Finnland

Finnland

In Finnland sind die dichten Nadelwälder die zentrale Ressource der Bioökonomie. Mit einer Wertschöpfung von 26 Mrd. Euro im Jahr 2019 hat die biobasierte Wirtschaft hier schon heute einen enormen Stellenwert. 2022 präsentierte Finnland seine aktualisierte Bioökonomie-Strategie.

In Finnland sind die dichten Nadelwälder die zentrale Ressource der Bioökonomie. Immerhin sind 80 % der Landfläche bewaldet, das Land zählt zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas. Schon jetzt erreicht hier die biobasierte Wirtschaft aus ökonomischer Sicht einen enormen Stellenwert. Im Jahr 2019 erwirtschaftete sie eine Wertschöpfung von 26 Mrd. Euro pro Jahr, was 13 % der in der Volkswirtschaft generierten Wertschöpfung entspricht. Die finnische Bioökonomie zählt rund 300.000 Beschäftigte. Diese sind vor allem den Sektoren Land- und Forstwirtschaft, der chemischen Industrie und dem Lebensmittelsektor zuzuordnen. Bereits im Jahr 2014 hat die Regierung eine Politikstrategie zur Bioökonomie veröffentlicht. 2022 wurde eine überarbeitete Strategie präsentiert.

Rechtliche und politische Grundlagen

Schon mit der 2009 veröffentlichten Strategie zu natürlichen Ressourcen hat der vom finnischen Parlament kontrollierte Innovationsfonds Sitra die Bioökonomie als wichtige Säule des künftigen finnischen Wohlstands eingestuft. Der Reichtum an natürlichen Ressourcen wie Wäldern sei ein wichtiger Wettbewerbsvorteil und versetze das Land in die Lage, die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen vorwärtszutreiben, hieß es damals. Mit dem Strategischen Programm für die Forstwirtschaft (2011 bis 2015) sollte der Umsatz mit holzbasierten Produkten gesteigert und die Industrie fortentwickelt werden.

2014 veröffentlichte die finnische Regierung – und hier insbesondere das Finnische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft als zentraler Akteur – eine der ersten umfassenden europäischen Bioökonomie-Strategien. Hierin wurde die Bioökonomie als ein künftiges grünes Wachstumsfeld im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung ausgewiesen. Die Strategie zielte vor allem auf neue Geschäftsmöglichkeiten und Arbeitsplätze, aber auch auf Perspektiven für Bildung und Forschung sowie die nachhaltige Nutzung von Biomasse. Adressiert wurden insbesondere die Wirtschaftsbereiche Land- und Forstwirtschaft, Futtermittel, Energie, Papier, Chemie und Medizin. Die Basis sollten die natürlichen Ressourcen in Wäldern und Gewässern stellen.

Als erstes Land weltweit präsentierten die Finnen im Jahr 2016 einen Fahrplan für eine Kreislaufwirtschaft (2016 bis 2025), der für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand im Land sorgen soll. Zwei der fünf hier priorisierten Themenkomplexe sind eng mit der Bioökonomie verknüpft: Nachhaltige Ernährungssysteme und forstwirtschaftliche Kreisläufe.

2022 erschien eine überarbeitete Bioökonomiestrategie, die einen klaren Richtungswechsel gegenüber der Strategie von 2014 erkennen lässt. Denn sie zielt nicht mehr nur per se darauf ab, das Produktionsvolumen zu erhöhen, sondern eine höhere Wertschöpfung in verschiedenen Bereichen der Bioökonomie zu erreichen. In diesem Zusammenhang erkennt die finnische Regierung an, dass die industrielle Struktur der Bioökonomie sich zunehmend sektorübergreifend entwickelt, weshalb neuartige Wertschöpfungsketten über die traditionellen Branchengrenzen hinweg geschaffen werden sollen.

In der überarbeiteten Strategie wird zudem betont, dass natürliche Ressourcen (insbesondere die Wälder) unter erheblichem Druck stehen und die Verwendung, von zum Beispiel Waldrohstoffen, deshalb nicht mehr in der gleichen Weise wie in der vorherigen Strategie gesehen wird. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Erhöhung des Holzverarbeitungsgrads betont, die neue Produkte und völlig neue Produktbereiche hervorbringen soll. Eine große Bedeutung wird deshalb besonders industriellen Nebenströmen und der Steigerung der Effizienz von Stoffkreisläufen beigemessen.

Auch wenn die neue Strategie auf mehr Diversifizierung setzt, bleiben die holzverarbeitende Industrie (einschließlich nachhaltiger Holzbau) und die chemische Industrie die zentralen Antriebskräfte der finnischen Bioökonomie. Vor allem die Erkenntnis, dass die chemische Industrie sich aktuell in einer Rohstoffrevolution befindet, in der eine Verlagerung von fossilen zu biobasierten, recycelten und synthetischen Rostoffen stattfindet, biete Möglichkeiten für biobasierte Produkte aus den Nebenströmen der Forstindustrie, dem Pflanzenanbau und seinen Nebenströmen sowie aus Siedlungsabfällen, aus denen dann Grundchemikalien, Kraftstoffe, Lösungsmittel und Verbundstoffe hergestellt werden können.

Die nachhaltige Nutzung der natürlichen Wasserressourcen im bioökonomischen Kontext ist in Finnland seit jeher einzigartig. So bilden Finnlands reichhaltige erneuerbare Ressourcen und Wassersysteme eine solide Grundlage für die Wertschöpfungsketten der Bioökonomie. Die Strategie betont daher die Bedeutung der nachhaltigen Aquakultur, der Nutzung von Nebenströmen aus der Fischindustrie und der Verarbeitung von Algen, aber auch der Nutzung von Abwasserressourcen, aus denen Nährstoffe und andere wertvolle Stoffe, wie Metalle, zurückgewonnen werden können.

In den vergangenen Jahren mehrten sich zudem strategische Maßnahmen zur Förderung der regionalen Bioökonomie-Entwicklung in Finnland. So wird die Bioökonomie in fast jedem regionalen Entwicklungsplan und in vielen Strategien zur intelligenten Spezialisierung, aber auch häufig in Klimaplänen behandelt. Von den 19 finnischen NUTS-3-Regionen verfügen 16 Regionen über einen für die Bioökonomie relevanten strategischen Rahmen. Die meisten Strategien konzentrieren sich auf die Forstwirtschaft und biobasierte Forstprodukte, aber auch auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft und die Wasserwirtschaft.

Neben nationalen und regionalen Bestrebungen ist Finnland als Mitglied des Nordischen Ministerrates, einem offiziellen Gremium für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in der nordischen Region, seit 2012 auch in die überregionale Bioökonomie-Entwicklung eingebunden. 2017 veröffentlichte der Nordische Ministerrat eine Auswahl von 25 nordischen Bioökonomie-Fallstudien, die die vielfältigen Bioökonomie-Aktivitäten in den nordischen Ländern illustrieren und dazu beitragen sollen, das Bewusstsein für die Bioökonomie, ihre Bedeutung und ihr Potenzial in der Öffentlichkeit zu schärfen. Im Jahr 2018 verabschiedete der Nordische Ministerrat dann das „Nordic Bioeconomy Programme“, welches 15 Handlungsempfehlungen für einen nachhaltigen Wandel im Rahmen der nordischen Zusammenarbeit aufzeigt und darauf abzielt, eine starke nordische Gemeinschaft zu schaffen.

Unternehmenslandschaft

Schon jetzt erreicht die Bioökonomie im Land aus wirtschaftlicher Sicht einen enormen Stellenwert: Im Jahr 2019 belief sich nach den EU-Zahlen von JRC und nova-Institut der Umsatz in Finnland auf 52 Mrd. Euro, 11 % aller finnischen Beschäftigten sind in den Sektoren tätig, die die Bioökonomie einschließt. Dies betrifft vor allem die Land- und Forstwirtschaft, Lebensmittelindustrie und den Chemie- und Bausektor. Finnland fokussiert dabei vor allem auf die Verwertung von Biomasse für verschiedenste Anwendungen. Bedeutende Umsatzträger sind die Papierindustrie mit knapp 17 Mrd. Euro, die chemische Industrie mit 2 Mrd. Euro und die holzverarbeitende Industrie mit 8,1 Mrd. Euro. Ein Treiber dieser Entwicklung ist die seit Anfang der 1990er Jahre zu beobachtende Umstrukturierung der finnischen Wirtschaft und entsprechende Maßnahmen der Regierung. Auslöser waren der Wegfall des Osthandels im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion, die Wirtschaftskrise 2008 und der Strukturwandel der Forst- und Papierwirtschaft sowie die Neuausrichtung der Elektroindustrie.

Akteure in Holz- und Papierindustrie wenden sich der Chemie zu

Aufgrund des immensen Holzreichtums hat Finnland eine lange Tradition in der Verwendung von Holz für die Herstellung von Druck- und Schreibpapier und Verpackungsmaterialien sowie von Bau- und Innenausstattungsmaterialien. Die Holzverarbeitung ist nach wie vor ein wichtiger Industriezweig in Finnland. Im Jahr 2018 belief sich der Produktionswert der finnischen Forstindustrie, einschließlich der Möbelindustrie, auf über 23 Mrd. Euro. Dies entspricht mehr als einem Fünftel der Industrieproduktion. Die wichtigsten Exportprodukte Finnlands sind Papier und Pappe. Im Jahr 2020 hatten diese einen Exportwert von 5,7 Mrd. Euro. Im selben Jahr lag Cellulose an fünfter und Schnittholz an sechster Stelle der finnischen Exportstatistik. Der Großteil der Ausfuhren der Forstindustrie geht nach Deutschland, China und in das Vereinigte Königreich.

Seitdem der Bedarf an Druckpapier nach der Jahrtausendwende drastisch zurückging, reagierten die führenden Akteure der finnischen Papierindustrie, wie Stora Enso, UPM-Kymmene und Metsä Group, auf die Veränderungen ihres Geschäftsumfeldes mit der Schließung zahlreicher Papierproduktionslinien und Papierfabriken. Parallel dazu entwickelten sie neue Geschäftsfelder im Bereich der holzbasierten Bioökonomie und wandelten ihre Werke in Bioraffinerien um.

Die holzbasierte Bioökonomie baut auf der traditionellen Forstwirtschaft auf, indem in neue biobasierte Produkte als Erweiterung des bestehenden Produktportfolios investiert wird. So extrahiert Stora Enso Lignin in industriellem Maßstab, um es als Ersatz für Klebstoffe auf der Basis fossiler Materialien zu verwenden. Die Bioraffinerie des Unternehmens in Kotka stellt seit 2015 Lignin her. Die Kapazität der Raffinerie beträgt 50.000 Tonnen Lignin pro Jahr, womit Stora Enso der weltweit größte Hersteller von extra trockenem Lignin ist. Mit seiner Holz-Marke „Building Systems“ positioniert sich das Unternehmen gar als Wettbewerber zu den bisher beim Bau von Gebäuden überwiegenden Materialien Beton und Stahl. 2021 hat Stora Enso zudem eine Innovation auf den Markt gebracht, die Graphit, ein synthetisches und nicht erneuerbares Material, bald durch Biokohlenstoff auf Holzbasis in wiederaufladbaren Batterien ersetzen wird. Das alternative Produkt kann in Elektroautos, in der Unterhaltungselektronik, in großen Systemen zur Energiespeicherung und für andere Zwecke eingesetzt werden. Stora Enso hat im Sommer 2021 eine Pilotanlage zur Herstellung biobasierter Kohlenstoffmaterialien in seiner Anlage in Kotka, Südostfinnland, in Betrieb genommen.

UPM mit Großinvestition in Leuna

Der Konzern UPM-Kymmene setzt mit seiner BioFore-Strategie verstärkt auf neue, innovative und nachhaltige Geschäftsbereiche wie Biokraftstoffe, Bioverbundstoffe und Biochemikalien. UPM entwickelt zum Beispiel Biofibrillen, die auch als mikro- und nanofibrillierte Cellulose bezeichnet werden, und hat für diesen Anwendungsbereich eine eigene Produktmarke namens GrowDex eingeführt. Es handelt sich um ein Gel, das mit menschlichen Zellen und Geweben hochgradig biokompatibel ist. Es ermöglicht eine 3D-Kultur, um zu analysieren, wie Krebszellen auf eine medizinische Behandlung reagieren. 2014 präsentierte der Konzern sein „Biofore Concept Car“, eine Studie zur Verwendung von neuen Werkstoffen im Automobilbau. In Leuna baut UPM derzeit eine kommerzielle Bioraffinerie, die auf dem Rohstoff Laubholz basiert und Ende 2023 in Betrieb gehen soll.

Metsä investierte in Äänekoski in die erste „bioproduct mill“, das größte holzverarbeitende Werk der nördlichen Hemisphäre, welches derzeit rund 2.500 Arbeitnehmer beschäftigt. Hier wird vor allem Weichholz- und Birkenzellstoff hergestellt, der Ausgangsstoff für Pappe, Tissue- und Druckpapiere sowie Spezialprodukte ist. Neben Zellstoffprodukten produziert das Werk aber auch biobasierten Strom und verwendet für die Herstellung der Produkte keinerlei fossile Brennstoffe. Metsä Fibre, Teil der Metsä-Gruppe, investiert nun in eine neue „bioproduct mill“ in Kemi. Die Investition beläuft sich auf 1,85 Mrd. Euro. Das ist die größte Investition, die die finnische Forstindustrie jemals in Finnland getätigt hat. Das Werk soll wie geplant im dritten Quartal 2023 in Betrieb genommen werden.

Chemiefirmen werden grüner

Die chemische Industrie in Finnland wird noch immer durch die Hersteller von petrochemischen Produkten und von Basischemikalien dominiert, die für mehr als 70 % des Branchenausstoßes verantwortlich sind. Gleichwohl sieht sich die Branche eng an die Bioökonomie angebunden. So werden beim Branchenprimus, dem Mineralölkonzern Neste Oy, biobasierte Kraftstoffe inzwischen als ein Wachstumstreiber eingestuft. Der Konzern sieht sich als weltweit führenden Anbieter von Dieselkraftstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen. Mit seiner NExBTL-Technologie produziert das Unternehmen Biodiesel aus pflanzlichen Ölen und Abfällen bereits in Anlagen in Finnland, Singapur und den Niederlanden.

Die Chemiefirma Kemira zählt die Papierindustrie mit zu den wichtigsten Kunden und hilft, gewichtsreduzierte Pappen herzustellen. Durch Hinzufügen von Raps- oder Kiefernöl passt der Reifenhersteller Nokiantyres Oy die Eigenschaften seiner Produkte an die herausfordernden Bedingungen in nordischen Ländern an. Forchem baute seine Produktlinie dagegen auf einem Beiprodukt der Papierherstellung auf, dem Tallöl. Auf vielfältige Klebstoffe basierend auf Kartoffelstärke hat sich schon früh das Familienunternehmen Kiilto Oy spezialisiert. Verpackungsspezialist Huhtamäki stellt Getränkebecher aus bis zu 100 % pflanzlichen Rohstoffen her. Der US-Chemiekonzern Dupont forscht in Finnland über seine Tochter Danisco zu Probiotika und produziert aus Reststoffen der Zuckerrübenverarbeitung Betain, ein in der Nahrungs- und Futtermittel- sowie Kosmetikindustrie vielseitig einsetzbares Molekül. Arktische Beeren hat hingegen Lumene Oy als Rohstoffe im Visier. Das Unternehmen extrahiert deren Inhaltsstoffe, die in Kosmetika weiterverarbeitet werden.

Innovative Lebensmittelproduktion

Zu den führenden Nahrungsmittelunternehmen zählt die 1903 ursprünglich als Kooperative gegründete Atria Oy. Vertreten im gesamten Ostseeraum und stark im Bereich Fleischprodukte gehört, auch eine eigene Fast-Food-Kette zum Konzern. Die Raisio-Gruppe machte sich dagegen einen Namen mit ihrer Cholesterin-senkenden Margarine. Dem Aufstrich ist hierfür ein pflanzlicher Ester beigemischt. Einen Teil seiner Energie will das Unternehmen künftig aus einem firmeneigenen Biomassekraftwerk beziehen, das lokal produzierte Holzschnitzel als Energieträger einsetzt.

Führend in der Fischzucht sind V. Hukkanen Oy, die in Finnland und Schweden 30 Fischfarmen betreiben. Für seine Backwaren ist dagegen der finnische Nahrungsmittelkonzern Fazer Group in den skandinavischen und baltischen Ländern bekannt. Inzwischen weitete die Geschäftsführung die Produktpalette aus. Inhaltsstoffe aus Haferflocken, die als besonders gesundheitsfördernd gelten, werden als Extrakte für die Verarbeitung in Lebensmitteln und Körperpflegeprodukten angeboten.

Mehr grüne Energie

Die Erzeugung von Energie soll in Finnland nach dem Willen der Regierung ebenfalls grüner werden. Der Bioethanol-Hersteller St1 betreibt in Finnland bereits sechs Anlagen, in denen Biokraftstoff mit firmeneigenen Prozessen aus Rest- und Abfallstoffen der Nahrungsmittel- und Getränkeherstellung gewonnen wird. Technologieentwickler Chempolis Oy aus Oulu im Norden des Landes betreibt seit dem Jahr 2009 eine Bioraffinerie und testet dort unterschiedlichste pflanzliche Rohstoffe von Kunden auf ihre Tauglichkeit, um daraus Produkte wie Bioethanol, Biochemikalien oder Fasern für die Papierindustrie herzustellen. Im Jahr 2016 beteiligte sich hier der finnische Energieversorger Fortum.

Auf Biomasse setzt auch der Energieversorger TSE Oy aus Turku. Er nahm 2017 sein neues Biomasse-Kraftwerk in Betrieb nehmen, das Holzschnitzel, Rinde und Torf als regionale Rohstoffe einsetzen wird. Auch soll nach den Vorstellungen der Politik der Anteil an Biogas ausgebaut werden. Beispielsweise wandelt eine Anlage in Honkajoki die Abfallstoffe des ansässigen Lebensmittelclusters in Biogas um. Diese und weitere gehören inzwischen dem Gasversorger Gasum Oy, der Anfang 2016 die Anlagen von Taaleritehdas übernommen hatte.

Tradition in der industriellen Biotechnologie

Die Bioökonomie in Finnland profitiert nicht nur von der Stärke in der Holzverarbeitung, sondern auch von langjährigen Erfahrungen in der industriellen Biotechnologie. Enzyme für industrielle Anwendungen sind heute einer der Exportschlager. Die Grundlagen hierfür legten die Arbeiten des Forschungsinstituts VTT und der Unternehmen Alko und Finnsugar seit den 1970er Jahren. Heute führt Roal Oy, inzwischen Teil der britischen Associated British Foods plc und einer der weltweit größten Hersteller von Enzymen, die Arbeiten von Alko und die Herstellung der Enzyme am Standort Rajamäki fort. Deren Abnehmer finden sich hauptsächlich in der Nahrungs- und Futtermittel-, der Papier-, Textil- und Chemieindustrie.

Altia Plc, Getränkehersteller und Miteigner von Roal, weitete seine Geschäftsaktivitäten inzwischen auch auf die Herstellung industrieller Produkte wie Stärke, Futtermittel und technische Alkohole aus. Ausgangsstoff der Produkte ist finnische Gerste. Finnsugar gehört dagegen nun zur deutschen Nordzucker-Gruppe und produziert unter anderem Glucose-Isomerase zur Herstellung von Fruktosesirup. Mit Enzymen für Industrieanwendungen wie der Herstellung von Papier oder Biokraftstoffen aus Cellulose verdient MetGen Oy sein Geld. Die Technologie-Plattform der 2008 gegründeten Firma nutzt natürlich vorkommende Enzyme und passt diese an die industriellen Fragestellungen an.

Start-ups mit vielfältigen Innovationen

In Finnland hat sich rund um die Forstindustrie ein umfangreiches Unternehmenssystem entwickelt. Viele Start-ups sehen ihre Aufgabe in der Notwendigkeit, globale Umweltherausforderungen zu lösen, und haben dadurch eine Rolle und einen Vorteil in globalen Wertschöpfungskonstellationen gefunden. Eines dieser Leuchtturm-Unternehmen ist Paptic. Es hat ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem Einzelhandelsketten ihren Kunden anstelle von Plastiktüten Papiertüten zur Verfügung stellen und so ihren ökologischen Fußabdruck verbessern können.

Ein weiteres Beispiel ist Spinnova, ein Unternehmen, das eine Technologie zum Spinnen von Garn aus Holzfasern entwickelt hat und damit den Wandel in der Textilindustrie voranbringt. Die Nordic Bioproducts Group, eine Ausgründung der Aalto-Universität, hat Anfang 2022 bekannt gegeben, dass es gelungen sei, eine neue giftfreie Textilfaser auf Pflanzenbasis namens Norratex zu entwickeln.

Auch die Infinited Fiber Company und Metsä Spring bringen Textilfasern aus Materialien wie Holz, landwirtschaftlichen Abfällen und ausrangierten Textilien auf den Markt. Diese Entwicklungen zeigen, dass die Erneuerung der finnischen Forstindustrie in vollem Gange ist.

Während Paptic und Spinnova ihre Wurzeln im Forschungssystem des finnischen Forstsektors haben, hat Arbonaut seine Wurzeln im Informationstechnologie-Sektor. Das Unternehmen hat erkannt, dass es mit seiner Technologie zwei- und dreidimensionale Objekte aus Luftbildern messen kann. So entstanden forstwirtschaftliche Computerprogramme, die das Volumen eines Baumes bestimmen können.

Das finnische Start-up Solar Foods hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Nahrungsmittelproduktion von der konventionellen Landwirtschaft zu entkoppeln. Dafür hat es eine neue, natürliche Proteinquelle – das nährstoffreiche Protein Solein – entwickelt, welches mithilfe von Fermentation, Luft und Strom hergestellt wird. Was als Forschungsprojekt des Technischen Forschungszentrums von Finnland (VTT) und der Universität LUT begann, hat sich inzwischen zu einem erfolgreichen Start-up mit mehr als 20 Mitarbeitern entwickelt.

Cluster als Kontaktplattform

Als Plattformen für Kontakte und gemeinsame Projekte stehen Unternehmen und Wissenschaftlern der Industrieverband Finnish Bioindustries FIB und der Industrial Biotechnology Cluster Finland offen. Der CLIC-Cluster, in dem der 2007 etablierte Finish Bioeconomy Cluster (Fibic) aufgegangen ist, verfolgt unter anderem das Ziel, zu nachhaltigen biobasierten Lösungen wie Textilien auf Holzbasis beizutragen und Akteure zusammenzuführen. So entwickeln mehrere Unternehmen wie Stora Enso im FRACTION-Projekt ein neuartiges integriertes Bioraffinerie-Konzept zur Maximierung der Reinheit und Qualität von Lignin- und Hemizellulose-Nebenströmen in Bioraffinerien der zweiten Generation, um deren Verwendung für die Herstellung von Produkten mit höherer Wertschöpfung zu erreichen, wobei hochwertige Zellulose als Hauptzielprodukt erhalten bleibt.

Ansiedeln können sich junge Firmen beispielsweise im Turku Science Park westlich von Helsinki, in der Hauptstadt im Helsinki Business & Science Park oder im Norden des Landes in Paltamo. Hier lassen sich in der BioFutureFactory in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer geplanten Zellstofffabrik junge Unternehmen nieder.

Fördermittelgeber

Unternehmen erhalten Unterstützung durch verschiedene Institutionen und Programme mit landesweiter wie auch regionaler Bedeutung. Die wichtigsten sind die staatliche Finanzierungsagentur Finnvera, die Förderagentur für Technologie und Innovation TEKES, der Forschungs- und Entwicklungsfonds SITRA, die öffentliche Investitionsförderagentur Finpro und die ELY-Zentren. Die landesweit verteilten ELY-Zentren kümmern sich um die Vorgaben der Regierung in ihren jeweiligen Regionen. Ein Schwerpunkt sind Belange zu Umwelt und natürlichen Ressourcen. KMUs werden dort beraten und erhalten finanzielle Unterstützung.

Finpro unterstützt finnische Firmen insbesondere bei deren Internationalisierung. Hierzu unterhält die Agentur sechs Büros im Land und 36 weitere außerhalb Finnlands. Firmengründungen unterstützt dagegen Finnlands staatliche Entwicklungsbank Finnvera mit zinsgünstigen Unternehmerkrediten und Zuschüssen. Der SITRA-Fonds wiederum, der unter der direkten Kontrolle des finnischen Parlaments steht, beteiligt sich an nationalen und internationalen Risikokapitalfonds, die in Unternehmen investieren. Ein Augenmerk des Fonds liegt auf biobasiertem Wirtschaften.

Besonders wichtig für Start-ups, KMUs und große Unternehmen ist die Förderagentur Tekes. Von dieser dem Arbeitsministerium zugeordneten Agentur erhalten sie für innovative Forschungsansätze oder Expansionsbestrebungen Zuschüsse oder Kredite. So förderte die Agentur eine Demonstrationsanlage zur Herstellung von Öl aus Holz. Beteiligt waren der Energieversorger Fortum, der Technologiekonzern Metsä, Papierhersteller UPM und das Forschungszentrum VTT.

Für Start-ups interessant ist auch das 2009 vom Arbeits- und Wirtschaftsministerium initiierte Vigo-Programm. Hier erhalten junge Firmen in thematisch aufgestellten Acceleratoren von erfahrenen Unternehmern vielfältige Hilfestellungen, die von Beteiligungskapital bis hin zur Unterstützung bei der Geschäftsentwicklung reichen. Im Land sind zudem eine Reihe von Business Angels und Risikokapitalgebern tätig.

Forschungslandschaft

Als Forschungsstandort verfügt Finnland weltweit über einen exzellenten Ruf. Hierzu beigetragen haben nicht zuletzt die im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) und die technologische Affinität der Finnen. Die FuE-Ausgaben in Finnland sind seit der Wirtschaftskrise 2008 jedoch fast jedes Jahr gesunken.

Seit 2018 sind leichte Verbesserungen zu verzeichnen, aber das Land hat das Niveau der FuE-Investitionen von 2009 noch nicht wieder erreicht. Nach monatelangen Verhandlungen haben sich alle Parlamentsfraktionen Anfang 2022 auf ein gemeinsames Ausgabenziel geeinigt: Finnland soll demnach bis 2030 4 % seines BIP für Forschung und Entwicklung ausgeben. Die Einigung steht noch unter dem Vorbehalt der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes, die für Anfang 2023 erwartet wird.

Die Universität Helsinki ist die größte und älteste Universität Finnlands. Hier sind Schwerpunkte zur Biotechnologie, zu natürliche Ressourcen, Land- und Fortwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit etabliert. Auch die grüne Biotechnologie spielt eine große Rolle, um ein ebenso effizientes wie nachhaltiges Biomassewachstum in der Zukunft zu gewährleisen und Nutzpflanzen an neue Klimabedingungen anzupassen. Ebenfalls in der Hauptstadt wie auch in der Nachbarstadt Espoo beheimatet ist die Aalto Universität.

In der Abteilung für Bioprodukte und Biosysteme stehen nachwachsende Rohstoffe und ihre Transformation in hochwertige Produkte zuvorderst auf der Forschungsagenda. In der Abteilung für Biotechnologie und Chemische Technologie sind Bioökonomie-relevante Themen angesiedelt.

In der historisch bedeutenden Stadt Turku sitzt die Universität Turku sowie die deutlich kleinere Abo Akademi University. Forschungsschwerpunkte der beiden sind unter anderem Holz- und Papierchemie sowie Faser- und Cellulose-Technologie. In Turku wird seit 2014 auch ein Schwerpunkt zur Synthetischen Biologie vorangetrieben, um neue biobasierte Produkte zu entwickeln.

Die zweitgrößte TU des Landes ist die Technische Universität Tampere. Innovationen in der Chemie und im Bioengineering gehören zu ihren Schwerpunkten. Hier wird unter anderem am 3D-Druck mit Cellulose geforscht. Die Biodiversität, Fischerei und Aquakultur stehen in Mittelfinnland an der Universität Jyväskylä im Programm. Die Universität Ostfinnland hat sich insbesondere die Forstwirtschaft auf die Fahnen geschrieben.

Als bedeutendste außeruniversitäre Forschungseinrichtung gilt das Technische Forschungszentrum Finnlands (VTT). Diese staatliche Einrichtung legte bereits in den 1970er Jahren die Grundlage für aktuelle Aktivitäten. Damals stieg das Institut in die Biotechnologie ein und entwickelte erste Herstellprozesse für Enzyme. Heute beschäftigt VTT rund 2.000 Mitarbeiter und konzentriert sich auf sechs Kernbereiche. Einer davon: die Bioökonomie. Gestützt wird der Bereich unter anderem durch die Bioruukki-Pilotanlage und einen großen Mitarbeiterstamm in der industriellen Biotechnologie. Die thermochemische Konversion, nachhaltige Chemie, Biomasseverarbeitung und Modellierungen sind hier bearbeitete Themen. So konnte zusammen mit der Aalto Universität gezeigt werden, dass sich Pappeln als Rohstoff für die Herstellung von Bioethanol und anderen Biochemikalien sehr gut nutzen lassen. Erst kürzlich entwickelte VTT eine Alternative für gängige Lebensmittelverpackungen, die zukünftig vor allem Kunststofffolien ersetzen sollen. Laut VTT würde der Verbraucher das kristallklare Material aus Zellulose nicht von herkömmlichem Kunststoff auf Erdölbasis unterscheiden können. Die biobasierte Cellulose-Folie ist feuchtigkeitsbeständig und vollständig biologisch abbaubar.

Eine weitere Innovation aus dem Hause VTT, die in Zusammenarbeit mit Ilona Leppänen entstand, ist eine Methode für die Herstellung eines holzbasierten Nanocellulose-Films, welcher Mikroplastik im Wasser aufspüren und auffangen kann. Die Nanocellulosefolie bildet dabei ein feines Netz, durch das Wasser hindurchfließen und absorbiert werden kann, während die Kunststoffpartikel in der porösen Struktur der Folie aufgefangen werden. Dies geschieht ganz ohne Druck oder den Einsatz von Chemikalien. Abgesehen davon, dass die Folie beispielsweise in Wasseraufbereitungsanlagen oder in den Filtern von Waschmaschinen eingesetzt werden kann, ist eine Methode zum Nachweis von Partikeln an sich schon von großem Wert für die Forschung.

Am Natural Ressources Institute Finland (LUKE) mit seinen 1.400 Mitarbeitern reichen die Forschungsvorhaben von holziger Biomasse über Aquakultur und Nahrungsmittel bis hin zu neuer Agrartechnik und den Möglichkeiten von Bioraffinerien und biobasierten Produkten. Finanziert durch öffentliche und private Mittel betreibt das LUKE knapp 40 Standorte im ganzen Land. Ebenfalls anteilig vom Staat finanziert konzentriert sich das Finnische Institut für Umwelt (SYKE) mit seinen 600 Mitarbeitern unter anderem auf nachhaltige Produktion, Biodiversität und Landnutzung.

Fördermittelgeber

Wissenschaftler werden in Finnland hauptsächlich durch zwei Institutionen gefördert. So hat die Finnische Akademie, die zum Bildungsministerium gehört, in ihrem BioFuture2025-Programm für die Jahre 2017 bis 2020 insgesamt 15 Mio. Euro für die Bioökonomie vorgesehen. Der Strategische Forschungsrat (STN), ebenfalls der Akademie zugehörig, vergibt zusätzliche Mittel. Darüber hinaus fördert der Staat die Forschungsaktivitäten von Wissenschaft und Wirtschaft über die Förderagentur Tekes. Diese unterstützt Forschungseinrichtungen, deren Ergebnisse Lösungen für Firmen bieten oder einer Vermarktung zugeführt werden sollen. Weitere Fördermittel fließen in die finnische Forschung durch die Beteiligung an Programmen der Europäischen Union.


Autorin: Christin Boldt