Erstmals Chromosomenzahl einer Pflanze gentechnisch verändert
Anhand der Modellpflanze Ackerschmalwand haben Forschende unter Leitung des KIT erstmals die Chromosomenzahl einer Pflanze gezielt reduziert – ohne, dass das Pflanzenwachstum beeinträchtigt wurde.
Nutzpflanzen müssen möglichst ertragreich und robust gegen Krankheiten sein. Doch bei der herkömmlichen Züchtung gehen diese nützlichen Eigenschaften oftmals verloren. Die Schwierigkeit: Damit Pflanzeneigenschaften gemeinsam vererbt werden, müssen sie auf demselben Chromosom liegen. Mit der molekularen Genschere CRISPR-Cas haben Forschende seit Jahren ein Präzisionswerkzeug in der Hand, um Gene gezielt zu verändern oder auszuschalten und damit Nutzpflanzen zu optimieren.
„Bisher war unklar, wie eine Veränderung der Chromosomenzahl Pflanzen beeinflusst“, sagt Holger Puchta vom Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften (JKIP) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Gemeinsam mit Forschenden aus Deutschland und Tschechien liefert das Karlsruher Team nun den Beweis, dass derartige genetische Veränderungen das Pflanzenwachstum nicht nachteilig beeinflussen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Science erschienen.
Durchbruch für Pflanzenzüchtung und Landwirtschaft
Die Forschenden haben dafür erstmals mithilfe der Genschere CRISPR-Cas die Chromosomenzahl einer Pflanze, der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, gezielt verändert. „Chromosomen sind deshalb so wichtig und interessant, weil wir hier Einheiten haben, auf denen verschiedene Gene angeordnet sind, die gemeinsam vererbt werden“, erklärt Puchta. Die Ergebnisse seien daher ein „Durchbruch“, der neue Möglichkeiten für die Pflanzenzüchtung und die Landwirtschaft eröffne.
Pflanze mit acht statt zehn Chromosomen
Alle Lebewesen besitzen eine bestimmte Anzahl von Chromosomenpaaren, die jeweils von beiden Eltern stammen. Beim Menschen sind es 23 Paare, also insgesamt 46 Chromosomen. Die Modellpflanze, auch Ackerschmalwand genannt, besitzt hingegen nur fünf Chromosomenpaare, also zehn einzelne Chromosomen. Um die Chromosomenzahl der Modellpflanze zu verringern, wurden laut Studie gezielt die beiden Arme eines Chromosoms auf die eines anderen übertragen, sodass aus zwei Chromosomen ein Chromosom wurde. „Da die Zellen von Pflanzen immer ein Paar von identischen Chromosomen enthalten, entstanden so Pflanzen mit nur noch acht statt zehn Chromosomen – also vier statt fünf Paare“, schreiben die Forschenden.
Dass sich die Anzahl der Chromosomen bei Pflanzen verändert, ist in der Natur normal. Im Labor ist dieser Vorgang jedoch erstmals gelungen. „Das ist für uns ein großer Schritt, um besser zu verstehen, wie sich genetisches Material verändern kann“, erklärt Michelle Rönspies vom JKIP und Erstautorin der Studie. Mittels Mikroskopie hatten Forschende am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben diese Veränderungen bestätigt.
Neue Einblicke in die Genomentwicklung
Forschende in Tschechien lieferten schließlich den Nachweis, dass sich Pflanzen mit acht Chromosomen im Wachstum genauso verhalten wie solche mit zehn. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, wie flexibel Pflanzengenome gegenüber massiven Umstrukturierungen sind“, so Puchta. „Unser Ansatz bietet uns eine einzigartige Gelegenheit, weitere Einblicke in die Genomentwicklung und potenzielle biotechnologische Anwendungen zu gewinnen.“
bb