Biomolekül-Dübel im Labor vermessen

Biomolekül-Dübel im Labor vermessen

Wie fest das Proteinpaar Biotin und Streptavidin wechselwirkt, hängt davon ab, auf welche Weise man daran zieht. Das haben Münchner Biophysiker im Kraftspektroskop gemessen.

Das Rezeptor-Liganden-System aus Biotin und Streptavidin funktioniert wie ein molekularer Dübel.
Das Rezeptor-Liganden-System aus Biotin und Streptavidin funktioniert wie ein molekularer Dübel.

Mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, ist auch für Moleküle keine gute Idee – so könnte man die Ergebnisse einer Studie von Physikern der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zusammenfassen. Die Forscher haben die Interaktion des Vitamins Biotin mit dem Protein Streptavidin untersucht. „Dieses Rezeptor-Liganden-System ist quasi der Fischer-Dübel der Biophysik“, erklärt LMU-Forscher Steffen Sedlak. Mit ihm testen Wissenschaftler, wie Biomoleküle auf mechanische Kräfte reagieren. Doch bislang sorgten widersprüchliche Daten zu diesem System für Verwirrung. Das Münchener Team liefert im Fachjournal „Science Advances“ nun die Auflösung.

Identische Taschen, andere Ergebnisse

Bei der sogenannten Einzelmolekül-Kraftspektroskopie wird das Biomolekül zwischen zwei anderen Molekülen befestigt und dann langsam auseinandergezogen. Zur Befestigung dient oft die Kombination aus Biotin und Streptavidin: Das Biotin steckt in einer von vier identischen Taschen des größeren Moleküls Streptavidin. Die Tasche schließt sich durch eine Art Deckel, sodass nur ein kleiner Teil des Biotins herausschaut. Daran wird das Testmolekül verankert. Welche Kraft nun benötigt wird, um das Biotin herauszuziehen, darüber herrschte Uneinigkeit.

Das LMU-Team testete deshalb jede Tasche einzeln mit genau einem Biotinmolekül, um die Stabilität der jeweiligen Verbindung zu untersuchen. „Dabei haben wir entdeckt, dass unterschiedlich viel Kraft benötigt wird, je nachdem, aus welchem der vier Fässer Biotin herausgezogen wird – und das obwohl die vier Bindungstaschen exakt gleich sind“, berichtet Physiker Hermann Gaub. Was biomechanisch dahinter steckt, wurde bisher nicht berücksichtigt.

Winkel der Zugbelastung entscheidend

Doch auch das konnten die Forscher nun aufklären, indem sie den Ablauf im Computer detailliert simulierten: Je nachdem, an welchem Punkt die Zugbelastung ansetzt, nehmen die Bindungstaschen andere Positionen ein. Dadurch erfolgt der Zug auf das Biotin in unterschiedlichen Winkeln innerhalb der Taschen. In Fällen, in denen das Molekül direkt in Richtung des Taschendeckels gezogen wird, lässt es sich am leichtesten herausziehen. Erfolgt der Zug in Richtung Seitenwand der Tasche, ist entsprechend mehr Kraft nötig, das Biotin herauszulösen.

Sedlak resümiert daher: „Wie auch Diogenes gewiss schon festgestellt hat, ist es eben wesentlich leichter, ein Fass durch den Deckel zu verlassen als durch die Wand.“ Dass dies auch bei mechanischen Kräften zwischen einzelnen Biomolekülen gelte, sei allerdings alles andere als trivial. Mit dem neuen Wissen könne der molekulare „Dübel“ endlich optimal eingesetzt werden.

bl