Die Lichtleserin | Kirstin Gutekunst

Die Lichtleserin

Kirstin Gutekunst

Beruf:
Biologin & Pflanzenphysiologin

Biopionier für:
Bioenergetik in Photoautotrophen

Kirstin Gutekunst

Bergan durch den Habichtswald, vorbei an uralten Buchen und Basaltsteinen. Auf der Anhöhe lichten sich die Bäume. Vor uns liegt ein verwunschener See in der Sonne: Der Aschsee wurde Ende des 18. Jh. angelegt als Wasserreservoire für die Wasserspiele des Bergparks Wilhelmshöhe. Von hier aus thront Herkules über der Stadt, das Wahrzeichen von Kassel.

Aschsee im Habichtswald

Kirstin Gutekunst tritt ans baumbestandene Ufer. Gelbe Seerosen feiern den Sommer auf glitzerndem Wasser. Der Wind spielt mit den Zweigen und Sonnenstrahlen. Weithin sichtbar verbindet sich, was das Leben auf unserem Planten ermöglicht: Sonne und Wasser.

Phototrophe Seerosen auf dem Aschsee
Phototrophe Seerosen auf dem Aschsee
Kirstin Gutekunst
Die Photosynthese ist ein so beeindruckender Prozess, weil hier Wasser gespalten wird mithilfe von Sonnenenergie. Die Energie wird genutzt, um Kohlenhydrate zu synthetisieren, also Zucker. Und das ist natürlich für das Leben auf der Erde entscheidend, weil diese Zucker dann von Organismen, also auch von Menschen und Tieren, verarbeitet werden.
Kirstin Gutekunst

Aus den Zuckern ziehen wir unsere Energie, bewegen wir uns und wachsen. So wird die Kraft der Sonne wieder freigesetzt. Das CO2, das bei der Zuckerzerlegung anfällt, geben wir durch die Atmung an die Umgebungsluft ab. Die Pflanzen fangen das Gas aus der Luft als Rohstoff für ihren Stoffwechsel. Und der Energiekreislauf wird geschlossen.

Wie das im Detail funktioniert, erforscht die Biologin Kirstin Gutekunst, Professorin in der molekularen Pflanzenphysiologie, an der Universität Kassel. Ihr Spezialgebiet ist die Bioenergie phototropher Organismen. Dazu zählen die Pflanzen, Moose, Algen, Bakterien – all die Lebewesen, die der Photosynthese fähig sind und die Sonnenenergie für ihren Stoffwechsel nutzen.

Kirstin Gutekunst im Grünen
Kirstin erforscht die Bioenergetik der Photosynthese

Ein Organismus steht bei ihrer Arbeit im Fokus: das Cyanobakterium. Das blaugrüne Bakterium lebt im Wasser und betreibt wie die Algen dort Photosynthese. Im Hochsommer kann es sich stark vermehren und das Wasser grün-türkis färben. Ein Film bildet sich, der des Öfteren den Badespaß mindert. Für die Evolution spielt das farbenfrohe Bakterium jedoch eine entscheidende Rolle:

"Die Bakterien sind sehr, sehr alte Organismen. Aufgetreten sind sie wohl vor 2,5 bis 3,5 Milliarden Jahren. Und das Tolle ist, dass sie sich die oxygene Photosynthese ‚ausgedacht‘ haben, wo Wasser gespalten wird mithilfe von Sonnenlicht. Dabei ist zum ersten Mal Sauerstoff entstanden. Dann gab es Vorläufer der Pflanzenzellen und die haben diese Bakterien aufgenommen im Rahmen der Symbiose. Und aus diesen gefangen genommenen Cyanobakterien haben sich dann irgendwann die Chloroplasten entwickelt, mit denen höhere Pflanzen auch heute noch Photosynthese betreiben".

Cyanobakterien in der Wasserbrobe
Cyanobakterien in einer Wasserprobe

Welche der über 2000 Cyanobakterien-Arten tummeln sich hier im Wasser? Kirstin zieht sich die Sandalen aus, um an geeigneter Stelle Proben zu nehmen. Im T-Shirt und mit hochgekrempelte Jeans watet die Hochschullehrerin barfuß durchs feuchte Nass, naturbegeistert ohne jede Attitüde. Ein paar alte Herbstblätter treiben im seichten Gewässer. Ein romantisches Bild, das auch eine naturwissenschaftliche Bedeutung hat: Von den Blattresten profitieren die Cyanobakterien und ihr Stoffwechsel. Mithilfe der Sonne betreiben sie Photosynthese. Gleichzeitig können sie sich von den freiwerdenden Zuckerverbindungen aus der Zersetzung ernähren. Auf- und Abbau von Nährstoffen sind nicht getrennt, sondern fließen ineinander.

"Besonders spannend finde ich, wie diese eigentlich gegenläufigen Prozesse sich unterstützen. Die Cyanobakterien haben dadurch einen riesigen Selektionsvorteil. Sie können sehr viel schneller wachsen als die Organismen, die entweder nur Photosynthese betreiben oder nur Zucker veratmen".

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Kirstin Gutekunst im Labor

Die winzigen Überlebenskünstler haben aber noch mehr zu bieten, was uns Kirstin in ihrem Labor zeigen möchte. In einem schlichten weißen Raum befindet sich die Zuchtstation für die Mikroben. Große Glaskolben und Glaszylinder mit türkisgrünem Wasser werden von schmalen LED-Streifen durchleuchtet. Darin wachsen genetisch optimierte Cyanobakterien. – Nur wofür?

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Glaszylinder mit Cyanobakterien

Einige blaugrüne Mikroben beherrschen nicht nur die Photosynthese, sie produzieren auch Wasserstoff. Dafür besitzen sie ein spezielles Enzym namens Hydrogenase. Das ist vor allem bei Nacht aktiv, wenn die Photosynthese ruht und die Cyanobakterien Zucker vergären. Noch viel spannender ist aber eine andere Situation, die uns in den nächsten Laborraum führt.

Kirstin Gutekunst im Video

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Wir warten gespannt im Dunkeln. Ein Schalter klickt. Auf einmal fällt gleißendes Licht auf kleine mit Mikrobenwasser gefüllte Glasröhren, die in einer Messapparatur stecken. Kirstin Gutekunst und Bioenergieforscher Jens Appell schauen gebannt auf den Kurvenausschlag am Monitor. Just in dem Moment, wo das Licht anging, war die Hydrogenase für eine kurze Phase sehr aktiv.

"Die Zellen nutzen das Licht anfangs noch nicht für die Photosynthese, um CO2 zu fixieren, sondern sie speichern die Sonnenenergie in Form von Wasserstoff. Das ist wirklich aufregend! Denn wenn man jetzt diesen Wasserstoff biotechnologisch nutzt, also in eine Brennstoffzelle einspeist und dort mit Sauerstoff wieder zusammenbringt, wird in der Reaktion ganz viel Energie freigesetzt. Als Abfallprodukt entsteht praktisch nur Wasser und nirgendwo CO2. Das heißt, man hat damit einen extrem umweltfreundlichen und nachhaltigen Prozess".

Hydrogenase im Labor
Wenn das Licht angeht, produzieren Cyanobakterien Wasserstoff

Während der Wildtyp des Bakteriums nur für wenige Minuten Wasserstoff erzeugt, läuft der Prozess in der Mutante für etliche Stunden. Dafür wurde die Hydrogenase von Kirstins Team direkt an den Photosynthese-Komplex gekoppelt, und zwar innerhalb der lebendigen Zelle. Dies brachte den Durchbruch:

"Als es geklappt hat, haben wir uns natürlich riesig gefreut. Mein Team bedeutet mir so viel, das kann ich gar nicht in Worte fassen. Was wir tun, das kann ja eine einzelne Person gar nicht alleine machen. Es ist einfach toll, mit Menschen zu arbeiten, die ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzen, unterschiedliche Interessen und auch Fähigkeiten haben".

Kirstin Gutekunst mit ihrem Team
Team molekulare Pflanzenphysiologie und Bioenergetik
SVG
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Kirstin Gutekunst im Podcast-Interview

Grüner als auf diese Weise lässt sich Wasserstoff nicht produzieren. Längst wird er als Energieträger wertgeschätzt. 2022 hat die Bundesregierung die nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Grüner Wasserstoff gilt als das Erdöl von morgen, als flexibler Energieträger, unverzichtbar für die Energiewende und die Eröffnung neuer Märkte. Das Attribut grün steht dem Wasserstoff dabei nur zu, wenn er nachhaltig aus Wind- oder Solarenergie erzeugt wird. Sie wird für die Spaltung des Wassers, die Hydrolyse, benötigt. In den Cyanobakterien läuft dieser Prozess dank Hydrogenase ganz automatisch ab.

Für den Traum von grüner Bioenergie aus Mikroben sind jedoch noch einige Herausforderungen zu meistern. So ist die Hydrogenase sehr Sauerstoff-empfindlich, auch der Elektronentransfer zwischen Photosynthese und Enzym lässt noch zu wünschen übrig. Um die Effizienz zu steigen, muss der Energiefluss im Bakterium also genetisch noch weiter verbessert werden.

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Bakterienkulturen

"Aber wenn man so weit kommt, dass die Bakterien in Bioreaktoren Wasserstoff produzieren, dann könnte man das Gas relativ einfach auffangen, weil es sehr leicht ist und aus den Kulturen einfach ausperlt. Wieviel wir auf diese Weise einmal produzieren, ist nur schwer abzuschätzen. Aber es ist auf jeden Fall eine Prozessentwicklung, die sich energetisch sehr lohnen wird. Und ich habe immer das Gefühl, wir können uns das eigentlich gar nicht leisten, das nicht zu probieren".

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Cyanobakterien im Bioreaktor

Cyanobaktieren sind Stoffwechselakrobaten, das haben sie über Jahrmilliarden unter unterschiedlichsten Gaskonzentrationen der Atmosphäre bewiesen. Mit dem Sauerstoff haben sie die Voraussetzung für höheres Leben geschaffen und mit der Produktion von Wasserstoff könnten sie den Energiebedarf für unser Leben zukünftig decken. Ihr Stoffwechsel vollzieht sich in Kreisläufen. Für Stoffe, die sie der Umwelt entnehmen, geben sie immer auch Stoffe zurück.

"Wenn wir das lernen und mit einer gewissen Bescheidenheit und Demut an die Wasserstoffproduktion gehen, dann glaube ich wirklich, dass es hilfreich ist. Wenn wir jetzt die Bakterien einfach nur wieder ausnutzen und da so viel Wasserstoff rauspressen, wie es uns recht ist und nichts von den biologischen Kreisläufen lernen, dann haben wir nichts gewonnen".

An der Universität Kassel wird der Prozess des Umdenkens gerade auf besondere Weise befördert: Hier entsteht eines der größten deutschen Nachhaltigkeitszentren. Gemäß den 17 SDGs (Sustainable Development Goals) soll über Nachhaltigkeit vielfältig geforscht werden: wirtschaftlich, politisch, argarwissenschaftlich, soziologisch, und mehr.

Kirstin Gutekunst
Für die Nachhaltigkeitsforschung brauchen wir genau diese Breite, um wirklich etwas verändern zu können. Die photosynthetische Wasserstoffproduktion und das Verständnis zur Bioenergetik können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Und diesen Beitrag liefere ich aus tiefster Überzeugung.
Kirstin Gutekunst