ZEIT-Zukunftsdialog: Wie steht es um die deutsche Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft ist der wichtigste Rohstofflieferant für die Bioökonomie. Beim „Zukunftsdialog – Agrar & Ernährung“ der ZEIT-Verlagsgruppe am 19. Mai diskutierten 500 Experten über aktuelle Herausforderungen und Perspektiven.
Ob als Basis für Lebensmittel, für Bioenergie oder stoffliche Nutzung – die Landwirtschaft ist der wichtigste Rohstofflieferant für die Bioökonomie. Beim „Zukunftsdialog – Agrar & Ernährung“ der ZEIT-Verlagsgruppe am 19. Mai diskutierten Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik über aktuelle Herausforderungen und Perspektiven der Branche in Deutschland. 500 Gäste waren hierzu in die Berliner Kalkscheune gekommen.
Groß, klein, konventionell, öko – landwirtschaftliche Betriebe haben zahlreiche Gesichter. Sie alle stehen heutzutage vor großen Herausforderungen: Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, die ernährt werden muss, aber auch durch den wachsenden Bedarf nach erneuerbaren Energien oder der stofflichen Nutzung von Biomasse. Genug Gesprächsstoff gab es daher für den "Zukunftsdialog Agrar & Ernährung", zu dem DIE ZEIT nach Berlin geladen hatte. (Mehr Informationen zur Veranstaltung: hier klicken) Einig waren sich die Experten, dass die große Nachfrage nach Agrarrohstoffen prinzipiell von Vorteil ist, denn sie lässt die Agrarpreise steigen. Entscheidend sei, so Werner Schwarz, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands, vor allem die Ressourceneffizienz und hier seien die Großbetriebe führend.
Nationaler Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft gefordert
Christian Meyer, erster Grüner Landwirtschaftsminister im Agrarland Niedersachsen, betrachtete die Entwicklung deutlich vorsichtiger und kritischer. „Ja, wir brauchen eine Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft“, sagte er, betonte aber auch: „Die Landwirtschaft ist schon heute der größte Emittent von Kohlendioxid. Das müssen wir in der Agrarwende berücksichtigen.“ Vor diesem Hintergrund brachte Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts und Mitglied im Bioökonomierat, einen neuen Vorschlag ein: Aus seiner Sicht sollte ein „nationaler Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft“ gestartet werden, in dem gemeinsam Leitbilder entwickelt werden können.
Kritik an EU-Landwirtschaftsreform zum Greening
Kommunikation war denn auch das bestimmende Thema. Die Diskutanten plädierten dafür, dass sich Biobauern und ihre intensiv wirtschaftenden Kollegen verstärkt austauschen sollten. Denn neue Anbautechniken, Methoden oder Maschinen könnten über Systemgrenzen hinweg Produktivitätssteigerungen für beide Seiten bringen. Einig waren sich die Experten auch in ihrer Kritik an der neuesten EU-Landwirtschaftsreform, vor allem dem „Greening“. Das Konzept schreibt die Einrichtung „ökologischer Vorrangflächen“ vor, für welche die Landwirte direkt entschädigt werden. „Das geht direkt auf die Produktivität“, klagte Wolf-Dietmar Vetter, Chef der Wariner Pflanzenbau eG, einem Großbetrieb mit 2.000 Hektar Ackerfläche in Mecklenburg Vorpommern. Peter Bleser, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wies zudem auf ein prinzipielles Problem des Greenings hin: „Das Ordnungsrecht voranzusetzen ist falsch. Die Landwirte werden die Verordnungen zwar umsetzen, dabei aber alle Möglichkeiten ausnutzen, so dass die Effekte auf die Produktivität minimal sind.“ Auch Isermeyer zweifelte an der Effizienz der EU-Regelung: „Wer mehr Fläche hat, bekommt mehr.“ Der Agrarökonom schlug vor, konkrete ökologische Ziele zu definieren und die finanzielle Belohnung für den Landwirt daran zu koppeln.
Festgefahrene Positionen zu Industrialisierung und Gentechnik
Die Veranstaltung zeigte auch, dass viele Positionen nach wie vor sehr festgefahren sind. So lehnte die Vertreterin des BUND, Heike Moldenhauer, die Industrialisierung der Landwirtschaft generell ab. „Unsere Vorstellung ist die einer regionalen Landwirtschaft, die lokale Märkte bedient“, betonte sie. Auch Gentechnik solle in Europa keine Rolle spielen. „Wir misstrauen dem europäischen Zulassungsverfahren“, so Moldenhauer. Andere Experten wie Bauernverbands-Vize Schwarz konterten, dass die Gentechnik in Deutschland ohnehin keine Rolle spiele, da es derzeit keinen kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland gebe und warf dem BUND vor, dass es sich mit Unsicherheiten offenbar leichter argumentieren lasse. Um für sein eigenes Wirtschaften zu werben, setzte Schwarz, der neben seinem Verbandsamt auch Großlandwirt ist, auf Transparenz. Seit einigen Monaten blickt eine Webcam auf Ferkel und Säue im Stall. (zur Webcam: hier klicken) Hier soll gezeigt werden, wie der größte Teil der Landwirtschaft heute wirklich ist. Steril, effizient und hygienisch – und nicht, wie es die Werbung oft suggeriert, in Grüne-Wiesen-Romantik.