Miesmuscheln trotzen saurer Ostsee

Miesmuscheln trotzen saurer Ostsee

Miesmuscheln in der Kieler Förde haben sich im Vergleich zu ihren Artgenossen in der Nordsee offenbar besser an das Leben in dem durch den Klimawandel sauer werdendem Gewässer angepasst.

Miesmuscheln in der Kieler Fjörde GEOMAR
Miesmuschel-Riff in der Kieler Förde

Meerestiere gehören zu den Leidtragenden des Klimawandels. So wie der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt, steigt auch der Anteil des Klimagases in den Weltmeeren, sodass der pH-Wert sinkt und die Gewässer versauern. Das wiederum beeinträchtigt die Bildung von Kalkstrukturen, wodurch Meerestiere wie Muscheln und Korallen bedroht sind. Dem Szenario zum Trotz scheinen einige Meerestiere mit den Veränderungen unerwartet gut zurecht zu kommen. In der Kieler Förde leben Miesmuscheln, die sich mit dem Leben in dem sauer werdendem Gewässer offenbar arrangiert haben, wie Meeresforscher herausfanden.

Wie Forscher vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel im Fachjournal "Science Advances" berichten, zeigten sich Miesmuscheln in der Ostsee als äußerst anpassungsfähig. Im Vergleich zu ihren Artgenossen in der Nordsee pflanzte sich die Ostsee-Muschel selbst unter widrigen Bedingungen und in saurer werdendem Meerwasser weiter fort, wobei es ihnen gelang die lebensnotwendigen Kalkschalen weiter auszubilden.

Ostsee liefert Einblicke in maritime Zukunft

Gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven, der Universität Bremen und vom Institut Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven hatte ein Team um den GEOMAR-Meeresbiologen Jörn Thomsen drei Jahre die Lebensräume der Miesmuschel in der Kieler Förde und vor Sylt untersucht. Während in der Ostsee der CO2-Gehalt zeitweise sehr hoch ist, sind die Verhältnisse in der Nordsee diesbezüglich weniger bedenklich. „Die Ostsee mit ihren verschiedenen Becken gibt uns einen guten Einblick in marine Lebensbedingungen, die in anderen Regionen erst in vielen Jahrzehnten eintreten werden. So können wir aus Beobachtungen vor der eigenen Haustür vieles lernen – aber um sie auf die Zukunft übertragen zu können, sind viele weitere Analysen nötig“, erklärt Thomsen.

Unter dem Polarisations-Mikroskop werden die etwa 0,2 Millimeter breiten Schalen der Miesmuscheln und ihr Velum sichtbar, mit dem die Larven schwimmen und Nahrung aufnehmen.

Unter dem Polarisations-Mikroskop werden die etwa 0,2 Millimeter breiten Schalen der Miesmuscheln und ihr Velum sichtbar, mit dem die Larven schwimmen und Nahrung aufnehmen.

Ostseemuscheln anpassungsfähiger

Die Forscher hatten Miesmuscheln aus der Kieler Förde nach List auf Sylt gebracht und an die Lebensbedingungen in der Nordsee gewöhnt. Die Larven wurden dort bei aktuellen Kohlendioxid-Konzentrationen von 390 Mikroatmosphären und einem Extremwert von 2400 Mikroatmosphären gehalten. Dabei zeigte sich: Beide Larven-Populationen entwickelten ihre erste Muschelschale bei erhöhten Kohlendioxid-Anteil deutlich langsamer. „Die deutlichen Unterschiede zwischen den Kieler und den Sylter Miesmuschel-Larven legen nahe, dass die langfristige, genetische Anpassung eine entscheidende Rolle für ihr Überleben und ihre Fähigkeit zum Aufbau der Schalen gespielt hat“, betont Dr. Jörn Thomsen.

Mechanismus zur Kalkbildung entwickelt

Das Problem: Je saurer das Wasser ist, umso weniger Botenstoff produzieren die Muscheln, der zur Kalkbildung nötig ist. Die Forscher gehen daher davon aus, dass die Kieler Muscheln im Laufe der Zeit offenbar einen Mechanismen entwickelt haben, um die Schalenbildung zu sichern. "Auf lange Sicht kann man sagen, dass sie sich offensichtlich den Bedingungen anpassen", erklärt Thomsen. Die Studie liefert den Forschern bedeutende Hinweise darauf, wie sich Organismen an den globalen Klimawandel anpassen können. Wie genau der Anpassungsmechanismus vonstatten geht, muss erst geklärt werden. „Unser Experiment lief nur über drei Generationen, war aber eines der bisher längsten zu dieser Fragestellung. Es führt deutlich vor Augen, dass weitaus mehr Aufwand nötig wäre, um die Chancen einer Anpassung an den Klimawandel abschätzen zu können“, betont Co-Autor Frank Melzner.

bb