Bundesregierung diskutiert Nationale Nachhaltigkeitsstrategie
Die Bundesregierung hat Ende Mai ihren Entwurf für eine überarbeitete Nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt – passend zur diesjährigen Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltigkeit in Berlin, zu dem mehr als 800 Experten aus ganz Deutschland angereist waren.
Seit 15 Jahren berät der Rat für Nachhaltigkeit (RNE) die Bundesregierung bei der Etablierung einer nachhaltigen Gesellschaft. Pünktlich zur diesjährigen RNE-Jahreskonferenz am 31. Mai in Berlin hat die Bundesregierung den ersten Entwurf der überarbeiteten Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die Bundesminister der Ressorts Forschung, Umwelt und Entwicklung gaben auf der Konferenz Einblicke in ihre politischen Prioritäten. Der Rat bescheinigte der Regierung, auf dem richtigen Weg zu sein und bereits viele Empfehlungen aufgenommen zu haben. Wo es noch Herausforderungen zu meistern gilt, darüber diskutierten die rund 800 Teilnehmer der Konferenz in verschiedenen Workshops am Nachmittag. Vor allem die Frage, wie sich eine nachhaltige Lebensmittelnutzung gestalten lässt, erhitzte die Gemüter.
Bundeskanzlerin Merkel ist Stammgast bei den Jahreskonferenzen des RNE. Sie betonte bei ihrer Rede in Berlin, die Nachhaltigkeit habe im gesellschaftlichen und politischen Dialog ihren festen Platz gefunden. „Nachhaltigkeit ist für uns das Navi, der Kompass in die Zukunft“, sagte sie. Merkel hob die auf dem UN-Gipfel in New York im vergangenen Jahr verabschiedete „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ hervor, mit der sich 193 Staaten auf 17 globale Nachhaltigkeitsziele (SDGs) geeinigt hatten. „Jetzt gilt es, diese Ziele zu konkretisieren und verständlich zu machen“, so Merkel mit Blick auf die Weiterentwicklung der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland, die bis zum Herbst abgeschlossen sein soll. Pünktlich zur Veranstaltung wurde vormittags ein erster Entwurf öffentlich gemacht (zum PDF-Download: hier klicken), der sich deutlich an den SDGs orientiert und auch die Rolle der Bioökonomie beim Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft betont.
Innovationen als wichtiger Treiber für die Nachhaltigkeit
Bereits beim Global Bioeconomy Summit, der in wurde klar, dass viele der 17 Ziele eine hohe Relevanz für die Bioökonomie haben. Sowohl Merkel als auch Bundesforschungsministerin Johanna Wanka betonten zudem die Bedeutung von Innovationen für die Nachhaltigkeit. „Die Hightech-Strategie der Bundesregierung ist eng verbunden mit nachhaltiger Entwicklung“, sagte Merkel, „sie setzt aber auch Offenheit gegenüber neuen Technologien voraus.“ Ähnlich argumentierte Wanka: „Wir müssen Forschungsergebnisse akzeptieren lernen und nicht nur selektiv wahrnehmen, auch wenn sie nicht zu den eigenen Überzeugungen passen.“ Es gebe im Kontext der Nachhaltigkeitsforschung keine 'gute' und 'schlechte' Forschung, unterstrich sie mit Blick auf die Diskussionen, die es um Gentechnik oder andere umstrittene Forschungsmethoden gebe. Zugleich betonte sie die Bedeutung von sachkundigen, offenen Diskussionen, weil die 17 SDGs auch widersprüchliche Ziele verfolgen, die es im Dialog mit der Zivilgesellschaft auszuloten gelte.
Innerhalb der Bundesregierung noch Gesprächsbedarf
Dass auch innerhalb der Bundesregierung noch nicht in allen Punkten Einigkeit herrscht, machte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks deutlich: "Nachhaltigkeit ist kein Wohlfühlthema. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir langfristig anders leben, aber das muss nicht heißen, dass es schlechter wird." Gerade mit Blick auf die aktuelle Landwirtschaftspoltiik sieht die Sozialdemokratin noch erheblichen Handlungsbedarf. Aus ihrer Perspektive gibt die Nachhaltigkeitsstrategie hierzu einen klaren Auftrag: "Wir haben hier eine Richtungsentscheidung gefällt, nicht mehr und nicht weniger." Auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller unterstrich die politische Verantwortung der Deutschen, auch auf internationaler Ebene: "Wir verdammen nicht den globalen Handel, aber wir leben nur in einer Welt. Dies müssen wir in unserem Tun berücksichtigen."
Noch in diesem Jahr soll die neue Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung verabschiedet werden. Zunächst gibt es eine öffentliche Kommentierungsphase, an der sich alle interessierten Akteure bis Ende Juni beteiligen können. Deutschland will das Thema auch international stärker adressieren. Im Dezember übernehmen die Deutschen den Vorsitz der G20 und Merkel sprach sich in Berlin dafür aus, hier das Thema Nachhaltigkeit verstärkt auf die Agenda zu setzen.
Nachhaltigkeit auch in den Regionen befördern
RNE-Vorsitzende Marlehn Thieme bescheinigte der deutschen Politik unterdessen, auf dem richtigen Weg zu sein. „Viele unserer Empfehlungen haben bereits Eingang in den Entwurf der neuen Nachhaltigkeitsstrategie gefunden. Wir müssen uns dennoch weiter dafür einsetzen, dass es nicht als geduligtes Papier missbraucht wird“, betonte sie und unterstrich die breite Bedeutung des Themas für die Gesellschaft insgesamt: „Nachhaltigkeitspolitik umfasst Umwelt, Wirtschaft, Soziales. Schon gar nicht ist sie nur eine Abwägungsformel, bei der die Umwelt das Nachsehen hat und auf den zweiten Platz kommt.“
Eine wichtige Bedeutung hat für den Rat zudem die Frage, wie sich nachhaltige Ansätze vor allem auf regionaler und lokaler Ebene unter Beteiligung der Zivilgesellschaft noch besser umsetzen lassen. Hierfür soll es künftig regionale RNE-Netzstellen geben, die von bereits bestehenden Akteuren koordiniert und voraussichtlich ab September operativ tätig werden. „Damit wollen wir zum Beispiel die Grenze von Bundesländern überwinden helfen, durch die viele Nachhaltigkeitsprojekte oder Kooperationen in den Regionen immer noch scheitern“, betonte Thieme.
Bedeutung der Nachhaltigkeitsforschung wächst
Ein bunter Korb an konkreten Beispielen für Nachhaltigkeit wurde auf der Bühne am Vormittag präsentiert. Katja Bühler vom Umweltforschungszentrum in Leipzig berichtete unter anderem von Biofilmen, also in Schleim eingebettete Mikroben-Lebensgemeinschaften. „Wir wollen diese Biofilme für die biobasierte Produktion von Substanzen nutzbar machen“, sagte Bühler. Luise Körner wiederum stellte das Projekt „2000m2“ vor. So groß ist der Anteil an der globalen Ackerfläche, die im Durchschnitt auf einen Erdenbürger fallen. Derzeit bauen die Initiatoren einen „Weltacker“ mit 2000m2 auf dem Gelände der Internationalen Gartenausstellung IGA 2017 in Berlin-Marzahn auf. Eine Erkenntnis sei, dass der Weltacker deutlich mehr als eine Person ernähren könne. „Unser Fazit: es ist genug für alle da“, sagte Körner. (www.2000m2.eu) Dass die Bedeutung der Nachhaltigkeitsforschung insgesamt wächst, konnte Prof. Christian Thomsen, Präsident der TU Berlin am Nachmittag in einem Panel bestätigen. "Wir können unseren Forschern nicht vorschreiben, in diese Richtung zu arbeiten, aber mit Anreizen Impulse setzen", sagte er.
Wie kann eine nachhaltige Lebensmittelversorgung gestaltet werden?
Wie sich die Lebensmittelversorgung nachhaltiger und effizienter gestalten lässt und wie sich die bestehenden Konsumgesellschaft dahingehend ändern müsste, darüber wurde am Nachmittag bei einem Workshop unter Federführung von Lucia Reisch, gleichzeitig Mitglied im RNE sowie im Bioökonomierat diskutiert. Staatssekretär Robert Kloos aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium betonte, dass bereits eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht wurde – wie das Forum nachhaltiger Kakao oder Palmöl bzw. die Kampagne „Zu gut für die Tonne“. Christoph Minhoff, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie unterstrich, dass es hierzulande einen hohen Innovationsgrad bei den vor allem mittelständisch geprägten Firmen im Lebensmittelsektor gebe und dass von den über 170.000 Lebensmittelprodukten, die sich aktuell im Markt befinden, stets eine Fluktuation von 40.000 Produkten zu beobachten sei. Viele Teilnehmer forderten ungeachtet dessen eine noch konsequentere Ausrichtung auf ökologische Produkte, eine Reduktion der Massenproduktion und mehr Anreize für den individuellen Verbraucher, sich nachhaltig zu ernähren. Gleichzeitig wurde die internationale Ebene angesprochen, die sich durch Fluchtbewegungen aufgrund des Klimawandels ergeben bzw. sinkender Erträge in Rohstoffländern, die langfristig auch auf Lebensmittelwertschöpfungsketten in Europa Einfluß nehmen.