Die Pilzprophetin
Vera Meyer
Beruf:
Biotechnologin & Bildende Künstlerin
Biopionierin für:
Pilzbiotechnologie und Materialforschung
Das ehemalige Werksgelände der AEG am Berliner Humboldthain. Ehrfurcht einflößende Bauten im Zeichen des Fortschritts aus Backstein, Stahl und Glas. Wo man Anfang des 20. Jh. elektrische Motoren und Dampfturbinen produzierte, forschen heute Institute der TU-Berlin.
Ein Leuchttisch im Labor wird zur Bühne für eigenartig schöne Gewächse. Ihre Formen erinnern an Sterne im All mit ihren Koronen und Strahlen und verlaufene Farbklekse. Vera Meyer greift nach einer durchsichtigen runden Schale, um die feuerrote Kultur darin genauer zu inspizieren. Hinter dem Bild einer erstarrten Galaxie verbergen sich einzellige Pilze:
„Was mich fasziniert an Pilzen, ist ihre Vielgestaltigkeit, Vielseitigkeit und im Prinzip auch dieses Changieren zwischen Freund und Feind. Wir könnten unser tägliches Leben nicht leben, ohne den Nutzen, den Pilze uns geben. Sie bedrohen aber auch unsere Gesundheit und unsere Ernährung. Und deshalb ist Forschung an Pilzen ein ganz dankbares Feld, weil man für die Gesellschaft, für die Menschheit forschen kann.“
Die bunten Pilzkulturen hat Vera für eine Museumsausstellung zusammengestellt, wo man auf das ästhetische Potenzial der Pilze setzt. Hier, am TU-Standort Wedding leitet die Biotechnologin das Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikrobiologie. Seit über 20 Jahren hat sie sich der Erforschung des Pilzstoffwechsels verschrieben. In erster Linie dem schwarzen Gießkannenschimmel, kurz Schwarzschimmel oder schlicht Schimmel genannt. Im Haushalt befällt er verdorbene Lebensmittel. Ein sicheres Zeichen dafür, dass Obst und Gemüse das Zeitliche segnen.
Da mag es überraschen, dass der Schimmel anderenorts besonders geschätzt wird. Seit rund 100 Jahren nutzt ihn die Industrie, um Zitronensäure herzustellen. Die Substanz findet in vielen Bereichen Verwendung, als Stabilisator für Lebensmittel oder als Konservierungsmittel für die Pharmaindustrie. Aspergillus Niger (Schwarzschimmel) steht auf dem Schild des Labors, das Vera in einem gelben, regenmantelartigen Kittel betritt. Die Mykologin bringt ihrer Laborkraft eine Zuchtlinie mit neuen Eigenschaften des Pilzes zur Vermehrung. Seit geraumer Zeit haben Forschende verstanden, dass der Schwarzschimmel eine Vielzahl wertvoller Produkte bildet:
„Mit seiner langen Erfolgsgeschichte müsste man den Schwarzschimmel eigentlich ‚Pionier der Biotechnologie‘ nennen. Für uns heute ist der Aspergillus Niger eine Art Blockbuster Zellfabrik. Er hat einen unglaublich aktiven Stoffwechselzyklus und den nutzen wir, um sowohl Zitronensäure als auch Enzyme und sogar medizinische Wirkstoffe herzustellen.“
Der Biopionierin ist es gelungen, den Schwarzschimmel erstmalig als Zellfabrik für Medikamente zu nutzen. Dieser Erfolg beruht auf der Erforschung des Wachstums der Pilze. In der Natur leben Pilze größtenteils unter der Erde. Sie erobern das Erdreich im Blindflug, indem sie Mycel, ein gigantisches wurzelartiges Netzwerk bilden. Dabei scheiden sie an den Spitzen der Wurzelfäden wie wild Substanzen aus, die grobe Stoffe in ihrer Umwelt in einfache Moleküle zersetzen.
Ein 3D-Model der Pilzarchitektur auf Veras Rechner: In Zeitraffer wuchern wurmartige Fäden zu einem Knäul. Blinkend leuchtende Punkte zeigen an, wo der Pilz Enzyme ausgeschüttet. Fadenförmige Pilze wie der Schwarzschimmel existieren in unterschiedlichen Erscheinungsformen: als Wurzelnetzwerk oder zusammengeballt als Pellets, die vor allem bei der Fermentation in Bioreaktoren auftreten:
„Was sich in den letzten zehn Jahren an Technologien entwickelt hat, im Bereich der System- und in der synthetischen Biologie, hat dazu geführt, dass wir jetzt in der Lage sind, Rückschlüsse zu ziehen, an welchen Genen wir schrauben müssen, um kleinere oder größere Pellets zu gewinnen. Und das wiederum hat Einfluss auf die Funktion des Stoffwechsels und seine Produkte."
Vera hält ein schneeweißes Objekt in die Hand, das Modell eines Proteins, das sie gerade besonders beschäftigt. Das Molekül hilft Schimmelpilzen dabei, das Wachstum konkurrierender Pilzspezies einzudämmen. Hinter dem Phänomen steht eine große Hoffnung. Denn Pilze bilden, wie Bakterien auch, mehr und mehr lebensbedrohliche Resistenzen, die in der Klinik immer schwerer zu kontrollieren sind. Gelänge es, aus der antifungalen Substanz ein Medikament zu machen, könnte man damit wirksam Infektionen bekämpfen.
Pilze stehen geheimnisvoll an der Grenze zwischen Tod und Leben. Wenn in der Natur Pflanzen und Tiere gestorben sind, kommen die Pilze. Sie zersetzen die Überreste. Dabei entstehen neue Nährstoffe für Pflanzen und Bäume, welche die Pilze wiederum mit Glukose aus der Photosynthese versorgen. So schließt sich der Kreislauf des Lebens
Vera Meyer - im Video
Unterwegs im Park auf der Suche nach einem besonderen Reststoffverwerter. Der Humboldthain unterliegt der Gartenpflege. Kein Wildwuchs, auch nach Totholz muss Vera länger suchen. Doch da sitzt er, auf dem Stumpf eines gefällten Birkenstamms: Fomes Fomentarius, der Zunderschwamm. Äußerlich ist nur der terrassenförmig wachsende Fruchtkörper zu erkennen, während im Innern des Stamms sein Mycel das Holz zersetzt. Ein in der Natur einzigartiger Vorgang, den die Professorin mit ihrem Team experimentell zu nutzen wusste:
„Wir haben jetzt ein neues Feld für uns entdeckt, das Forschungsfeld der Biomaterialien. Wir möchten sehr gerne zu einer zukünftigen Kreislaufwirtschaft, zu einer zukünftigen Bioökonomie und nachhaltigen Wirtschaftsweise beitragen, indem wir unter Mitwirkung des Zunderschwamms aus Reststoffen aus der Agrar- und Forstwirtschaft dreidimensionale Verbundwerkstoffe machen, aus denen man Möbel und Häuser bauen kann.“
Zurück in Veras Arbeitszimmer wollen wir uns von der Güte des Komposit-Materials überzeugen. Zunächst fällt auf, wie leicht und stabil der Verbundwerkstoff ist. Als größere Rolle liegt er gut in der Hand. Das Material kann aber alle möglichen Formen annehmen. Lässt man es in den Hohlraum von Schalungen hineinwachsen, dann füllt die „Backmischung“ aus Pilzwuchs und aufgelösten Holzresten deren innere Form. Das Material isoliert gegen Schall und Temperatur und dämpft Stöße, schwärmt die Forscherin. Der Clou des Ganzen aber ist seine Kompostierung. Wird es nicht mehr benötigt, kann es wieder in den Kohlenstoffkreislauf überführt werden, was Vera neu denken lässt:
„Durch den Klimawandel steigt der Meeresspiegel. Das heißt, Migration wird es in Zukunft geben, ob wir es wollen oder nicht. Ich möchte dieser Herausforderung eine Utopie entgegenstellen: Was spricht gegen temporäres Bauen, wenn man vielleicht nur zehn, zwanzig Jahre in einem Haus wohnen kann? Und dann zieht man weiter in andere Regionen, wo, wo die Lebensbedingungen stabiler sind.“
Zukünftige Baumaterialien, neue Wirkstoffe und Medikamente. Das alles sind Großprojekte, doch es gibt noch ein drittes in Veras Leben: Unter dem Pseudonym V.meer übersetzt die Forscherin die Metamorphosen des Pilzlebens in Kunst.
Im Gegensatz zum strukturierten Ansatz in der Wissenschaft spielt hier der Zufall eine große Rolle. Vera arbeitet mit im Wald gefundenen Objekten und setzt diese thematisch in Bezug zur Schönheit der Pilze. Wo man im Büro auch hinschaut, warten stilvoll-dekorative Skulpturen darauf entdeckt zu werden: Eine fasrige Pilzfrucht sitzt auf dem Stil eines Rührpropellers. Ein Flechtkörper ziert den Unterkiefer eines wilden Tieres.
„Ich habe schon immer zwei Herzen in mir, das eine schlägt für die Wissenschaft, das andere für die Kunst. Ich versuche Beides zusammenzuführen und eine Synthese zu ermöglichen. Da mich Formgebung und Morphologie, interessiert, habe ich hier eine Möglichkeit das auch künstlerisch umzusetzen. Dadurch sind neue Ideen entstanden, die jetzt auch in unsere Forschung einfließen.“
Vera lebt ihre Kunst und will auch anderen Kreativen die Faszination an der Pilzforschung nahebringen. Auf ihrem Institutstrakt beherbergt sie artists in residence, um den Austausch zwischen Biotechnologie und Kunst zu vertiefen. Großes öffentliches Interesse hat die Pilzexpertin mit dem Citizen-Science-Projekt „Mind the Fungi" im Futurium geweckt, welches das Potenzial von Baumpilzen auslotete.
Auf dem Gang fällt unser Blick auf seltsam unebene Masken, Abgüsse stummer Gesichter. Ganz wie die Baustoffe sind auch sie aus dem neuen Biomaterial des Zunderschwamms gefertigt. So wird selbst die Kunst Teil einer nachhaltigen Alternative, bereit sich der Pilznatur zu ergeben, um sich irgendwann wieder ganz aufzulösen.
Vera Meyer - im Podcast
Als Biotechnologin erforscht sie Pilzwachstum und -stoffwechsel, als Künstlerin packt sie die mystische Verwandlungskraft der Pilze in Skulpturen und Bilder. Vera Meyer treibt die Vision, dass Pilze unseren Alltag umfassend gestalten, indem sie -Wirkstoffe, Baumaterialien, Möbel, sogar Kleidung für uns produzieren. In unserem Podcast erzählt Sie aus dem geheimnisvollen Reich der Pilze.