Epigenetik – Finetuning für die Pflanzenzüchtung

Epigenetik – Finetuning für die Pflanzenzüchtung

Was ist Epigenetik und wie kann sie in der Pflanzenzüchtung genutzt werden? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der BMBF-Fördermaßnahme „Epigenetik – Chancen für die Pflanzenforschung“.

Maiskolben-Epigenetische Muster
Farbige Muster auf Maiskörnern, die vermutlich durch die Aktivität springender DNA-Elemente (Transposons) entstanden sind. Sie werden durch epigenetische Mechanismen reguliert.

Die Epigenetik ist im übertragenen Sinne das Kurzzeitgedächtnis der Pflanze, das es ihr beispielsweise ermöglicht, sich an veränderliche Umwelteinflüsse anzupassen. Epigenetische Mechanismen regulieren die Ableserate genetischer Informationen und beeinflussen damit den Stoffwechsel und die Entwicklung der Pflanze. Obwohl epigenetische Informationen nicht unmittelbar in den Erbanlagen gespeichert sind, können sie dennoch an die Nachkommen vererbt werden. Inwieweit das Wissen über epigenetische Merkmale auch in der Pflanzenzüchtung genutzt werden kann, möchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Fördermaßnahme Epigenetik Chancen für die Pflanzenforschung vorantreiben.

Epigenetik – Genregulation auf einer anderen Ebene

Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) einer Zelle enthält alle Erbinformationen, die Lebewesen für ihr Wachstum, ihre Entwicklung und ihre Fortpflanzung benötigen. Auf dieser Grundlage können die meisten Prozesse des Lebens recht gut beschrieben werden. Doch es gibt Beispiele von erblichen Veränderungen, die anscheinend nicht auf Unterschiede in der DNA-Sequenz zurückzuführen sind.

So entdeckte der Kanadier Alexander Brink im Jahr 1956 bei Kreuzungsversuchen mit Maispflanzen, dass sich die Rotpunktierung von Maiskörnern an die unmittelbaren Nachkommen weitervererbt, diese Punktierung in den darauffolgenden Generationen aber wieder verschwindet. Um Erklärungen für die Abweichungen von den klassischen Vererbungsregeln zu finden, wurden in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Studien durchgeführt, die den Grundstein für das Fachgebiet der Epigenetik begründet haben.

Was ist Epigenetik?

Die Epigenetik untersucht als Forschungsdisziplin vererbbare Änderungen der Genaktivität, die nicht auf Veränderungen der primären DNA-Sequenz be­ruhen.

Der Begriff Epigenetik (epi: über(geordnet), Genetik: Vererbungslehre) beschreibt sehr treffend das Prinzip dieser speziellen Form der Vererbung, da epigenetische Mechanismen zwar Veränderungen an der DNA verursachen, die eigentliche DNA-Sequenz aber unverändert bleibt. Obwohl die epigenetischen Merkmale nicht unmittelbar in der DNA-Sequenz gespeichert sind, können sie dennoch in einer abgeschwächten Form an die Nachkommen weitergegeben werden. Am Beispiel der Rotpunktierung der Maispflanze bedeutet dies, dass die Maiskörner der kommenden Generationen wieder einfarbig werden, obwohl sich die eigentliche DNA-Sequenz nicht verändert.

Wichtige epigenetische Mechanismen bei Pflanzen

Die DNA einer pflanzlichen Zelle bildet gemeinsam mit dem Chromatin eine dynamische Struktur, die genutzt wird, um sehr große DNA-Mengen möglichst effizient zu verpacken. Durch die Art der Verpackung kann die Information der DNA-Sequenz bedarfsgerecht abgelesen werden. Wird nun diese dynamische Struktur, bestehend aus DNA und Chromatin, chemisch verändert, hat das zur Folge, dass an den modifizierten Stellen die Information der DNA-Sequenz seltener oder häufiger abgelesen werden kann. Von den verschiedenen epigenetischen Regulierungen ist die DNA-Methylierung vermutlich der bekannteste Mechanismus, bei dem die DNA-Sequenz an definierten Stellen chemisch verändert wird.


Als grobe Regel gilt, dass Methylierungen vor dem Gen zu einer verringerten Ableserate führen, während Methylierungen im Gen zu einer Steigerung führen. Ein breites Spektrum an Chromatin-Modifikationen gehört ebenfalls zu den wichtigsten epigenetischen Merkmalen. Dabei wird die Verpackung der DNA durch unterschiedliche chemische Modifikationen verändert. Vermutlich können diese Veränderungen von spezialisierten Proteinen erkannt und interpretiert werden, sodass diese epigenetischen Merkmale ebenfalls zu gesteigerten oder verringerten Ableseraten führen.


Neben der DNA-Methylierung und der Histon-Modifikation nutzen Pflanzen auch eine Vielzahl an Mechanismen, die an Ribonukleinsäuren (RNA) ansetzen. Von Bedeutung ist das Phänomen der RNA-Interferenz (RNAi). Im Gegensatz zur DNA-Methylierung beeinflusst die RNA-Interferenz nicht die Ableserate, sondern greift einen Schritt später ein und zerstört die Boten-Ribonukleinsäure (mRNA). Dabei binden sowohl ein kurzes RNA-Fragment als auch der sogenannte RNAi-Enzymkomplex spezifisch an bestimmte mRNA-Moleküle. Der RNAi-Enzymkomplex zerschneidet dann die mRNA und verringert somit indirekt die Ableserate. Neben der Regulierung der Ableserate können über diesen Mechanismus beispielsweise auch bestimmte Pflanzenviren abgetötet werden.


Die umfangreiche Grundlagenforschung der vergangenen Jahrzehnte offenbarte, dass die drei beschriebenen epigenetischen Mechanismen an der Kontrolle zahlreicher physiologischer und entwicklungsbiologischer Prozesse der Pflanze beteiligt sind.

Epigenetische Effekte bei Pflanzen im Visier

Mittlerweile ist bekannt, dass Pflanzen ein beachtliches Spektrum epigenetischer Mechanismen nutzen, die es ihnen unter anderem ermöglichen, zum passenden Zeitpunkt zu blühen oder widrige Umweltbedingungen zu überleben. Somit ist die epigenetische Veränderung der DNA-Sequenz im Grunde das Gedächtnis der Pflanze, das sie sogar mit ihren Nachkommen teilen kann. Am Beispiel des Blühzeitpunktes einer Pflanze trägt die DNA-Sequenz die Informationen beispielsweise zum Aufbau der Blüte, wobei die epigenetischen Merkmale, den Zeitpunkt beeinflussen, wann die Pflanze blüht.

Diese Information gibt die Pflanze an ihre Nachkommen weiter, sodass die nächste Generation den optimalen Blühzeitpunkt kennt. Vermutlich werden die epigenetischen Eigenschaften einer Pflanze durch das Zusammenspiel von verschiedenen Mechanismen vermittelt. So kann jede Generation bestimmte epigenetische Informationen hinzufügen und entfernen, um mit diesem Finetuning zahlreiche Prozesse zu steuern.

Die Fördermaßnahme Epigenetik – Chancen für die Pflanzenforschung

Ob und wie epigenetische Eigenschaften in der Pflanzenzüchtung genutzt werden können, um den Ertrag und die Qualität von Nutzpflanzen zu verbessern oder sie widerstandsfähiger gegen Schädlinge zu machen, wurde in der angewandten Forschung bisher kaum untersucht. Ein besseres Verständnis der zahlreichen epigenetischen Mechanismen und deren Zusammenspiel sowie die Regeln der Vererbung epigenetischer Informationen ist für eine Anwendung in der Pflanzenzüchtung notwendig. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat daher im Jahr 2020 die Fördermaßnahme Epigenetik - Chancen für die Pflanzenforschung gestartet und möchte damit das enorme wissenschaftliche und technologische Potenzial der Epigenetik in den Pflanzenwissenschaften und der Pflanzenzüchtung ausloten.

Autor: Dr. Christian Pfaff (Projektträger Jülich)