufe und können zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft beitragen.

Jedoch kommen nicht alle Reststoffe für die Verfütterung an Insekten in Frage. Nach Europäischem Recht gelten Insekten als Nutztiere, wenn sie zur Herstellung von Lebensmitteln, Futtermitteln oder zu anderen Zwecken gehalten werden. Deshalb dürfen sie nicht mit bestimmten Materialien wie Gülle, Küchenabfällen oder unverarbeiteten ehemaligen Lebensmitteln, die Fleisch- oder  Fisch enthalten gefüttert werden. In der Forschung ist es dennoch möglich andere Substrate wie Lebensmittelabfälle zu erproben.

Im Fokus vieler Forschenden und Unternehmen steht besonders Hermetia illucens, die Schwarze Soldatenfliege. Sie eignet sich gut, um aus organischen Reststoffen Proteine und Fette herzustellen. Diese können wiederum als Futtermittel in der Nutztierhaltung und Aquakultur, oder industriell genutzt werden. So wird aktuell erforscht, inwieweit Naturstoffe aus Insekten z. B. in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie als Ersatz für Palmöl- und Erdöl-basierte Chemikalien einsetzbar sind. Untersucht wird auch, ob die Exkremente der Tiere als organischer Dünger oder zum Betrieb von Biogasanlagen genutzt werden können.

Beim „Insect Farming“ werden Insekten in speziellen Reaktoren (Bioraffinerien) im Tonnenmaßstab vermehrt und Produkte und Rohstoffe gewonnen. Insektenfarmen sind nachhaltig, kosten- und energieeffizient, weshalb das Geschäft mit Insekten weltweit wächst.

Video: In der Insekten-Drogerie

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Proteinquelle für Mensch und Tier

In vielen Teilen der Welt werden Insekten bereits regelmäßig verzehrt. Als alternative Proteinquelle zu Fleisch, Fisch und Soja gewinnen sie auch hierzulande in der Lebens- und Futtermittelindustrie zunehmend an Bedeutung. In unserem Themendossier von 2018: Insektenkost: Proteinquelle mit Zukunft finden sich ausführliche Informationen zu diesem Thema.

Insekten in Lebens- und Futtermitteln

In der Europäischen Union sind bisher vier Insekten als Lebensmittel zugelassen: der gelbe Mehlwurm, die Wanderheuschrecke, der Getreideschimmelkäfer (Larve) und die Hausgrille. Seit dem Jahr 2021 sind Insekten auch als prozessiertes Futtermittel für Schweine und Hühner erlaubt. Insgesamt dürfen acht Insektenarten in Futtermitteln verwendet werden. Eine davon ist die Schwarze Soldatenfliege Hermetia illucens. Sie bietet eine ressourcenschonende Alternative zu importiertem eiweißreichem Zusatzfutter wie Soja. Sie ist besonders vielseitig bei der Wahl ihrer Nahrung und kann mit pflanzlichen Reststoffen gefüttert werden. Im Forschungsprojekt „Nachhaltige und resiliente Kultivierung von Insekten für den innovativen Einsatz in der Futter- und Lebensmittelherstellung – reKultI4Food“ wird unter anderem erforscht, welche Nährstoffbedürfnisse die Larven der Soldatenfliege haben, wie sie Nährstoffe verwerten und welche Neben- und Restströme der Lebensmittelproduktion sich für ihre Anzucht eignen.
Letztendlich werden auch Faktoren wie die gesellschaftliche Akzeptanz oder die Wirtschaftlichkeit darüber entscheiden, ob sich insektenbasierte Produkte am Markt etablieren können. Im Projekt  „Ganzheitliche Bewertung von alternativen Proteinquellen unter besonderer Berücksichtigung von Insekten“ wird deshalb eine Methodik entwickelt um eine umfassende Bewertung der Erfolgsaussichten neuer Produkte und Verfahren in der Lebensmittel- und Futtermittelherstellung zu ermöglichen. Beide Forschungsprojekte sind Teil des Innovationsraums „NewFoodSystems“ im Programm „Innovationsräume Bioökonomie“ des BMBF – einem Vorhaben, der mit bis zu 20 Mio. Euro gefördert wird.

Insektenprotein statt Fischmehl in der Aquakultur

Seit 2017 dürfen Insekten in der EU offiziell als Proteinquelle in der Aquakultur eingesetzt werden. Seitdem sind zahlreiche vom Bund geförderte Forschungsprojekte angelaufen, um Insekten als Proteinquelle für die heimische Speisefisch- oder Garnelenzucht zu erproben. Bisher wird in Aquakulturen oft Fischmehl verfüttert, was zur Überfischung der Meere beiträgt. Da Fischmehl mit Fischpathogenen belastet sein kann, kommen oft auch Antibiotika zum Einsatz. Ziel der Forschenden ist es deshalb, lokal anfallende, kostengünstige Reststoffe – z. B. aus der Landwirtschaft – für die Zucht von Insekten zu nutzen und diese dann anstelle von Fischmehl an Tiere in Aquakulturen zu verfüttern. Manche Pflanzenbestandteile in landwirtschaftlichen Nebenströmen sind jedoch auch für Insekten schwer verdaulich. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie untersuchen deshalb im BMBF-geförderten Projekt „SymBioÖkonomie“ ob Mikroorganismen dabei helfen können, die pflanzliche Biomasse zu zersetzen und sie so auch für Larven der Schwarzen Soldatenfliege bekömmlich zu machen.

Urbane Lebensmittelproduktion mithilfe von Insekten

An der Humboldt-Universität zu Berlin startete 2022 die futuristische Forschungsfarm „Cubes Circle“, die Teil der BMBF-Förderrichtlinie „Agrarsysteme der Zukunft“ ist. Hier sollen Lebensmittel in geschlossenen Modulen in der Stadt produziert werden – dort, wo sie auch konsumiert werden. Eine Insektenfabrik, in der Larven der Schwarzen Soldatenfliege herangezogen werden, soll Module für Gemüseanbau und Fischzucht ergänzen. Die proteinreiche Biomasse aus dem „InsectCube“ könnte hier zukünftig an Fische verfüttert werden. Das energiereiche Wasser aus der Fischzucht kann wiederum als Dünger für den Anbau von z. B. Tomaten dienen, deren Blätter und Stiele dann an die Insekten verfüttert werden, so dass ein geschlossener Kreislauf ohne Abfallstoffe entsteht. Auch im Forschungsprojekt „Food4Future“ – ebenfalls ein Vorhaben der „Agrarsysteme der Zukunft“ – werden Indoor-Produktionssysteme erprobt. Grillen (Heimchen) in Co-Kultivierung mit Makroalgen, salztoleranten Pflanzen und Quallen werden dabei für die Produktion ernährungsphysiologisch wertvoller Rohstoffe für innovative Food-Produkte eingesetzt.

Mit insektenbasierter Aquakultur zur nachhaltigen Garnelenzucht

Ein weiteres Beispiel für die nachhaltige Produktion von Nahrungsmitteln mit Insekten ist das Pilotprojekt „Insektenbasierte nachhaltige Aquakultur – InA“, das von Thomas Wilke von der Justus-Liebig-Universität Gießen geleitet wird. Noch in diesem Jahr sollen in Gießen tausende Speisegarnelen mit Insektenfutter gezüchtet werden. Die heimische Produktion auf Insektenbasis sei eine Revolution in der Aquakultur, so Wilke. Sie könne eine nachhaltige Alternative zu traditionellen Garnelenfarmen in subtropischen Regionen werden und gleichzeitig mehr Tierwohl für die Garnelen bieten. Auch die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) ist an dem Projekt beteiligt, das im Rahmen des Programms „BioBall“ vom BMBF gefördert wird. Dabei geht es um die Nutzung von „Bioressourcen in Ballungsräumen“. Entsprechend sollen Nach- und Nebenprodukte aus der regionalen Lebensmittelproduktion als Insektenfutter in den Insektenfarmen dienen.

Video: Fliegende Proteinquellen – Auf der Insektenfarm

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Insekten in der industriellen Biotechnologie

Insekten sind eine wahre Schatzkammer für die Industrie, denn die Vielzahl an Naturstoffen und Enzymen, die sie – oder mit ihnen assoziierte Mikroorganismen – produzieren, haben ein breites Anwendungsspektrum. Forschende untersuchen, welche Enzyme industriell verwertet werden können und welche Naturstoffe sich als Alternativen zu Palmöl- oder erdölbasierten Chemikalien eignen.

Insektenfette als Alternative zu Palmöl

Insektenfette könnten aufgrund ihrer chemischen Ähnlichkeit eine nachhaltigere Alternative zu tropischen Fetten wie Palmöl sein. Palmöl wird unter anderem zur Herstellung von Keksen, Kosmetika oder Waschmitteln verwendet und ist laut WWF Deutschland schätzungsweise in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten. Sogar in Biodiesel kommt es zum Einsatz. Doch der Anbau von Ölpalmen bringt viele ökologische und soziale Herausforderungen mit sich. Im Projekt InBiRa – der Insektenbioraffinerie, gefördert vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und der Europäischen Union im Rahmen des EFRE-Förderprogramms – arbeiten Forschende des Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB mit Projektpartnern unter anderem daran, Insektenfette als heimische Quelle zu Palmkern- und Kokosöl zu erschließen. Sie erproben, wie sich die Insektenfette zu Schmierstoffen, Kraftstoffen, Biotensiden oder Seifen umsetzen lassen. Auch die Proteinfraktionen aus der Insektenmast soll zur Herstellung von Holzklebstoffen, Kosmetika, Bindemitteln, Papierbeschichtungen oder Verpackungsfolien genutzt werden.


Bioschmierstoffe aus Insektenfett

Die Nutzung von Insektenfetten als Bioschmierstoff steht im Fokus des BMBF-geförderten Vorhabens BioLube. Forschende des Deutschen Biomasseforschungszentrums gemeinnützige GmbH (DBFZ) entwickeln gemeinsam mit Projektpartnern Produkte auf Basis von Insektenfetten für den breiten technischen Einsatz als Hydrauliköl, Schmieröl und Spezialschmierfett. Vor allem in umweltsensiblen Bereichen wie der Forst- und Bauwirtschaft, in der Schifffahrt oder im Abwassermanagement können Bioschmierstoffe erdölbasierte Schmierstoffe ersetzen. Derzeit werden für ihre Herstellung meist pflanzliche Öle wie Palmöl benutzt. Durch den Einsatz von Insektenfetten kann die Umweltverträglichkeit von Bioschmierstoffen weiter verbessert werden, da für deren Herstellung Rest- und Abfallstoffe verwendet werden.

Insekten-Chitin als Rohstoff für die Textilindustrie

Chitin kann in großen Mengen aus der Insektenzucht gewonnen werden, denn es ist ein Baustoff im Außenskelett der Tiere. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB arbeiteten in den BMBF-geförderten Projekten ChitoTex und Hydrofichi daran, Insektenchitin als Quelle für Chitosan nutzbar zu machen. Chitosan wird zunehmend in der Textilindustrie eingesetzt, um beispielsweise Funktionskleidung wasser- und schmutzabweisend zu beschichten. Der Naturstoff bietet eine biobasierte funktionale Alternative zu erdölbasierten Perfluorierten Chemikalien (PFCs). Diese umweltschädlichen und toxischen Substanzen werden derzeit voranging zur Imprägnierung von Textilien eingesetzt.

Video: Faszinierende Fasern – Forschen für nachhaltige Textilien

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Enzyme von Insekten und Mikroorganismen

Enzyme von Insekten – oder von Mikroorganismen, die in und auf Insekten leben – können Substrate wie Holz, Textilien, tierische Organismen und Reststoffe abbauen. Forschende untersuchen deshalb ihr Anwendungspotenzial für die Industrie. Im Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME haben Forschende um Andreas Vilcinskas gemeinsam mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie (ICE) in Jena im Projekt „Application of Insect-associated Microorganisms in Industrial Biotechnology – AIM-Biotech“ untersucht, wie die Raupen der Kleidermotte Tineola bisselliella Textilien fressen und verdauen und wie die Larven der Soldatenfliege Hermetia illucens Gülle, altes Frittierfett oder Silageabfälle in Fette und Proteine umwandeln.

Auch beim Totengräberkäfer Nicrophorus vespilloides suchten sie gezielt nach neuen Enzymen. Der Käfer vergräbt Kadaver kleiner Säugetiere oder Insekten im Boden und nutzt sie anschließend als Nahrung für sich und seinen Nachwuchs. Enzyme aus seinen Drüsensekreten könnten rekombinant hergestellt und zur Biokonversion von Schlachtabfällen eingesetzt werden. Auch Mikroorganismen aus den Därmen holzfressender Insekten sind eine Quelle für neue Enzyme. Bakterielle Symbionten im Darm von Termiten, verfügen beispielsweise über Enzyme zum Abbau von Lignocellulose. Diese holzabbauenden Enzyme werden z. B. in der Papier- und Textilverarbeitung eingesetzt.

Organische Abfälle in nützliche Produkte umwandeln – mithilfe von Sekreten des Totengräber-Käfers könnte das klappen.

Biotech-Seide nach dem Vorbild von Insekten

Seide ist ein Naturprodukt des Seidenspinners Bombyx mori, der schon vor etwa 5000 Jahren vom Menschen für die Seidenproduktion domestiziert wurde. Auch die Florfliege Chrysoperla carnea produziert Seidenfäden, um ihre Eier daran zu befestigen und so vor Feinden zu schützen. Forschende arbeiten daran, Seide biotechnologisch herzustellen, um sie in großem Maßstab produzieren zu können. Einem Team der Universität Bayreuth ist es gelungen, die Seidenproteine der Florfliege biotechnologisch in Bakterien herzustellen. Die synthetischen Fäden sind ein hochattraktives Material für neue technologische Anwendungen, da sie so zugfest und biegesteif sind wie das natürliche Vorbild. Aufgrund ihrer Biokompatibilität ist Biotech-Seide besonders für die Medizin interessant. Sie kann als Medikamententräger, in Biosensoren oder als Gerüst für die Gewebezüchtung eingesetzt werden.

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Wie eine Insekten-Bioraffinerie funktioniert

Bioraffinerien sind technische Anlagen, in denen Biomasse unter möglichst vollständiger Verwertung in ein Spektrum von Zwischen- und Endprodukten umgewandelt wird. In Insekten-Bioraffinerien wandeln Insekten Biomasse in technisch nutzbare höherwertige Produkte um und leisten damit einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.

InBiRa – die neue Insekten-Bioraffinerie

Im vergangenen Jahr fiel der Startschuss für den Aufbau der ersten deutschen Insekten-Bioraffinerie - InBiRa. Das Verbundprojekt wird mit insgesamt 3,8 Millionen Euro aus EU- und Landesmitteln aus Baden-Württemberg gefördert. Die Pilotanlage wird am Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart errichtet.  Derzeit arbeiten die Forschenden des Fraunhofer IGB gemeinsam mit der Universität Stuttgart, dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), der Hermetia Baruth GmbH und der PreZero Stiftung & Co. KG am Aufbau der Insekten-Bioraffinerie.

Wie funktioniert InBiRa?

In der Anlage werden die Larven der Schwarzen Soldatenfliege Hermetia illucens in Massen gezüchtet. Eine Soldatenfliege legt bis zu 500 Eier ab. Die Larven schlüpfen schnell und wandeln während ihres Wachstums innerhalb weniger Tage organische Reststoffe und Bioabfälle in Fette, Proteine und Chitin um. Die Larven werden zu Larven-Trockenmasse verarbeitet und ihre Biomasse „fraktioniert“. Das heißt, sie wird in ihre Fett- und Proteinbestandteile - die jeweils etwa 50 % der Gesamtbiomasse ausmachen – sowie eine Restfraktion aufgetrennt (Primärraffination). Diese drei Fraktionen werden durch weitere Veredelungsschritte zu einer Vielzahl höherwertiger Produkte verarbeitet (Sekundärraffination). Das Forscherteam entwickelt Verfahren, um die Fettfraktion in Schmierstoffe, Kraftstoffe, Biotenside oder Seifen umzuwandeln. Außerdem untersuchen sie, wie die Proteinfraktion zur Herstellung von Holzklebstoffen, Kosmetika, Bindemitteln, Papierbeschichtungen oder Verpackungsfolien verwendet werden können. Das Chitin aus der Restfraktion soll in hochwertiges Chitosan umgewandelt werden, das in der Textilindustrie oder zur Abwasseraufbereitung eingesetzt werden kann. Das Projekt untersucht die Machbarkeit der Herstellung sowie die Marktfähigkeit verschiedener Produkte dieser Art.

Getrocknete Insektenlarven der Soldatenfliege
Aus den getrockneten Larven der Schwarzen Soldatenfliege können Proteine, Fette und Chitin gewonnen werden.

Was ist das Besondere an InBiRa?

Der ökologische Nutzen und das Thema Nachhaltigkeit stehen im Mittelpunkt des Projektes. Der gesamte Herstellungsprozess wird einer umfassenden Nachhaltigkeitsbewertung und Ökobilanzierung unterzogen. In der kommerziellen Insektenzucht wird bisher oft speziell hergestelltes Insektenfutter verfüttert. Bei InBiRa sollen erstmals Reststoffe aus der Region verfüttert werden - ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Deshalb untersuchen die Forschenden auch, wie sich die wechselnde Zusammensetzung des Futters auf die Zusammensetzung der Produkte auswirkt, denn täglich landen unterschiedliche Lebensmittel in den Biotonnen.

Ein weiteres Ziel der Forschenden ist es, alle bei der Insektenzucht anfallenden Reststoffe bestmöglich zu verwerten. Dazu gehören das nicht verwertete Restfutter, das vor allem aus pflanzlicher Cellulose besteht, die Exuvien – die bei der Häutung der Larven beim Übergang in das nächste Larvenstadium abgestreift werden, und die Exkremente der Insekten. Es wird untersucht, wie aus diesen Restsubstraten Dünger oder Biogas gewonnen werden kann.

Video: InsektenBioraffinerie - Vom Karottenkraut zum Bio-Kunststoff

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Nachhaltiger Pflanzenschutz

Insektizide und Biodiversität

Schadinsekten können einen großen Teil der Nutzpflanzen auf Anbauflächen und in Vorratslagern vernichten. Zu ihrer Bekämpfung werden seit Jahrzehnten chemische Insektizide eingesetzt. Solche Mittel wirken oft gegen alle Insekten – mit negativen Folgen für die Artenvielfalt. Auch der Rückgang der Bienenvölker und der damit einhergehende Verlust der Bestäubungsleistung wird mit dem langjährigen und großflächigen Einsatz bestimmter Insektizide wie den Neonikotinoiden in Verbindung gebracht. Drei dieser Produkte dürfen seit 2018 europaweit nicht mehr im Freiland eingesetzt werden.

Insektenbiotechnologie für nachhaltigen Pflanzenschutz

Das Verbot bewährter Insektizide, neue invasive Insektenarten, sowie die Zunahme von Insektizidresistenzen machen die Entwicklung und Anwendung neuer Wirkstoffe und Methoden im Pflanzenschutz notwendig. Dabei gewinnen alternative Optionen für eine nachhaltigere, sowie umwelt- und verbraucherfreundlichere Bekämpfung von Schadinsekten zunehmend an Bedeutung. Biotechnologische Methoden können biologische Bekämpfungsstrategien ergänzen und effizienter machen. Zu den Strategien, die aktuell erforscht werden, gehören Bioinsektizide, RNA-Interferenz (RNAi), sterile Insektentechnologie (SIT) und der Einsatz von Viren. Allen ist gemein, dass sie gezielt nur ausgewählte Schadinsekten bekämpfen sollen. Somit leisten sie einen Beitrag zum Arten- und Umweltschutz und sollten kein Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellen.

Bioinsektizide

Viele Insekten produzieren Giftcocktails, um andere Insekten zu jagen oder sich zu verteidigen. Dieses Wirkstoffarsenal ist unglaublich vielseitig und ermöglicht beispielsweise die Entwicklung nachhaltiger Bioinsektizide, die hochselektiv Schadinsekten bekämpfen, ohne andere Arten zu schädigen. So erforscht die Arbeitsgruppe „Animal Venomics“ (Tiergifte) an der Justus-Liebig-Universität Gießen, zusammen mit Forschenden des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik, das Gift von Raubfliegen, wie der Großen Wolfsfliege Dasypogon diadema.

Virale Insektizide

Die Kirschessigfliege Drosophila suzukii stammt ursprünglich aus Asien und ist vermutlich 2008 nach Europa eingeschleppt worden. Sie befällt gesunde Früchte, wie Kirschen oder Weintrauben kurz vor der Ernte. Innerhalb kurzer Zeit hat sich die Kirschessigfliege zu einer großen Bedrohung für den europäischen Obst- und Weinbau entwickelt. Eine Arbeitsgruppe der Technischen Hochschule Mittelhessen erforscht im Projekt „Neo-Wein–Maßnahmen zur Gesunderhaltung von Weichobst im ökologischen Anbau“, das vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird, wie die Kirschessigfliege virologisch bekämpft werden kann. Das Team um Michael Wolff kooperiert dabei mit Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME. Spezifische Viren, die aus der Kirschessigfliege isoliert wurden und nur diese infizieren können, sollen in Insektenzellen produziert werden. Langfristiges Ziel ist es, das virale Insektizid als Wirkstoff gegen die Kirschessigfliege einzusetzen.  

Sterile Insektentechnologie

Auch die Orientalische Fruchtfliege Bactrocera dorsalis und die Pfirsichfruchtfliege Bactrocera zonata bedrohen den europäischen Obst- und Gemüseanbau. Die Europäische Union will die Ausbreitung der beiden Arten schon frühzeitig verhindern und fördert dazu das internationale Forschungsprojekt REACT (Rapid elimination of invasive agricultural insect pest outbreaks by tackling them with Sterile Insect Techniques programs). Das Forschungskonsortium wird unter der Leitung von Marc F. Schetellig an der Justus-Liebig-Universität Gießen koordiniert. Grundlage der Strategie ist die Sterile-Insekten-Technik (SIT), die bereits bei einer anderen Fruchtfliegenart erprobt wurde. Dabei werden unfruchtbare Artgenossen freigesetzt, um die Fortpflanzungsfähigkeit einer Art zu minimieren. Dazu wird das Schadinsekt in großen Mengen gezüchtet, sterilisiert und wiederholt im betroffenen Gebiet ausgesetzt. Paaren sich Weibchen im Feld mit unfruchtbaren Männchen, bleibt der Nachwuchs aus und die Population schrumpft.

Kirschessigfliegen machten Landwirten das Leben schwer. Denn sie stehen auf reifes Obst.
Kirschessigfliegen befallen reifes Obst, das kann zu drastischen Ernteeinbußen führen.

RNA-Interferenz

Eine andere Methode, Schädlinge zu bekämpfen ist die RNA-Interferenz. Dazu identifizieren die Forschenden zunächst Gene, die für eine – und nur für diese – Insektenart charakteristisch und zugleich lebenswichtig sind.  Mithilfe der RNA-Interferenz werden diese Gene dann gezielt blockiert. Forschende des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME entwickeln ein RNA-basiertes Präparat gegen den Kartoffelkäfer, das bereits in Feldversuchen getestet wird. Im Rahmen des vom BMBF-geförderten Projekts „RNA PROTECT, RNA-basierte Wirkstoffe für den Einsatz im Pflanzenschutz“, entwickelt ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) die Technologie für den Einsatz gegen weitere Schadinsekten und Pilze weiter.

RNA-Interferenz wird auch zur Bekämpfung von Vektor-Insekten wie der asiatischen Tigermücke Aedes albopictus erprobt, die sich derzeit in Europa ausbreitet. Sie überträgt Viren, die beim Menschen Krankheiten wie Zika oder Dengue-Fieber auslösen. Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen entwickeln Verfahren, um die Ausbreitung der Tigermücke mittels RNAi zu bekämpfen.

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Anwendungen für die Medizin

Insekten oder mit ihnen assoziierten Organismen sind eine wahre Fundgrube für neue Wirkstoffe in der Medizin. In den Sekreten der Insekten, in ihrem „Blut“ – der Hämolymphe – oder in ihren Giften fahnden Forschende nach Wirkstoffen. In der Medizin können Insekten oder Insektenzellen sowohl als Tiermodelle als auch zur Herstellung rekombinanter Proteine wie Impfstoffe verwendet werden.

Antibiotika und Virulenzblocker

Durch die zunehmende Verbreitung multiresistenter Keime steigt der Bedarf an neuen Antibiotika. In den letzten Jahrzehnten kamen nur wenige neue Wirkstoffe auf den Markt. Der große Forschungsaufwand, die hohen Entwicklungskosten und die geringen Gewinnaussichtenhaben dazu geführt, dass sich viele Industrieunternehmen aus der Antibiotika-Forschung zurückgezogen haben. Am Sanofi-Fraunhofer-Exzellenzzentrum für Naturstoffforschung in Gießen suchen Forschende nach neuen Wirkstoffen für die Antibiotikaentwicklung. Sie isolierten unter anderem antimikrobielle Peptide aus der Wundmade Lucilia sericata.

Auch der asiatische Marienkäfer ist eine Quelle für neue antimikrobielle Wirkstoffe. Aus seiner Hämolymphe wurde eine Substanz namens Harmonin isoliert, die sowohl gegen Tuberkulose- als auch gegen Malariaerreger wirksam ist.

Als vielversprechende Alternative zu Antibiotika gelten Behandlungsstrategien, die nicht auf die direkte Abtötung der Erreger, sondern auf die Neutralisierung ihrer Pathogenitäts- bzw. Virulenzfaktoren abzielen. Ein neuartiger Inhibitor bakterieller Metalloproteasen aus Insekten wirkt hochspezifisch und hemmt die Produktion von Virulenzfaktoren bei Pseudomonas aeruginosa, einem Bakterium, das besonders bei Lungeninfektionen eine Rolle spielt. In dem vom BMBF geförderten Projekt „Inhalierbare Virulenz-Inhibitoren aus Insekten zur Therapie von Lungeninfektionen (4-IN)“ haben die Fraunhofer-Institute für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM gemeinsam das Potenzial neuartiger Wirkstoffe zur Prävention und Behandlung von Lungeninfektionen untersucht.

Tiermodelle

Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster gehört zu den etablierten Tiermodellen in der biomedizinischen Forschung. Im Vergleich zu Versuchstieren wie Ratten oder Mäusen bieten Insekten mehrere Vorteile: Ihr Einsatz in der Forschung ist schneller und kostengünstiger als Tierversuche mit Säugetieren. Etwa 75% der Gene, die beim Menschen Krankheiten auslösen können, kommen auch bei Insekten vor. Die Larven des Tabakschwärmers dienen auch als Modellorganismus für menschliche Erkrankungen. Im vergangenen Jahr berichtete ein internationales Team um Forschende des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), dass die Raupen des Tabakschwärmers genutzt werden können, um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen zu erforschen und dringend benötigte neue Therapien zu entwickeln und zu testen.

Insektenzellinien für die Impfstoffproduktion

Insektenzellen werden schon seit vielen Jahrzehnten kultiviert und können unter anderem für Toxizitäts- und Wirksamkeitsprüfung von Arzneistoffen eingesetzt werden. Auch Impfstoffe werden mit Hilfe des Baculovirus-Expressionsvektorsystems (BEVS) bereits kommerziell in Insektenzellen hergestellt.

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Gelbe Biotechnologie – Forschungslandschaft in Deutschland