Wie die Studie zur Aufforstung diskutiert wird

Wie die Studie zur Aufforstung diskutiert wird

Das Aufforstungspotenzial für den Klimaschutz ist groß, aber nicht groß genug. Wichtiger sind Emissionsvermeidungen, sagen Experten aus Deutschland.

Wälder sind wertvolle CO2-Senken, doch auch ihr riesiges Potenzial ist alleine nicht genug, um den Klimawandel aufzuhalten.
Wälder sind wertvolle CO2-Senken, doch auch ihr riesiges Potenzial ist alleine nicht genug, um den Klimawandel aufzuhalten.

Auf 900 Millionen Hektar der Erde könnten 500 Milliarden Bäume gepflanzt werden. Das haben Forscher um Jean-Francois Bastin von der ETH Zürich errechnet. Weil diese Bäume im Laufe ihres Lebens etwa 205 Gigatonnen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen und in ihren Zellen speichern könnten, sehen die Autoren der im Fachjournal „Science“ veröffentlichten Studie darin den effektivsten Weg, um den Klimawandel zu begrenzen. Man müsse jedoch schnell beginnen, da der fortschreitende Klimawandel die zur Aufforstung geeigneten Flächen verringert. Andere Experten loben die Qualität der Studie, äußern sich jedoch deutlich skeptischer.

Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen

Unzweifelhaft ist unter Fachleuten, dass der viel zu spät ernst genommene Klimaschutz nicht mehr genügen wird, um die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf ein akzeptables Maß zu begrenzen. Maßnahmen, die das Treibhausgas aus der Atmosphäre zurückholen, werden deshalb intensiv diskutiert. Derzeit allerdings emittiert die Menschheit noch 37 Gigatonnen Kohlendioxid und damit zehn Tonnen Kohlenstoff pro Jahr (Daten für 2018). Können Bäume da einen hinreichenden Beitrag leisten?

Wie deutsche Experten auf die Schweizer Aufforstungsstudie reagiert haben, fasst bioökonomie.de kompakt zusammen. Wir haben uns hierbei auf das umfangreiche Zitatematerial des Science Media Center Germany gestützt.

„Grundsätzlich ist zu bedenken, dass forstliche Klimaschutzmaßnahmen allein viel zu gering sind, um ambitionierte Klimaschutzziele zu erreichen“, kritisiert beispielsweise der Geoökologe Markus Lindner vom European Forest Institute. Wichtig sei aber, den Nutzen der Aufforstung als einen Baustein der Klimapolitik zu erkennen. „Es hat sich gezeigt, dass die CO2-Speicherung in Sekundärwäldern lange deutlich unterschätzt worden ist.“ Zweifel hat der Wissenschaftler dennoch an der praktischen Umsetzung: „Es geht in der Studie um Wiederbewaldung und die größten Potenziale wurden in Russland identifiziert. Dort haben in den letzten Jahren riesige Waldbrände gewütet und die betroffenen Flächen bieten sich zur Wiederbewaldung an.“ Es sei allerdings fragwürdig, inwieweit gerade in Russland eine aktive Wiederbewaldung gefördert werden könne, da dort die technischen Mittel, Arbeitskräfte und auch eine verlässliche institutionelle Unterstützung für solche Maßnahmen fehlten – anders als beispielsweise in China.

Aufforstungspotenzial wohl überschätzt

Kritik an den Berechnungen der Studie äußert Klimaforscherin Almuth Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie: Die Studie berücksichtige weder, dass durch Brände, Stürme oder Schädlinge große Waldflächen verlorengehen können. „Dadurch entstehen Kohlenstoff-‚Verluste‘, die das Potenzial reduzieren, CO2 langfristig zu binden.“ Noch sei das Bevölkerungswachstum einkalkuliert und damit der steigende Bedarf an Ackerflächen. Außerdem warnte sie: „Wenn man Wälder zu reinen Kohlendioxid-Senken reduziert, dann läuft man natürlich Gefahr, dass Aufforstungsprogramme nicht nachhaltig sind. Monokulturen nutzen zum Beispiel der Biodiversität ganz und gar nicht und können auch durchaus negative Effekte auf den lokalen Wasserhaushalt haben.“

Eine weitere Einschränkung hebt die Agrarökonomin Ruth Delzeit von der Universität Kiel hervor: „In der Studie nimmt das Autorenteam Schutzflächen stellvertretend für Flächen mit wenigen menschlichen Aktivitäten, sprich: Die Flächen gehen in die Berechnung des Flächenpotenzials zur Aufforstung – die sogenannte Restoration – ein.“ Allerdings werde ein Drittel der Schutzflächen derzeit intensiv bewirtschaftet, weshalb die potenziellen Aufforstungsflächen in der Studie überschätzt sein dürften.

Aufforstung kann nur ein Teilaspekt des Klimaschutzes sein

Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung lenkt zudem den Blick auf die Zahlen in der Studie: Wenn die maximal mögliche Aufforstung pro Jahr zwei bis vier Gigatonnen Kohlenstoff binde (ca. 200 Gt in 50 bis 100 Jahren), dann könne das angesichts der Emissionen von fast elf Gigatonnen pro Jahr nur ein Teilaspekt sein – insbesondere in den ersten Jahren, in denen der Aufforstungseffekt noch klein ist.

Konsens der Experten, die zur Aufforstungsstudie befragt wurden, ist daher, dass die wichtigste Aufgabe in der Vermeidung von Treibhausgasen liegt: „Wir kommen nicht umhin, Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe schnellstens und umfassend zu reduzieren. Dies hätte schon vor Jahrzehnten stattfinden sollen und die Zeit rennt einfach davon“, argumentiert Arneth. Ähnlich äußert sich Felix Creutzig, vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change: „Die Aufforstung kann trotz allen Potenzials nur eine von vielen Maßnahmen für den Klimaschutz sein. Eine rasche Abkehr vom fossilen Wirtschaftsmodell ist notwendig und kann mit Hilfe eines sektorübergreifenden CO2-Preises am besten erreicht werden.“

Lokale Effekte der Wälder nicht unterschätzen

Bei allen Bedenken, was das Ausmaß des globalen Klimaschutzpotenzials durch Aufforstung betrifft, betonen viele Experten die lokale und regionale Bedeutung der Wälder. So erläutert die Geografin Julia Pongratz von der LMU München: „Mehrere neuere Analysen von Beobachtungsdaten und Modellsimulationen zeigen, dass Wälder in vielen Regionen – insbesondere der mittleren Breiten und der Tropen – über die biogeophysikalischen Effekte die Lufttemperatur abkühlen, mitunter um mehrere Grad. Auch Temperaturextreme werden mitunter abgemildert.“ Aufforstung und andere Landnutzungsänderungen könnten somit wichtige Maßnahmen zur Adaption sein, der Anpassung an den Klimawandel. „Im Idealfall dienen Wälder gleichzeitig der Adaption vor Ort und der Minderung des globalen Temperaturanstiegs.“

bl