Wo stehen die Fleischalternativen in Deutschland?

Wo stehen die Fleischalternativen in Deutschland?

Eine Studie hat die Innovationssysteme der Insekten-, Pflanzen- und Kulturfleischprodukte analysiert.

Burger
Für Burger-Patties gibt es inzwischen einige pflanzliche Alternativen.

Rund acht Prozent der Menschen in Deutschland ernähren sich laut Ernährungsreport 2022 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vegetarisch oder vegan. Jede zweite befragte Person hat demnach zumindest schon einmal vegetarische oder vegane Alternativen zu tierischen Produkten probiert – Tendenz steigend. Aber welchen Alternativen zum Fleisch gehört die Zukunft? Das Forschungsprojekt TRADINNOVATION hat dazu für drei Produktgruppen den Status Quo untersucht: pflanzlichen Fleischersatz, Insekten und kultiviertes Fleisch.

„Am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI forschen wir über Innovationen und Innovationssysteme in der Bioökonomie“, erläutert Dr. Bärbel Hüsing, wie es zu der Studie gekommen ist, die von Juli 2019 bis Ende 2022 lief und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 440.000 Euro gefördert wurde. „Wir haben uns gefragt: Was gibt es in die Bioökonomie für disruptive Innovationen?“ Oftmals ersetzen lediglich biobasierte Rohstoffe fossilbasierte Rohstoffe, sonst ändert sich wenig. „Bei Fleisch könnte das anders sein“, sagt die Projektleiterin. „Man bräuchte keine Viehproduktion mehr, keine Schlachthöfe, sondern Fabriken“.

„Wir müssen weniger Fleisch produzieren“

Als die Projektidee 2018/19 entstand, gab es gerade die ersten pflanzenbasierten Fleischalternativen auf dem Markt. Inzwischen haben generell Alternativen zu tierischem Protein stark an Bedeutung gewonnen, zum Beispiel auch Molkereiprodukte aus alternativen Proteinen, kultivierte Fischprodukte und Ei-Alternativen. In einer heute beginnenden Analyse würde man diese auch mit untersuchen, meint Hüsing mit dem Blick von heute. „Aber der Fokus auf Fleisch hat schon seine Berechtigung: Wir müssen weniger Fleisch produzieren, aus Klimaschutzgründen und um landwirtschaftliche Flächen statt für Futtermittelerzeugung für Rohstoffe für die Bioökonomie nutzen zu können“, erläutert die Forscherin.

Für Deutschland hat das Team am Fraunhofer ISI die drei Innovationssysteme für Fleischalternativen auf Basis von Pflanzen, Insekten und Zellkulturen verglichen. Welche Stärken und Schwächen haben die drei Systeme? Beeinflussen sie sich gegenseitig oder entwickeln sie sich eher unabhängig voneinander? Um das zu beantworten, werteten die Fachleute Literatur- und Internetquellen aus und befragten Stakeholder.

Fleischalternativen sind derzeit Nischenprodukte

Wenig überraschend erwiesen sich alle drei Fleischalternativen im Vergleich zu Fleisch derzeit als Nischenprodukte. Lediglich pflanzenbasierte Alternativen kamen auf einen nennenswerten Konsum von etwa einem Kilo pro Person pro Jahr. Zum Vergleich: Durchschnittlich essen die Menschen in Deutschland pro Person etwa 52 Kilo Fleisch im Jahr.

Erst gar nicht richtig auf den Markt haben es die Fleischalternativen mit Insektenprotein geschafft. „Zu Beginn war das ein ähnlich aufstrebendes Feld wie bei Pflanzen“, blickt Hüsing zurück. Doch während für Pflanzen das Lebensmittelgesetz gilt und damit nur die Anforderung, dass der Hersteller die Sicherheit des Lebensmittels gewährleisten muss, ist es bei Insekten komplizierter. Längere Zeit war bei Insekten unklar, welche Regeln überhaupt gelten. Inzwischen fallen Insekten unter die Novel-Food-Verordnung der EU. Somit benötigen sie eine positive Sicherheitsbewertung durch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA, woraufhin die EU-Kommission eine Marktzulassung erteilen kann.

Bei Insekten läuft in Deutschland nicht viel

„Inzwischen sind vier Insektenarten geprüft und sechs Anträge positiv beschieden, weitere 16 Anträge sind gestellt“, berichtet Hüsing. „De facto läuft in Deutschland aber nicht viel“, ordnet die Forscherin die Zahlen ein, zumal alle Anträge von Firmen außerhalb Deutschlands stammten. „In Deutschland ist uns keine Firma bekannt, die in größerem Maßstab für den Lebensmittelbereich Insekten selbst produziert.“ Die wenigen Anbieter von Insektenprodukten importieren dazu das Insektenprotein oder sind lediglich ein Vertriebskanal. Meist handelt es sich zudem um Insekten zum Snacken oder Protein für Proteinriegel und Nahrungsergänzungsmittel, nicht jedoch um Fleischalternativen. Die meisten Insektenhersteller haben umgeschwenkt: Sie produzieren Insekten als Futtermittel für Geflügel, Schweine und Aquakultur. „Das ist zwar nachhaltiger als Soja oder Fischmehl, aber festigt damit die Fleischproduktion, von der wir ja eigentlich weg müssen“, kritisiert Hüsing.

Die Produktion von kultiviertem Fleisch sei bislang in Deutschland ebenfalls kein Thema, berichtet die Projektleiterin. „Es gibt keine Unternehmen, die derzeit direkt kultiviertes Fleisch erzeugen, wohl aber eine Reihe von Unternehmen, die Zulieferer sind von Fermentern, Gerüstsubstanzen oder Zellkulturmedien.“ Diese Firmen seien global wettbewerbsfähig und kooperierten mit den führenden Unternehmen in anderen Ländern. Ebenso wie Insekten fällt kultiviertes Fleisch in der EU unter die Novel-Food-Verordnung. Wie genau diese neue Produktkategorie bewertet werden muss und welche Unterlagen für einen Zulassungsantrag überhaupt erforderlich sind, legt die EFSA gerade erst fest. Dementsprechend wurden in der EU noch keine Anträge auf eine Marktzulassung gestellt. Auch international gibt es erst wenig kommerzielle Produkte, beispielsweise in Singapur und in Kürze auch in den USA. Sie werden derzeit nur in exklusiven Restaurants angeboten.

Strategieprozess zu Fleischalternativen entwickeln

„Wir empfehlen, dass die Politik einen Strategieprozess aufsetzen soll“, resümiert Hüsing die Schlussfolgerungen des Projekts. Bislang habe es durchaus Projektförderungen von alternativen Proteinen gegeben, aber es fehle ein klares Ziel. Mit Insekten als Futtermittel würde man die Fleischproduktion zwar nachhaltiger gestalten, aber andere Effekte der Massentierhaltung, die man nicht mehr haben möchte, zementieren – etwa Gülleprobleme, Treibhausgasemissionen und Landnutzungsänderungen. Mit pflanzenbasierten Alternativen möchte man zusätzlich auf eine weniger fleischlastige und damit gesündere Ernährung abzielen“, betont die Forscherin und erinnert daran: „Wir müssen die Fleischproduktion auf ein Niveau runterschrauben, das die planetaren Grenzen einhält.“ Ein solcher Strategieprozess solle dann idealerweise alle Alternativen zu tierischen Lebensmitteln in den Blick nehmen, nicht zuletzt weil sich gerade Alternativen zu Milchprodukten rasant entwickeln. Der jüngste Trend seien zudem Hybridprodukte aus kultivierten Zellen und pflanzlichen Proteinen.

Zurzeit wird die Ernährungsstrategie der Bundesregierung erarbeitet. Favorisiert werde darin eher eine vollwertige Ernährung mit frisch gekochten Hülsenfrüchten und ähnlichem. „Ich würde mir wünschen, dass Fleischalternativen hierin ernsthaft in Betracht gezogen werden,“ sagt Hüsing und erläutert:  „Man kann das Ernährungsverhalten der Menschen nicht ohne weiteres ändern. Wer Fleischesser ist, esse vielleicht ein Schnitzel aus Erbsenprotein oder beim Grillabend das Sojawürstchen. „Aber dass es ab sofort flächendeckend nur noch Kichererbseneintopf gibt, ist unrealistisch.“ Fleischalternativen passen für viele Menschen leichter in deren Lebenswelt und könnten ein niederschwelliger Einstieg in eine wünschenswerte pflanzenbetonte Ernährung sein.

Ausstiegskonzept aus Fleisch entwickeln wie bei Kohle

Außerdem empfiehlt die Expertin, auch die Frage zu thematisieren, wie der Ausstieg aus der massenhaften Fleischproduktion gelingen kann. Das Angebot von Fleischalternativen reiche dafür allein nicht aus. „Außerdem bieten Fleischalternativen kaum positive Perspektiven für die heutige Landwirtschaft. Bei kultiviertem Fleisch ist die vorherrschende Vision, dass das in großen Fabriken produziert wird, aber nicht durch Landwirte.“ Zumindest die Stiftung RespectFarms lotet aber in einer Machbarkeitsstudie aus, ob es möglich ist, auf einem landwirtschaftlichen Betrieb kultiviertes Fleisch zu erzeugen. „Niemand weiß, ob das eine Perspektive hat“, sagt Hüsing, „aber wir müssen frühzeitig nach denen gucken, die Verlierer wären, sollte kultiviertes Fleisch mal was werden.“ Perspektivisch könnten Viehzüchter vielleicht mit besserem Tierwohl und in verringertem Maß Tiere produzieren. Denkbar wären auch Stilllegungsprämien. „In Regionen wie dem Münsterland, wo Schweine und Geflügel dicht an dicht produziert werden, brauchen wir ein Ausstiegskonzept, ähnlich wie aktuell für Kohleregionen“.

Der Widerstand der Fleischindustrie sei übrigens erstaunlich gering, berichtet Hüsing ein weiteres Studienergebnis. Abgesehen von der eher erfolglosen Gegenwehr dagegen, dass pflanzliche Fleischalternativen mit Fleischbezeichnungen wie „Erbsenschnitzel“ verkauft werden dürfen, sähe man eher Interesse: Die vier großen Fleischunternehmen in Deutschland haben alle bereits in den Bereich der Fleischalternativen investiert.

Autor: Björn Lohmann