Der Käsezüchter
Raffael Wohlgensinger
Beruf:
Jungunternehmer und CEO von Formo (ehemals Legendairy Foods)
Biopionier für:
Biotechnologie und Milchprodukte
Die Arminius Markthalle in Berlin Moabit. Ein Ort der Tradition und Garant für hochwertige Lebensmittel. Ein junger Gast im Star Wars T-Shirt nähert sich der Käsetheke. Raffael Wohlgensinger ist Jungunternehmer aus der Schweiz. Er versteht etwas von Käse und noch mehr von seiner Herstellung. Hinter Glas warten Klassiker auf ihre Verkostung: „Alm Blume“, „thermisierter Bauernstolz“ oder eine über zwölf Monate „gereifte Verführung“. Behutsam gleitet das Käsemesser durch eine Auswahl von Laiben, schneidet handliche Probeecken.
Raffael möchte einzelne Sorten besser kennenlernen, ohne dabei die Qualität des hiesigen Sortiments in Frage zu stellen. Wie leicht lässt sich ein Käse auseinanderbrechen? Wie entwickeln sich seine Aromen? Die Tradition riechen, spüren, verstehen, um mit der eigenen Produktion einmal so nah wie möglich dran zu sein – und doch ganz weit weg.
Der Verkäufer wundert sich: Raffael nippt nur vom Käse, ohne ihn zu essen. Für Veganer wie ihn sind Milchprodukte eigentlich tabu. Doch genau das will er ändern.
2018 hat der Betriebswirt mit Abschluss an der renommierten Universität St. Gallen „Legendairy Foods“ (heute: Formo) gegründet. Ein Start-up mit einer verblüffenden Idee: Raffael will echte Milchprodukte herstellen, aber ohne Kühe, Schafe und Ziegen. Dagegen setzt er auf die Biotechnologie als Helfer. Nur warum?
„Wir glauben ganz stark, dass rein pflanzliche Produkte nicht gut genug sind, um den Konsumenten zufrieden zu stellen. Das weiß jeder, der das schon einmal probiert hat. Der Käse auf Cashew Basis ist nicht der, den die Leute lieben und essen wollen. Deshalb versuchen wir das Beste aus der traditionellen Milchwirtschaft mit dem Besten aus der Technologie zu verbinden.“
Käse, der nicht von der Weide und Molkerei, sondern aus dem Labor kommt. Wie soll das gehen? Und wer glaubt an so was, außer man selbst? – Berlin Mitte, Rosenthaler Straße. Hier mischen sich anspruchsvolle Konsumenten mit umtriebigen Szenemenschen. Raffael eilt durch das enge Treppenhaus eines schmucklosen Altbaus hinauf in die oberste Etage. Hinter einer Sicherheitstüre beginnt das Reich von Atlantic Labs, ein Venture Capital Unternehmen, das unter anderem stark in den Bereich Food investiert. „Die Zukunft von Ernährung, Gesundheit und Nachhaltigkeit“ sie beginnt hier und jetzt, im exklusiv ausgebauten Dachgeschoß.
Gründer treffen auf Gründer, in gläsernen Separees oder auf der Dachterrasse zum Relaxen. Ein Mangel an Selbstbewusstsein herrscht nicht, dafür ist man zu sehr mit der eigenen Erfolgsgeschichte beschäftigt. Im Fall von Raffael beginnt sie so: „Damals im Studium habe ich mich auch immer stark für Biologie interessiert, vor allem für cellular agriculture. Da gibt es viele Start Ups, die versuchen echtes Fleisch herzustellen im Labor ohne Tiere. Meine Freunde und ich waren begeistert davon, was Biotechnologie für die Nachhaltigkeit tun kann. Und wir haben gesagt als Schweizer wollen wir dasselbe machen für Milchprodukte.“
Raffaels Begeisterung ist ansteckend. Wen wundert's bei einer brasilianischen Mutter. Die Gründeridee hat nicht nur Atlantic Food Labs überzeugt, sondern auch weitere internationale Investoren. Seit kurzem fließen einige Millionen Euros und Dollars in den Traum vom echten Laborkäse. Dabei sind Entwicklung und Produktion alles andere als trivial, und der eigene Anspruch an Qualität und Nachhaltigkeit riesig:
Raffael Wohlgensinger - im Video
„Das fängt z.B. damit an, dass man mithilfe von Blockchain oder AI klar rückverfolgen kann, woher ein Produkt kommt und immer mehr versucht lokal zu produzieren. Auf der Produktionsseite selbst geht es z.B. darum, Nebenströme zu recyclen, um Nahrungsmittel möglichst nachhaltig herzustellen.“
Der junge CEO ist voll in seinem Element: Jede Erklärung ein Pitch, jedes Argument ein Treffer. Man spürt sein Talent das eigene Ding glaubhaft zu präsentieren. – Wie aber steht es um die Hard-Facts der Forschung?
Der Clou der Käseherstellung sind die tierischen Milchproteine. Sie formen den Charakter, sind für Geschmack und Textur des Käses verantwortlich. Ihre besondere Funktion lässt sich durch pflanzliche Stoffe nicht imitieren. Raffaels Augen glänzen. „Die schöne meltability und stretchability, warum eine Milch gut schäumt oder ein Frischkäse sich gut streichen lässt, das kommt von den einzigartigen Milchproteinen.“
Das Gründer-Team hat es geschafft, die Proteine der Kuh mithilfe von Mikroben im Labor eins zu eins nachzubauen. Dafür bekommen Bakterien und Hefen die Gene von der Kuh eingesetzt, die für diese Proteine kodieren. Nun können sie die wichtigsten Milcheiweiße, Casein und Molkenprotein, über den eigenen Stoffwechsel produzieren.
Das Institut für Lebensmitteltechnologie in Dahlem. In dem altehrwürdigen Backsteingebäude sitzt auch das Labor von Formo. Noch arbeitet das Forscher-Team hier mit Proteinen von der Kuh, weil bislang nur kleine Mengen biotechnologisch verfügbar sind. Neben den Proteinen braucht ein echter Käse Kohlenhydrate und Fette, die man wohl dosiert dazu geben muss.
Im Labor wird gerührt, erhitzt und gemessen. Eifrig suchen Käsesommeliers in weißen Kitteln nach dem richtigen Mischungsverhältnis.
Löffelprobe für den Chef mit hausgemachtem Ricotta. Konsistenztest für den werdenden Mozzarella, der sichtbar Fäden zieht.
Raffael trägt ein Basecap mit Slogan „Because there is no Planet B“ und schwelgt:
„Das Tolle bei uns im Food Design ist, wir sind nicht auf Milchzucker angewiesen. Das ist gut bei Lactoseintoleranz, da verwenden wir andere Kohlenhydrate. Bei den Fettsäuren haben wir noch eine große Challenge vor uns. Welche Fette kann man zusammen mit den Proteinen verwenden?"
Am Stadtrand von Berlin scheint die Sonne: Große Weideflächen werden unwirklich begrenzt von Hochhäusern am Horizont. Auf dem Milchhof Mendler leben achtzig Kühe. Ein Hofladen verkauft frische Milch und selbstgemachten Käse. Eine Kindergartengruppe sucht die Bauernhofidylle. Raffael begegnet dem Vieh mit gemischten Gefühlen. Mit einem Bein steht er in der Tradition, mit dem anderen in der Zukunft. Einfühlsam streichelt der Schweizer Bub die am Gatter grasenden Kühe. Die Harmonie zwischen Mensch und Tier, die mit der Domestizierung des Rinds über Jahrtausende gewachsen ist, kann man förmlich spüren.
Doch die Zukunft weist in eine andere Richtung. Aus Sicht der Biotechnologen verbrauchen Bakterien bei der Milchherstellung ungleich weniger Energie. Zudem entsteht in Viehwirtschaft und Milchindustrie viel Methan und CO2, was den Klimawandel befördert. Hat das gutmütige Säugetier als Produktionsorganismus ausgedient?
Nachdenklich geht Raffael durch die Stallgasse, vorbei an den Kuhständen:
„Wir bei Legendairy sind der Meinung, wir sollten dieses System nicht weiter skalieren, weil es einen schlechten Impact auf unsere Gesellschaft hat. Das wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, weil sich die Welt an den westlichen Standard anpasst.“
Der Jungunternehmer setzt auf die Biotechnologie als Alternative, die Milchbauern aber keinesfalls ausschließen soll. Doch der Weg zum Markt ist noch weit, vor allem in der EU wegen der strikten Novel Food Verordnung. Als Fernziel lockt der Sortenreichtum der Käsetheke: schafmilder sizilianischer Ricotta, Toggenburger Ziegenkäse oder Caciocavallo, der betrunkene Italiener. „Diese Vielfalt! Wenn wir das alles in zehn Jahren herstellen könnten, das wäre der absolute Traum für Formo“.
Raffael Wohlgensinger - im Podcast
Raffael Wohlgensinger ist Jungunternehmer aus der Schweiz. Er versteht etwas von Käse und noch mehr von seiner Herstellung. Mit seinem Start-Up Formo (ehemals Legendairy Foods) will er echte Milchprodukte herstellen, aber ohne Kühe, Schafe und Ziegen. Dagegen setzt er auf die Biotechnologie als Helfer. Veganer Käse aus dem Labor – wie das funktioniert, haben wir den Schweizer Biopionier in unserem Podcast gefragt.