Futtermittelzusätze aus Krabbenschalen gewinnen

Futtermittelzusätze aus Krabbenschalen gewinnen

Mithilfe eines gentechnisch optimierten Bakterienstammes ist es Forschenden der TU Dresden gelungen, aus dem Chitin von Schrimpsabfällen die essenzielle Aminosäure Lysin zu gewinnen.

Shrimps
Die Panzer von Schalentieren wie Shrimps oder Hummer enthalten das zweitwichtigste Biopolymer Chitin.

Meerestiere wie Shrimps gelten als Delikatesse. Doch auch die Schalen haben es in sich: Sie enthalten das neben Cellulose am weitesten verbreitete Polysaccharid Chitin. Wegen seiner strukturgebenden, biokompatiblen und antimikrobiellen Eigenschaften ist das Biopolymer seit langem ein interessanter Rohstoff für die Bioökonomie. Bisher werden die Schalen jedoch weitestgehend als Abfall entsorgt. Nur ein geringer Teil findet als Futtermittel Anwendung.

Neue Verwertungsoptionen für Shrimpsabfälle

Im Projekt ScampiLys hat ein Team der Technischen Universität (TU) Dresden gemeinsam mit Forschenden in Vietnam nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für Shrimpsabfälle gesucht. Die Arbeit der Dresdner Forschenden wird seit Februar 2021 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme Bioökonomie International mit rund 458.000 Euro gefördert.

Vietnam zählt neben China und Thailand mittlerweile zu den größten Shrimpsproduzenten der Welt. Entsprechend fallen jährlich riesige Mengen – etwa 350.000 Tonnen – an Krabbenschalen an, die nicht verwertet, sondern als Abfall entsorgt werden. Zwar gibt es Bestrebungen, das aus den Krabbenschalen gewonnene Chitin zu Chitosan zu verarbeiten. Doch dafür sei der Bedarf von weltweit 20.000 Tonnen viel zu gering. „Es gibt aktuell keinen Wertstoff, der in ausreichend großer Menge aus den Chitinabfällen produziert werden könnte“, erklärt Thomas Walther, Projektleiter an der TU Dresden.

Aminosäure Lysin aus Chitin gewinnen

Wie also kann man chininhaltige Schalen noch nutzen? Im Fokus des Projekts stand die Entwicklung eines hochwertigen Futtermittelzusatzstoffs. Aus dem Chitin der Krabbenschalen wollten die Forschenden die essenzielle Aminosäure Lysin gewinnen, um den Nährwert des Tierfutters – konkret für Schweine – zu steigern. „Unser Ziel war es, die Aminosäure Lysin aus dem Hydrolysat herzustellen“, erklärt der Bioverfahrenstechniker.

Bei Chitin handelt es sich um ein Biopolymer, das im Vergleich zu pflanzlichen Biopolymeren wie Lignin jedoch viel stabiler ist und nur unter hohen Reaktionsbedingungen wie Temperatur und Druck sowie in Gegenwart von Salzsäure in seine Einzelbestandteile – die sogenannten Monomere – zerlegt werden kann. „Das hat zur Folge, dass in dem entstehenden Hydrolysat neben den Chitinmonomeren auch sehr viel Salz vorhanden ist. Diese hohen Salzkonzentrationen machen jedoch eine mikrobielle Verwertung nahezu unmöglich. Das heißt: Ich kann das Hydrolysat nicht einfach Mikroorganismen zum Fressen geben“, so Walther.

Auf dem Weg zur bakteriellen Lysinproduktion

Und genau das haben die Forschenden angestrebt. Dafür wurden zwei Ansätze adressiert: Zum einen wollten die Forschenden in Vietnam die Hydrolysebedingungen zur Aufspaltung von Chitin so weit optimieren, dass die Salzkonzentration auf ein Minimum reduziert wird. Zum anderen musste das Dresdner Team einen Mikroorganismus finden, der salztolerant ist und das gewünschte Produkt – die Aminosäure Lysin – produziert.

Hier fiel die Wahl auf Vibrio natriegens, einen marinen Mikroorganismus, der von Natur aus mit hohen Salzkonzentrationen zurechtkommt und schnell wächst. Die Hürde: Vibrio wird zwar ein großes biotechnologisches Potenzial bescheinigt. Er ist aber im Vergleich zu etablierten Produktionsorganismen wie Escherichia coli oder der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae noch wenig erforscht. Um den Bakterienstamm für die Lysinproduktion überhaupt nutzen zu können, musste Grundlagenforschung betrieben werden.

Regulation des Stoffwechsels im Visier

„Man muss verstehen, wie die Regulation des Stoffwechsels in diesem Organismus funktioniert und welche Gene in Gegenwart von Lysin herunterreguliert werden“, erläutert Walther. Mithilfe der Transkriptionsanalyse wurden daher alle relevanten Stoffwechselwege auf ihre Regulation durch Lysin und verwandte Aminosäuren untersucht. Darüber hinaus wurden die wichtigsten Gene exprimiert, entsprechende Enzyme aufgereinigt und deren Eigenschaften bestimmt. Es wurden auch einzelne strukturelle Gene ausgeschaltet, um zu sehen, wie sich der Bakterienstamm verhält. Zugleich behielten die Forschenden auch die anderen Aminosäuren im Blick, um deren Überproduktion zu verhindern.

Die Abbildung zeigt den allgemeiner Arbeitsablauf von der Kultivierung bis zu den Sequenzierungsdaten
Die Abbildung zeigt den allgemeiner Arbeitsablauf von der Kultivierung bis zu den Sequenzierungsdaten

Bei der Analyse der Enzymaktivitäten stellten die Forschenden überraschend fest, dass „oft nicht nur ein, sondern zwei Enzyme“ einzelne Reaktionen bei der Biosynthese von Lysin in diesem Organismus katalysieren und dass diese Enzyme jeweils auf verschiedene Art und Weise reguliert werden. „Unerwartet war, dass man Enzyme findet, die zwar die gleiche Reaktion katalysieren, aber anders reguliert sind als in bekannten industriell etablierten Mikroorganismen“, sagt Walther.

Im nächsten Schritt wollten die Dresdner Forschenden den marinen Organismus gentechnisch so verändern, dass er mehr Lysin produziert, als er es gewöhnlich tut. Hierfür sollten Gene in den Produktionsstamm eingeschleust werden, die eine Überproduktion ermöglichen. Dieser Abschnitt erwies sich als komplizierter und langwieriger als geplant, da Walther zufolge „herkömmliche Ansätze zur Optimierung des Bakterienstammes“ mittels einfach transferierbarer DNA-Konstrukte versagten und die Forschenden einen anderen Weg finden mussten, um ans Ziel zu kommen. Doch das ist ihnen gelungen.

Marinen Organismus mit gentechnischen Verfahren optimiert

Mittels gentechnischer Veränderungen haben die Forschenden im Produktionsorganismus Vibrio natriegens schließlich zwei Enzyme ausgeschaltet, die eine Lysinproduktion behinderten, sowie vier Schlüsselenzyme überproduziert. „Jetzt haben wir einen Stamm, der tatsächlich Lysin produziert. Aus einem Kilogramm Chitinmonomere können wir 100 Gramm Lysin produzieren“, berichtet der Projektleiter. Als Nächstes will das Dresdner Team die Optimierung des Fermentationsprozesses angehen, um die Chitinausbeute zu steigern.

Zudem muss sich der marine Bakterienstamm auch noch im realen Hydrolysat der vietnamesischen Kollegen bewähren. Doch die Voraussetzungen sind gut. Walther zufolge konnten die Forschungspartner die Hydrolyse der Chitinabfälle so stark optimieren, dass die Salzkonzentrationen um 80 % reduziert wurden.

Im Ergebnis konnte das Team von Scampilys zeigen, dass mithilfe eines gentechnisch optimierten Produktionsstammes wertvolle Produkte aus den schwer fermentierbaren Chitinabfällen gewonnen werden können. Die Studie ist den Forschenden zufolge ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zu einer nachhaltigeren Nutzung dieses Abfallstoffs.

Autorin: Beatrix Boldt