Der Algenfarmer
Rafael Meichßner
Beruf:
Meeresbiologe & Algenforscher
Biopionier für:
Algenzucht von Makroalgen
Frühling an der Kieler Förde:
Der blaue Himmel wölbt sich über gelben Rapsfeldern. Ein Leuchtturm glänzt rot in der prallen Sonne. Der Backsteinbau wurde zu Kaiser Wilhelms Zeiten erbaut und diente seitdem als Einfahrtsfeuer. – Hier, in Holtenau am Tiessenkai, weht ein frischer Wind und ein Hauch von Urlaubsidylle. Wer an ein einem solchen Ort mit Blick aufs Meer arbeiten darf, kann sich glücklich schätzen.
Rafael Meichßner ist Projektleiter Aquakultur bei der Firma Coastal Research & Management. Sein Forschungsthema hat er direkt vor der Nase, beziehungsweise in der Brandung der am Kai aufschlagenden Wellen: Algen. Sie wachsen überall auf den Steinen bis hinein ins offene Gewässer, wo sie noch Licht finden. Besonders eine Alge hat es Rafael angetan: Fucus vesiculosus, der Blasentang.
Ich habe Meeresbiologie studiert und mich eigentlich vom Bachelor über den Master bis in meine Doktorarbeit ausschließlich mit einer Alge beschäftigt: dem Blasentang. Er ist eine der wichtigsten Algen in Ost- und Nordsee, weil er hier den „Wald unter Wasser“ bildet. Ich glaube, es gibt nur wenige, die sich so ewig mit demselben Thema befasst haben,
erzählt Rafael belustigt. Doch was genau könnte ein Unternehmen wie CRM an der Kultivierung wilder Algen interessieren? Ihr Vermehrungszyklus ist hochkomplex und geschieht unter den speziellen Bedingungen der See. Coastal Research & Management wurde 1993 von Expert*innen aus der Meeresforschung gegründet. Neben der Erstellung mariner Umweltgutachten wird an bioaktiven Wirkstoffen aus Meeresorganismen geforscht. Das Steckenpferd der Firma ist der Aufbau nachhaltiger mariner Aquakulturen. Zur Kultivierung zählt auch die Verwertung von Algen, was die Tochterfirma oceanBASIS übernimmt: Produktion und Vertrieb von Kosmetik und Nahrungsmitteln.
Rafael führt uns hinter den Bürobereich von CRM, wo sich direkt Labor und Produktion anschließen, und schlüpft in seinen weißen Kittel. Auf dem Tisch stehen zwei Reagenzgläser, in denen adulte Individuen des Blasentangs schwimmen, unschwer an seinen Blasen mit der stoppeligen Haut zu erkennen. In das eine Glas sind die männlichen Algen, in das andere die weiblichen gefüllt. Der Fachmann weiß: gerade haben sie sexuelle Organe gebildet.
Rafael kippt beide Gläser durch ein Sieb in ein größeres Gefäß, so dass in dem Gemisch die Befruchtung stattfindet: In diesem Wasser schwimmen jetzt die befruchteten Eizellen, Man nimmt dann eine kleine Menge von diesem Wasser und träufelt das mit einer Pipette auf ein Seil und hofft, dass die befruchtete Eizelle sich auf das Seil setzt und dort fest anhaftet.
Die Vermehrung des Blasentangs gehörte bis dato zur Grundlagenforschung. Die befruchtete Eizelle dann aber auf ein Seil zu sähen, um daraus Biomasse zu gewinnen, das war neu. Eine wahre Pionierleistung für die blaue Bioökonomie, die Rafael da erbracht hat.
Alle paar Wochen fährt er raus auf die Kieler Meeresfarm, wo die Zucht-Seile an Luft gefüllten Plastiktonnen befestigt an der Oberfläche schwimmen. Der Biologe misst die Größe der Algen und schaut, wie sich der Blasentang gegen die Konkurrenz anderer Ansiedler wie Muscheln behauptet. Begeistert dokumentiert er die Algenernte.
Also ich bin sehr stolz, dass wir es wirklich geschafft haben, den Blasentag, von der befruchteten Eizelle bis zu 30 Zentimeter Größe zu kultivieren. Das gibt es noch nicht in der Forschungsliteratur.
Noch zählt der Tang-Anbau auf der Farm zur Grundlagenforschung. Die Alge braucht ihre Zeit, um zu wachsen. Nach einem halben Jahr ist sie kaum einen Zentimeter groß geworden. Zudem fordert der Blasentang spezielle Zuchtbedingungen:
Er liebt es wirklich genau in der Brandung zu sein. Und diese Grenze zwischen Land und Wasser nachzustellen, ist sehr schwierig. Aber er schafft es auch auszutrocknen und zu überleben. Das können andere Algen wiederum nicht.
Rafael Meichßner
Rafael Meichßner im Video
Hoffnung auf die professionelle Züchtung macht die Erfahrung mit einer anderen Algenart, die schon seit zwanzig Jahren kultiviert und in Produkten verarbeitet wird: dem Zuckertang. – Aus der Kühlkammer schleppt Rafael schleppt große Wannen, gefüllt mit schweren dunkelgrünen Blöcken. Schon bald beginnt die gefrorene Masse zu schmelzen. Nach und nach entfalten sich breitbandige Blätter.
Zwischen zwei und zehn Meter lang wächst der Zuckertang. Dieser hier kommt aus Schweden, wo er sich in den kalten und klaren Gewässern optimal entwickelt. Bei CRM hat die Kosmetikproduktion mit Algen-Ingredienzien an Fahrt aufgenommen, deshalb ist Zukauf nötig. Doch wie kommt die Firma an die Wirkstoffe?
Man hat einen großen Haufen Algen, sagen wir 200 Kilo Algen. Und diese Algen, aus denen macht man einen gigantischen Smoothie. Man mahlt sie mit Wasser, so entsteht eine große Menge bräunlich-grünlicher Substanz, die an Spinat erinnert. Und aus diesem Smoothie muss man das Feste heraustrennen, um an die wertvollen Inhaltsstoffe der Alge zu kommen.
Algen sind überhaupt nicht mit Landpflanzen verwandt und haben sehr andere Inhaltsstoffe. Beim Zuckertang sind es z.B. die Zucker. Algensubstanzen sind Wasser bindend, schützen vor UV-Strahlung und haben antioxidative Wirkung. Ich habe das alles selber im Labor gemessen: Das stimmt. Diese Stoffe haben das. Es aber nicht ganz leicht, diese Wirkung auf die Haut zu bringen.
Rafael Meichßner
Die Kleiderschrankgroße Mühle leistet ganze Arbeit. Das entstehende Konzentrat wird ausgepresst und abgefiltert. Die Maschinen dazu hat das Produktions-Team umgebaut, selbst entworfen und programmiert. Das Wirkstoff-Extrakt wird keimfrei filtriert and später mit Ölen und wässrigen Bestandteilen zu einer Creme gerührt. Dann ist die Kosmetik fertig. Was zeichnet die Algencreme aus gegenüber klassischen Zutaten wie Aloe Vera und Kamille?
Die Wirkung ist das eine, das andere eine effiziente Produktion von Algen-Inhaltsstoffen im industriellen Maßstab. Rafael arbeitet mit seinem Team an einem Bioraffineriekonzept für die wirtschaftliche und nachhaltige Nutzung von Algenbiomasse. Neben den marinen Zuckern für die Kosmetik sollen zusätzlich Fettsäuren und bioaktive Sekundärmetabolite erschlossen werden. Das Konzept wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Innovationsraums „Bioökonomie auf Marinen Standorten“ gefördert.
Zurück zum Blasentang. Wir gehen raus vor die Tür in die Sonne. In zwei, drei Schritten hat Rafael das steinbewehrte Ufer erreicht und kommt mit ein paar Blättern Tang zurück. Demonstrativ beißt er in die olivgrüne Meerespflanze. Wirkt mutig, ambitioniert, doch tatsächlich kann man die allermeisten Algen essen. Ein Argument für die Algen als Gemüse ist ihm aber besonders wichtig:
In Deutschland stehen die Bestände des Blasentangs allerdings unter Druck. Die Ostsee ist überdüngt und das Wasser ziemlich trübe. Deswegen darf die braune Makroalge auch kommerziell gar nicht aus der Natur genommen werden, weil sie geschützt ist. Vielleicht gelingt Rafael mit seiner Forschung über den Blasentang ja einmal, was in Japan gang und gäbe ist.
Dort wird die die Rotalge, getrocknet "Nori" genannt, seit den 1950er Jahren kultiviert. Die Sushis sind zu einem weltweit verbreiteten und beliebten Gericht aufgestiegen. Auslöser war eine einzige wissenschaftliche Publikation über den Vermehrungszyklus der Rotalge, wie Rafael begeistert berichtet.
Das Meer, die Kieler Förde, ist Rafaels neue Heimat geworden. Dabei stammt er ursprünglich aus dem Erzgebirge. Schon immer hatte er sich für die Natur, Pilze und Vögel des Waldes interessiert. Doch wie kam dann das Meer in sein Leben? – Ganz beseelt schwärmt Rafael, der Naturwissenschaftler, von einem prophetischen Moment in seinem Leben:
Als ich 17 war, wusste ich nicht, was ich mit meinem Leben machen soll, wie die meisten. Und Gott sei Dank hatte ich dann ein tolles Erlebnis. In der Kirche kam eine ältere Dame auf mich zu: Raphael, ich habe für dich gebetet. Du sollst Biologie am Meer studieren, an einer guten Uni, zum Beispiel in Kiel. Sie wusste nichts von meinen Interessen. Und jetzt bin ich hier ungefähr 13 Jahre später und habe genau das gemacht. Und ich bin sehr glücklich.
Rafael Meichßner
Rafael Meichßner - Der Algenfarmer
Wie ein Mann einer Prophezeiung nachging, um zu seiner eigenen Prophezeiung zu werden - Artenkenner, Algenzüchter und begeisterter Vermittler von Naturthemen. Das könnt ihr herausfinden im Podcast mit und über Rafael Meichßner, Meeresbiologe bei der Firma Coastal Research & Management (CRM) in Kiel. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Blasentang, einer Makroalge in der Ost- und Nordsee und dem Versuch, sie zu züchten.