Käferfüße als Vorbild für Haftmaterialien

Käferfüße als Vorbild für Haftmaterialien

Bioniker der Universität Kiel haben nach dem Vorbild eines Blattkäfers die Oberfläche von Silikonmaterial gestaltet und damit dessen Haftung an anderen Materialien deutlich erhöht. 

Ob Blattkäfer oder Gecko: Ihr Talent auf glatten und steilen Flächen selbst kopfüber Halt zu finden, begeistert Materialforscher seit jeher.
Ob Blattkäfer oder Gecko: Ihr Talent auf glatten und steilen Flächen selbst kopfüber Halt zu finden, begeistert Materialforscher seit jeher.

Sie hängen kopfüber an der Decke, haften mühelos an steilen Bäumen und selbst poliertes Glas bringt sie nicht ins Rutschen: Geckos. Millionen kleiner Härchen an den Zehen verleihen den unscheinbaren Kriechtieren Haftkräfte wie ein Magnet. Für Wissenschaftler sind solche Naturwunder seit jeher ein faszinierendes Forschungsfeld und Ansporn, diese Fähigkeiten auf technische Anwendungen und Materialien zu übertragen. Nach dem Vorbild der Natur haben Kieler Forscher bereits ein extrem stark haftendes Klebeband entwickelt, das nach dem „Gecko-Prinzip“ funktioniert und sich auch rückstandslos wieder ablösen lässt.

Bionik trifft Physik

Nun präsentieren Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eine neuartige Kunststoffstruktur, deren Oberfläche an Glas haftet wie Käfer auf dem Blatt. Wie die Wissenschaftler in den Fachzeitschriften „Advanced Materials“ und „ACS Applied Materials & Interfaces“ berichten, orientierten sie sich dabei an der pilzkopfartigen Oberflächenstruktur der Füße bestimmter männlicher Blattkäfer (Chrysomelidae) und behandelten diese Oberflächen anschließend mit Plasma. Die Studien wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 677 „Funktion durch Schalten“ durchgeführt.

Reversible Haftung ohne Klebstoff

Im Fokus standen Silikonelastomere. Dieser elastische Kunststoff wird bevorzugt in der Industrie für Dichtungen, zur Isolierung oder als Korrosionsschutz verwendet. Das Material ist äußerst flexibel, kann mehrfach genutzt werden und ist zudem günstig und einfach herzustellen. Auf Grund der geringen Oberfläche haftet das Material jedoch kaum. Das Ziel der Kieler Forscher: Der neue Kunststoff sollte so haften, dass die Bindung reversibel, also jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann und ohne Klebstoffe auskommt. Hier kam die Natur ihnen zuhilfe.

Unterschiedlich gekrümmt verändert sich die Haftwirkung des Silikonmaterials, dessen Oberfläche pilzkopfartig strukturiert wurde. Nach innen gebogen (konkav) ist die Haftwirkung am größten (rechts).

Unterschiedlich gekrümmt verändert sich die Haftwirkung des Silikonmaterials, dessen Oberfläche pilzkopfartig strukturiert wurde. Nach innen gebogen (konkav) ist die Haftwirkung am größten (rechts).

In einem ersten Schritt verglichen Stanislav N. Gorb und Emre Kizilkan, Silikonelastomere mit drei unterschiedlichen Oberflächen: eine unstrukturierte, eine mit säulenförmigen Elementen und eine mit der pilzkopfartigen Struktur des Blattkäfers. Danach hafteten sie eine Glaskugel an das Material und zogen sie wieder ab und testeten, wie sich die Haftung ändert. So konnten die Forscher beweisen, dass die Adhäsionseigenschaft des mikrostrukturierten Silikonmaterials auch von seinem Krümmungsgrad beeinflusst wird. „Wir konnten so zeigen, dass Silikonelastomere mit einer Pilzkopfstruktur im konkav gekrümmten Zustand eine zweimal größere Bandbreite an Haftstärken aufweisen. Mit dieser Oberflächengeometrie können wir die Haftung also am besten variieren und haben die größte Kontrolle“, erläutert Doktorand Emre Kizilkan, Erstautor der Studie. 

Starke Haftung auf kleinstem Raum

Im Rahmen einer zweiten Studie stellte sich heraus, dass die Haftwirkung nochmals deutlich verbessert werden kann, wenn die pilzkopfartige Oberfläche mit Plasma behandelt wird. Dafür variierten die Forscher Dauer und Druck der Plasmabehandlung und konnten am Ende bei der pilzkopfartig strukturierten Oberfläche eine bis zu 91% höhere Haftung erzielen. Bei unstrukturierten Oberflächen war die Haftwirkung um 30% höher. „Dieses Ergebnis hat uns besonders überrascht, weil die strukturierte Kontaktoberfläche zwar nur halb so groß ist wie die unstrukturierte, aber nach der Plasmabehandlung eine dreimal stärkere Haftungserhöhung aufwies“, erklärt Kizilkan. 

Potenzial für Einsatz in Mikrorobotern 

Aufnahmen einer Hochgeschwindigkeitskamera zeigten: Die plasmabehandelte Mikrostruktur der Oberfläche blieb für 50,6 Sekunden vollständig mit dem Glasträger verbunden. Unbehandelt löste sich das Material schon nach 33 Sekunden wieder vom Glasträger, weil die Kontaktfläche schrumpfte. „Auf sehr kleinem Raum haben wir also eine starke Haftung, die wir sehr breit variieren können“, fasst Kizilkan zusammen. Die Forscher sind überzeugt, dass die Ergebnisse vor allem für Anwendungen in der Mikroelektronik wie für Mikroroboter interessant sind.

bb