„Bis jetzt läuft die Kommunikation hervorragend“, sagte Bier in Berlin. An dem 2011 gestarteten Verbund sind Forscher aus acht verschiedenen Fraunhofer-Instituten beteiligt. Nach Ansicht von Bier war das Beschnuppern bisher sehr erfolgreich: „Wir haben die erste Phase mit einer steilen Lernkurve schnell hinter uns gebracht."
In seinem einleitenden Vortrag betonte Ulrich Buller aus dem Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft den Stellenwert der „Zellfreien Bioproduktion“ als eines der zentralen Felder der Fraunhofer-Systemforschung. Ziel der Systemforschung sei es, die auf viele Institute aufgeteilten Kompetenzen sinnvoll zur Lösung drängender Fragestellungen zu bündeln. Die Fraunhofer-Gesellschaft stellt für das Projekt „Zellfreie Bioproduktion“ sechs Millionen Euro zur Verfügung. Im Rahmen des Strategieprozesses „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren“ investiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) weitere 15 Millionen Euro. Buller regte an, die Forschung an großen Themenfeldern so voranzutreiben, dass sie auch für Investoren aus der Industrie attraktiv werde. Denn obwohl die Fraunhofer-Institute einen Großteil ihres Budgets über Partnerschaften mit der Wirtschaft einwerben, konnten für das konkrete Verbundprojekt keine Drittmittel aufgebracht werden. Allerdings seien die „Biomoleküle vom Band“ eine für Fraunhofer-Verhältnisse vergleichsweise marktferne Unternehmung, die noch stark auf Grundlagenforschung basiere, betonte Buller.
Bioproduktion ohne Biomasse
Dass sich das Risiko aber durchaus lohnen könnte, machte der Potsdamer Biotechnologe Frank Fabian Bier klar.
Gelänge es, einzelne wichtige und wirtschaftlich nutzbare Teile vom Gesamtkontext der Zelle zu entkoppeln, könne man neue Produkte und Produktionsweisen entwickeln. Stoffkreisläufe könnten effizienter ablaufen, Ressourcen geschont, anfallender Abfall minimiert und die Effizienz vieler technologischer Verfahren gesteigert werden. Die zellfreie Produktion von Proteinen bezeichnet der Forscher plakativ als „Bioproduktion ohne Biomasse“ oder als „Produktion ohne Reproduktion“.
Auf dem Weg dahin gelte es aber noch einige Probleme in den Griff zu bekommen. Im Rahmen des Verbundprojektes beschäftigen sich einige Gruppen mit Reaktorkonzepten, andere mit Membrankonzepten oder mit der Energieversorgung zellfreier Systeme. Auf nahezu allen Gebieten konnten die Vortragenden ein knappes Jahr nach dem offiziellen Startschuss Fortschritte verzeichnen.
Stefan Kubick vom Potsdamer IBMT hat mit seinem Team eine Methode entwickelt, mit der man unter physiologischen Bedingungen sogenannte GUVs (giant unilamellar vesicles, „riesige, einschichtige Vesikel“) über einen Prozess namens „Elektroformation“ herstellen kann. Solche GUVs imitieren eine Zelle und können wie eine solche behandelt werden. Sie sind zum Beispiel wichtig, um zellfrei hergestellte Membranproteine näher zu untersuchen.
Auch können GUV-Membranproteine so einfach gezielt verändert werden, so dass sie ihren auf natürlichem Wege entstandenen Geschwistern noch mehr ähneln.
Das Energie-Enzym
Eines der dringendsten Probleme ist aber, wo die Energie für die Produktionsschritte im Labor herkommen soll. In der Zelle stellen vor allem die Zellkraftwerke, die Mitochondrien, Energie in Form von ATP bereit. Da für die Biosynthese wirtschaftlich genutzter Proteine ebenfalls ATP benötigt wird, konzentrieren sich die Tüftler bei ihrem zellfreien System zunächst auf ein Enzym, dass ATP herstellt: die ATP-Synthase. Momentan wird sie von Bakterienzellen hergestellt, danach von den Forschern isoliert und in technische Membranen integriert. Mit Stolz berichtete Steffen Rupp vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart, dass einige Bakterienstämme dank molekularer Tricks inzwischen in der Lage sind, zehnmal mehr ATP-Synthase herzustellen als zuvor. Auch können die Forscher jetzt das gesamte, aus zwei Komplexen bestehende Enzym aus den aufgelösten Bakterienzellen isolieren. „Das ist ein wichtiger Schritt, denn nur das intakte Enzym kann seine Aufgabe erfüllen“, sagte Rupp. Er konnte auch von einem Erfolg auf einem anderen Gebiet berichten. Statt die ATP-Synthase von Bakterien herstellen zu lassen, versuchen Fraunhofer-Forscher, sie gleich außerhalb einer Zelle herzustellen. Ein kniffliges Unterfangen, denn die zwei Komplexe des Enzyms bestehen aus insgesamt acht Untereinheiten. Jetzt ist es den Wissenschaftlern aber gelungen, alle Untereinheiten in einem zellfreien System nachweisbar herzustellen. Derzeit arbeiten sie daran, alle Untereinheiten zu einem funktionierenden System zusammenzusetzen. Auch das ist eine Herausforderung. Dennoch glaubt Rupp, dass nun „alle Komponenten für den Aufbau eines Energiemoduls vorhanden sind.“
Normen und Sicherheitsaspekte künftiger Biotechnologien
Bei Projektvorhaben zu Zukunftsthemen wie der zellfreien Bioproduktion haben die Fraunhofer-Forscher auch der Begleitforschung einen wichtigen Stellenwert eingeräumt. So hat das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung unter der Leitung von Bärbel Hüsing sich frühzeitig mit Fragestellungen auseinandergesetzt, die für zukünftige Anwendungen in der zellfreien Bioproduktion relevant sind. Wie müssen technische Spezifikationen aussehen? Welche Standards und Normen müssen gelten, auch im Hinblick auf Sicherheitsaspekte? Mit welchen Marktbedingungen und Nutzeranforderungen ist zu rechnen? Eines der wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Analyse: "Die aktuellen Forschungsarbeiten, welche noch im Mikro- und Milliliter-Bereich stattfinden, werden aus sicherheitstechnischer Sicht derzeit als unkritisch bewertet", sagte Hüsing. Dennoch plädierte die Fraunhofer-Expertin für eine Selbstverpflichtung der Anwender, um so einen aktiven Beitrag zum Schutz vor Missbrauch zu leisten. Hierzu hat die Fraunhofer-Gesellschaft mittlerweile einen Verhaltenskodex (Code of Conduct) formuliert, der den Forschern als Richtschnur für die praktische Arbeit dienen soll.