„Wir wollen mit Temperatursensoren die Züchtung klimaresistenter Pflanzen beschleunigen“
Philip WiggeBeruf:
Molekularbiologe
Position:
Leiter Programmbereich „Funktionelle Pflanzenbiologie“ am Leibniz-Institut für Gemüse-und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren
Beruf:
Molekularbiologe
Position:
Leiter Programmbereich „Funktionelle Pflanzenbiologie“ am Leibniz-Institut für Gemüse-und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren
Der Potsdamer Molekularbiologe Philip Wigge erforscht die Mechanismen, mit denen Pflanzen Umgebungstemperaturen erfassen und sich anpassen.
Ob Hitzestress oder Kälteeinbruch: Pflanzen reagieren oft sehr empfindlich auf schnelle Wetterumbrüche und sorgen damit für Ernteverluste in der Landwirtschaft. Um die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern, ist es wichtig die Mechanismen zu kennen, mit denen Pflanzen auf ihre Umgebungstemperatur reagieren. Mit der Temperaturwahrnehmung von Pflanzen beschäftigt sich Philip Wigge in einem Projekt, dass kürzlich mit einem renommierten ERC Advanced Grant ausgezeichnet wurde. Der Potsdamer Molekularbiologe will darin ergründen, wie Pflanzen ein korrektes Temperatursignal ermitteln können, auch wenn die Umgebungsbedingungen starken Schwankungen unterliegen.
Wie nehmen Pflanzen Kälte und Hitze wahr und wie schützen sie sich davor?
Da sich Pflanzen nicht bewegen können, sind sie im Laufe der Jahreszeiten großen Temperaturschwankungen ausgesetzt und müssen sich daher aktiv gegen Kälte und Hitze schützen. Sie messen die Temperatur mithilfe spezieller thermosensorischer Moleküle und nutzen diese Informationen zur Steuerung der Genexpression. So können Pflanzen zum Beispiel als Reaktion auf Kälte Frostschutzproteine bilden. Wenn es zu heiß ist, aktivieren sie einen anderen Signalweg, den Hitzestress-Signalweg. Dieser schützt die Zelle vor ungefalteten Proteinen und beschädigten Membranen. Pflanzen schützen sich auch gegen extreme Temperaturen, indem sie ihren Lebenszyklus mit den Jahreszeiten synchronisieren. So blühen Pflanzen der gemäßigten Zonen in der Regel im Frühjahr und Sommer, während Laubbäume im Winter ihre Blätter verlieren.
In welcher Form erhalten Pflanzen ein so genanntes Temperatursignal und wie reagieren sie darauf?
Wir kennen noch nicht alle Wege, auf denen Pflanzen die Temperatur wahrnehmen. Bisher hat man herausgefunden, dass Proteine namens Phytochrome, die normalerweise Licht wahrnehmen, auch auf Temperatursignale reagieren und die Genexpression steuern können. Wir haben auch herausgefunden, dass ein Protein, das an der Steuerung des Wachstums in Abhängigkeit von der Temperatur beteiligt ist, durch eine intrinsisch gestörte Domäne als Thermosensor fungieren kann. Diese Domäne, die mit der Sequenz verwandt ist, die in prionenhaltigen Proteinen zu finden ist, ermöglicht es, die Aktivität des Proteins durch warme Temperaturen reversibel ein- und auszuschalten. Auf diese Weise kann das Wachstum direkt als Reaktion auf warme Temperaturen gesteigert werden. Die Pflanzen wachsen bei warmen Temperaturen nicht nur stärker, sondern beginnen auch zu blühen, weil sie denken, dass es Frühling ist.
Wie schnell können Pflanzen solche Informationen verarbeiten und ihr Verhalten anpassen?
Pflanzen können die Temperatur über mehrere Zeitskalen hinweg wahrnehmen und darauf reagieren. Zum Beispiel kann die Genexpression als Reaktion auf eine warme Temperatur innerhalb von 1 oder 2 Minuten erfolgen. Viele Veränderungen, die wir beobachten, zum Beispiel das Wachstum, können jedoch mehrere Tage dauern. Schließlich verarbeiten Pflanzen wie Bäume Temperaturinformationen im Laufe von etwa einem Jahr, bevor sie blühen oder Knospen bilden.
Für Ihre Forschung zur Temperaturwahrnehmung bei Pflanzen sind Sie kürzlich mit der renommierten Förderung eines ERC Advanced Grant ausgezeichnet worden. Worum geht es im Projekt TIPTOP und welches Ziel verfolgen Sie?
Das Ziel von TIPTOP ist es, unsere jüngsten Entdeckungen von temperatursensiblen Molekülen zu nutzen, um spezifische Temperatursensorwege in Pflanzen zu entwickeln. Jetzt, da wir wissen, wie die Prion-Domäne enthaltenden Proteine auf die Temperatur reagieren, wollen wir wissen, ob wir diese nutzen können, um synthetische biologische Netzwerke mit spezifischen Eigenschaften zu schaffen. Können wir zum Beispiel die Temperaturreaktion so einstellen, dass die Pflanzen widerstandsfähiger gegen Hitzestress sind? Unser Ziel ist es, künstliche biologische Schaltkreise zu schaffen, die spezifische Temperaturreaktionen aufweisen. Das hat es bisher noch nie gegeben und ist daher eine sehr interessante Herausforderung.
Wie ist der aktuelle Forschungsstand? Gibt es erste Züchtungserfolge?
Bislang können Züchter in Versuchen auf hitzestressresistente Pflanzen selektieren, aber das ist ein schwieriger und zeitaufwändiger Prozess. Wir hoffen, dass wir durch die Identifizierung der Temperatursensoren die Züchtung von klimaresistenten Pflanzen erheblich beschleunigen können. Außerdem wollen wir durch die Herstellung synthetischer thermosensorischer Schaltkreise in der Lage sein, spezifische Temperaturreaktionen zu züchten. Dies befindet sich jedoch noch in einem frühen Stadium, und wir konzentrieren uns im ersten Projekt auf die Etablierung der Instrumente und Methoden in Modellsystemen.
Interview: Beatrix Boldt